noch mangelhaft bleiben müssen, man lasse wenigstens die unsichtbare Zukunft Jeden nach seinem eignen Ermessen sich ausbilden. Und doch haben große, kluge und gute Männer sich zu solchem geistigen Despotis- mus berechtigt geglaubt! Dies aber ist die mensch- liche Gebrechlichkeit. Derselbe Mensch kann in eilf Dingen erhaben, und im zwölften als ein Idiot er- funden werden! Während so z. B. ein großer Krie- ger, in Schlachten, die Europa in Staunen versetzten, den Weltenstürmer bezwang -- fürchtete er sich heim- lich vor einem jungen Elephanten, mit dem er nieder- kommen zu müssen glaubte, weshalb seine Adjutanten manchen schweren Moment mit ihm zu verleben hatten. Während der Cardinal Richelieu allen Zeiten das Ideal eines großen und klugen Ministers aufstellte, hatte für ihn nur der Glaube Werth, ein großer Dich- ter zu seyn, und er quälte sich, elende Tragödien zu schreiben, die mit seinem Tode zu Makulatur wurden. Der große Ludwig, den man den absoluten Kö- nig par excellence nennen könnte, hatte die unbegreifliche Dummheit, nach der Schlacht von Mal- plaquet, ganz ernsthaft auszurufen: Et Dieu a-t-il donc oublie ce que j'ai fait pour lui? Cromwell, zugleich Schwärmer und der kühnste wie der listigste Betrüger, nachdem er Mord auf Mord, Zerstörung auf Zerstörung gehäuft, fand sein Gewissen beruhigt, als, auf seine Anfrage, ein Priester ihm versicherte, daß, wer einmal sich nur im Zustande der Gnaden- verzückung besunden, selig werden müsse, er möge sonst gethan haben was er wolle. "Dann bin ich
noch mangelhaft bleiben müſſen, man laſſe wenigſtens die unſichtbare Zukunft Jeden nach ſeinem eignen Ermeſſen ſich ausbilden. Und doch haben große, kluge und gute Männer ſich zu ſolchem geiſtigen Despotis- mus berechtigt geglaubt! Dies aber iſt die menſch- liche Gebrechlichkeit. Derſelbe Menſch kann in eilf Dingen erhaben, und im zwölften als ein Idiot er- funden werden! Während ſo z. B. ein großer Krie- ger, in Schlachten, die Europa in Staunen verſetzten, den Weltenſtürmer bezwang — fürchtete er ſich heim- lich vor einem jungen Elephanten, mit dem er nieder- kommen zu müſſen glaubte, weshalb ſeine Adjutanten manchen ſchweren Moment mit ihm zu verleben hatten. Während der Cardinal Richelieu allen Zeiten das Ideal eines großen und klugen Miniſters aufſtellte, hatte für ihn nur der Glaube Werth, ein großer Dich- ter zu ſeyn, und er quälte ſich, elende Tragödien zu ſchreiben, die mit ſeinem Tode zu Makulatur wurden. Der große Ludwig, den man den abſoluten Kö- nig par excellence nennen könnte, hatte die unbegreifliche Dummheit, nach der Schlacht von Mal- plaquet, ganz ernſthaft auszurufen: Et Dieu a-t-il donc oublié ce que j’ai fait pour lui? Cromwell, zugleich Schwärmer und der kühnſte wie der liſtigſte Betrüger, nachdem er Mord auf Mord, Zerſtörung auf Zerſtörung gehäuft, fand ſein Gewiſſen beruhigt, als, auf ſeine Anfrage, ein Prieſter ihm verſicherte, daß, wer einmal ſich nur im Zuſtande der Gnaden- verzückung beſunden, ſelig werden müſſe, er möge ſonſt gethan haben was er wolle. „Dann bin ich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0123"n="101"/>
noch mangelhaft bleiben müſſen, man laſſe wenigſtens<lb/>
die unſichtbare Zukunft Jeden nach ſeinem eignen<lb/>
Ermeſſen ſich ausbilden. Und doch haben große, kluge<lb/>
