lang. Sieben Thürme, schlank und vest gebaut, von verschiedener Form und Größe umgeben ihn. Einer derselben ist noch zugänglich, und ich erstieg auf ei- ner hinfälligen Treppe von 140 Stufen seine Plat- form, wo man eine imposante Aussicht auf Meer, Gebürge und Stadt hat. Beim Herabgehen zeigte man mir die Rudera eines gewölbten Zimmers, in welchem, der Tradition nach, Eduard II. der erste Prinz von Wales, geboren ward. Die Welschen hatten nämlich, eingedenk der Bedrückungen engli- scher Hauptleute, in früheren Zeiten partieller und momentaner Eroberung, dem Könige fest erklärt, daß sie nur einem Statthalter, der ein Prinz ihrer eignen Nation sey, Folge leisten wollten. Sofort ließ Eduard, mitten im Winter, seine Gemahlin Eleonor herbeiholen, um heimlich ihre Niederkunft in Caernarvon Castle abzuwarten. Sie gebar einen Prinzen, worauf der König die Edeln und Vor- nehmsten des Landes zusammenberief, und sie feier- lich frug: ob sie sich der Regierung eines jungen Prinzen unterwerfen wollten, der in Wales geboren sey, und kein Wort englisch sprechen könne? Als sie dies freudig und erstaunt bejahten, präsentirte er ihnen seinen eignen, eben gebornen Sohn, indem er in gebrochenem Welsch ausrief: Eich Dyn, d. h. dies ist Euer Mann! -- welche Worte später in "Ich Dien" dem Motto des englischen Wappens, corrum- pirt worden sind.
Ueber dem großen Hauptthore steht noch Eduards steinernes Bild, mit der Krone auf dem Haupt, und
lang. Sieben Thürme, ſchlank und veſt gebaut, von verſchiedener Form und Größe umgeben ihn. Einer derſelben iſt noch zugänglich, und ich erſtieg auf ei- ner hinfälligen Treppe von 140 Stufen ſeine Plat- form, wo man eine impoſante Ausſicht auf Meer, Gebürge und Stadt hat. Beim Herabgehen zeigte man mir die Rudera eines gewölbten Zimmers, in welchem, der Tradition nach, Eduard II. der erſte Prinz von Wales, geboren ward. Die Welſchen hatten nämlich, eingedenk der Bedrückungen engli- ſcher Hauptleute, in früheren Zeiten partieller und momentaner Eroberung, dem Könige feſt erklärt, daß ſie nur einem Statthalter, der ein Prinz ihrer eignen Nation ſey, Folge leiſten wollten. Sofort ließ Eduard, mitten im Winter, ſeine Gemahlin Eleonor herbeiholen, um heimlich ihre Niederkunft in Caernarvon Caſtle abzuwarten. Sie gebar einen Prinzen, worauf der König die Edeln und Vor- nehmſten des Landes zuſammenberief, und ſie feier- lich frug: ob ſie ſich der Regierung eines jungen Prinzen unterwerfen wollten, der in Wales geboren ſey, und kein Wort engliſch ſprechen könne? Als ſie dies freudig und erſtaunt bejahten, präſentirte er ihnen ſeinen eignen, eben gebornen Sohn, indem er in gebrochenem Welſch ausrief: Eich Dyn, d. h. dies iſt Euer Mann! — welche Worte ſpäter in „Ich Dien“ dem Motto des engliſchen Wappens, corrum- pirt worden ſind.
Ueber dem großen Hauptthore ſteht noch Eduards ſteinernes Bild, mit der Krone auf dem Haupt, und
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lang. Sieben Thürme, ſchlank und veſt gebaut, von
verſchiedener Form und Größe umgeben ihn. Einer
derſelben iſt noch zugänglich, und ich erſtieg auf ei-
ner hinfälligen Treppe von 140 Stufen ſeine Plat-
form, wo man eine impoſante Ausſicht auf Meer,
Gebürge und Stadt hat. Beim Herabgehen zeigte
man mir die Rudera eines gewölbten Zimmers, in
welchem, der Tradition nach, Eduard II. der erſte
Prinz von Wales, geboren ward. Die Welſchen
hatten nämlich, eingedenk der Bedrückungen engli-
ſcher Hauptleute, in früheren Zeiten partieller und
momentaner Eroberung, dem Könige feſt erklärt,
daß ſie nur einem Statthalter, der ein Prinz ihrer
eignen Nation ſey, Folge leiſten wollten. Sofort
ließ Eduard, mitten im Winter, ſeine Gemahlin
Eleonor herbeiholen, um heimlich ihre Niederkunft
in Caernarvon Caſtle abzuwarten. Sie gebar einen
Prinzen, worauf der König die Edeln und Vor-
nehmſten des Landes zuſammenberief, und ſie feier-
lich frug: ob ſie ſich der Regierung eines jungen
Prinzen unterwerfen wollten, der in Wales geboren
ſey, und kein Wort engliſch ſprechen könne? Als ſie
dies freudig und erſtaunt bejahten, präſentirte er
ihnen ſeinen eignen, eben gebornen Sohn, indem er
in gebrochenem Welſch ausrief: Eich Dyn, d. h. dies
iſt Euer Mann! — welche Worte ſpäter in „Ich
Dien“ dem Motto des engliſchen Wappens, corrum-
pirt worden ſind.
Ueber dem großen Hauptthore ſteht noch Eduards
ſteinernes Bild, mit der Krone auf dem Haupt, und
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/99>, abgerufen am 24.11.2024.
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