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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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habe ich nicht gelesen, erwiederte ich, weil ich, setzte
ich, mich, tant bien que mal, entschuldigend hinzu,
Ihre Fiktionen so liebe, daß ich nichts Geschichtliches
von der genialsten Romanen-Dichterin habe lesen
mögen. O das ist auch nur ein Roman, rief sie,
lesen Sie ihn in dieser Hinsicht ohne Gewissensbisse.
"Sehr wohl," dachte ich, "wahrscheinlich eben so wie
Ihre Reisebeschreibungen," hütete mich aber doch es
zu sagen. Ach, meinte sie nachher, glauben Sie
mir, nur der ennui bringt alles Schreiben bei mir
zu Wege, unser Menschen-Loos ist so elend in dieser
Welt, daß ich es schreibend zu vergessen suche."
(Wahrscheinlich hatte sie der Lord Lieutenant nicht
eingeladen, oder sonst ein Großer ihr faux boud ge-
macht, denn sie war ganz melancholisch.) "Welches
schreckliche Räthsel ist die Welt!" fing sie wieder an;
"giebt es einen Gott oder keinen? und wenn er all-
mächtig ist -- und böse wäre! wie furchtbar!" Aber
ums Himmels willen, sagte ich, wie kann eine geist-
reiche Frau wie Sie, nehmen Sie mir es nicht übel,
solchen Unsinn sprechen? -- "Ach! ich weiß längst
Alles," fuhr sie fort, "was Sie mir darüber sagen
wollen. Gewißheit giebt mir doch kein Mensch!"
Diese Unklarheit bei dem scharfsinnigsten Beobach-
tungsgeiste war mir, selbst an einer Dame (ne vous
en fachez point, Julie
), beinahe unbegreiflich. Lady
M .... 's Gemahl, früher Arzt, jetzt Philosoph
und unbekannter Schriftsteller, übrigens was man
im Französischen un bon homme nennt, dabei Gut-
schmecker und Wichtigthuer, schenkte mir ein Buch

habe ich nicht geleſen, erwiederte ich, weil ich, ſetzte
ich, mich, tant bien que mal, entſchuldigend hinzu,
Ihre Fiktionen ſo liebe, daß ich nichts Geſchichtliches
von der genialſten Romanen-Dichterin habe leſen
mögen. O das iſt auch nur ein Roman, rief ſie,
leſen Sie ihn in dieſer Hinſicht ohne Gewiſſensbiſſe.
„Sehr wohl,“ dachte ich, „wahrſcheinlich eben ſo wie
Ihre Reiſebeſchreibungen,“ hütete mich aber doch es
zu ſagen. Ach, meinte ſie nachher, glauben Sie
mir, nur der ennui bringt alles Schreiben bei mir
zu Wege, unſer Menſchen-Loos iſt ſo elend in dieſer
Welt, daß ich es ſchreibend zu vergeſſen ſuche.“
(Wahrſcheinlich hatte ſie der Lord Lieutenant nicht
eingeladen, oder ſonſt ein Großer ihr faux boud ge-
macht, denn ſie war ganz melancholiſch.) „Welches
ſchreckliche Räthſel iſt die Welt!“ fing ſie wieder an;
„giebt es einen Gott oder keinen? und wenn er all-
mächtig iſt — und böſe wäre! wie furchtbar!“ Aber
ums Himmels willen, ſagte ich, wie kann eine geiſt-
reiche Frau wie Sie, nehmen Sie mir es nicht übel,
ſolchen Unſinn ſprechen? — „Ach! ich weiß längſt
Alles,“ fuhr ſie fort, „was Sie mir darüber ſagen
wollen. Gewißheit giebt mir doch kein Menſch!“
Dieſe Unklarheit bei dem ſcharfſinnigſten Beobach-
tungsgeiſte war mir, ſelbſt an einer Dame (ne vous
en fachez point, Julie
), beinahe unbegreiflich. Lady
M .... ’s Gemahl, früher Arzt, jetzt Philoſoph
und unbekannter Schriftſteller, übrigens was man
im Franzöſiſchen un bon homme nennt, dabei Gut-
ſchmecker und Wichtigthuer, ſchenkte mir ein Buch

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[168/0190] habe ich nicht geleſen, erwiederte ich, weil ich, ſetzte ich, mich, tant bien que mal, entſchuldigend hinzu, Ihre Fiktionen ſo liebe, daß ich nichts Geſchichtliches von der genialſten Romanen-Dichterin habe leſen mögen. O das iſt auch nur ein Roman, rief ſie, leſen Sie ihn in dieſer Hinſicht ohne Gewiſſensbiſſe. „Sehr wohl,“ dachte ich, „wahrſcheinlich eben ſo wie Ihre Reiſebeſchreibungen,“ hütete mich aber doch es zu ſagen. Ach, meinte ſie nachher, glauben Sie mir, nur der ennui bringt alles Schreiben bei mir zu Wege, unſer Menſchen-Loos iſt ſo elend in dieſer Welt, daß ich es ſchreibend zu vergeſſen ſuche.“ (Wahrſcheinlich hatte ſie der Lord Lieutenant nicht eingeladen, oder ſonſt ein Großer ihr faux boud ge- macht, denn ſie war ganz melancholiſch.) „Welches ſchreckliche Räthſel iſt die Welt!“ fing ſie wieder an; „giebt es einen Gott oder keinen? und wenn er all- mächtig iſt — und böſe wäre! wie furchtbar!“ Aber ums Himmels willen, ſagte ich, wie kann eine geiſt- reiche Frau wie Sie, nehmen Sie mir es nicht übel, ſolchen Unſinn ſprechen? — „Ach! ich weiß längſt Alles,“ fuhr ſie fort, „was Sie mir darüber ſagen wollen. Gewißheit giebt mir doch kein Menſch!“ Dieſe Unklarheit bei dem ſcharfſinnigſten Beobach- tungsgeiſte war mir, ſelbſt an einer Dame (ne vous en fachez point, Julie), beinahe unbegreiflich. Lady M .... ’s Gemahl, früher Arzt, jetzt Philoſoph und unbekannter Schriftſteller, übrigens was man im Franzöſiſchen un bon homme nennt, dabei Gut- ſchmecker und Wichtigthuer, ſchenkte mir ein Buch

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/190>, abgerufen am 25.11.2024.