und gute Männer ſich zu ſolchem geiſtigen Despotis-<lb/>
mus berechtigt geglaubt! Dies aber iſt die menſch-<lb/>
liche Gebrechlichkeit. Derſelbe Menſch kann in eilf<lb/>
Dingen erhaben, und im zwölften als ein Idiot er-<lb/>
funden werden! Während ſo z. B. ein großer Krie-<lb/>
ger, in Schlachten, die Europa in Staunen verſetzten,<lb/>
den Weltenſtürmer bezwang — fürchtete er ſich heim-<lb/>
lich vor einem jungen Elephanten, mit dem er nieder-<lb/>
kommen zu müſſen glaubte, weshalb ſeine Adjutanten<lb/>
manchen ſchweren Moment mit ihm zu verleben hatten.<lb/>
Während der Cardinal Richelieu allen Zeiten das<lb/>
Ideal eines großen und klugen Miniſters aufſtellte,<lb/>
hatte für ihn nur der Glaube Werth, ein großer Dich-<lb/>
ter zu ſeyn, und er quälte ſich, elende Tragödien zu<lb/>ſchreiben, die mit ſeinem Tode zu Makulatur wurden.<lb/>
Der große Ludwig, den man den <hirendition="#g">abſoluten Kö-<lb/>
nig <hirendition="#aq">par excellence</hi></hi> nennen könnte, hatte die<lb/>
unbegreifliche Dummheit, nach der Schlacht von Mal-<lb/>
plaquet, ganz ernſthaft auszurufen: <hirendition="#aq">Et Dieu a-t-il<lb/>
donc oublié ce que j’ai fait pour lui?</hi> Cromwell,<lb/>
zugleich Schwärmer und der kühnſte wie der liſtigſte<lb/>
Betrüger, nachdem er Mord auf Mord, Zerſtörung<lb/>
auf Zerſtörung gehäuft, fand ſein Gewiſſen beruhigt,<lb/>
als, auf ſeine Anfrage, ein Prieſter ihm verſicherte,<lb/>
daß, wer einmal ſich nur im Zuſtande der Gnaden-<lb/>
verzückung beſunden, ſelig werden müſſe, er möge<lb/>ſonſt gethan haben was er wolle. „Dann bin ich<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[101/0123]
noch mangelhaft bleiben müſſen, man laſſe wenigſtens
die unſichtbare Zukunft Jeden nach ſeinem eignen
Ermeſſen ſich ausbilden. Und doch haben große, kluge
und gute Männer ſich zu ſolchem geiſtigen Despotis-
mus berechtigt geglaubt! Dies aber iſt die menſch-
liche Gebrechlichkeit. Derſelbe Menſch kann in eilf
Dingen erhaben, und im zwölften als ein Idiot er-
funden werden! Während ſo z. B. ein großer Krie-
ger, in Schlachten, die Europa in Staunen verſetzten,
den Weltenſtürmer bezwang — fürchtete er ſich heim-
lich vor einem jungen Elephanten, mit dem er nieder-
kommen zu müſſen glaubte, weshalb ſeine Adjutanten
manchen ſchweren Moment mit ihm zu verleben hatten.
Während der Cardinal Richelieu allen Zeiten das
Ideal eines großen und klugen Miniſters aufſtellte,
hatte für ihn nur der Glaube Werth, ein großer Dich-
ter zu ſeyn, und er quälte ſich, elende Tragödien zu
ſchreiben, die mit ſeinem Tode zu Makulatur wurden.
Der große Ludwig, den man den abſoluten Kö-
nig par excellence nennen könnte, hatte die
unbegreifliche Dummheit, nach der Schlacht von Mal-
plaquet, ganz ernſthaft auszurufen: Et Dieu a-t-il
donc oublié ce que j’ai fait pour lui? Cromwell,
zugleich Schwärmer und der kühnſte wie der liſtigſte
Betrüger, nachdem er Mord auf Mord, Zerſtörung
auf Zerſtörung gehäuft, fand ſein Gewiſſen beruhigt,
als, auf ſeine Anfrage, ein Prieſter ihm verſicherte,
daß, wer einmal ſich nur im Zuſtande der Gnaden-
verzückung beſunden, ſelig werden müſſe, er möge
ſonſt gethan haben was er wolle. „Dann bin ich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/123>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.