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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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suchungen bei ihrem süßen Metier ausgesetzt (denn
nicht alle jungen Leute, die den Conditorladen besu-
chen, besitzen meine Sittsamkeit) wollte sie doch auf
Niemand hören, und fand ihre Freude blos in der
Frömmigkeit. Sie versäumte keine Betstunde beim
Präsidenten S ... oder Andere, wo sie nur zu einer
solchen Zutritt erlangen konnte, und ging vor allen
jeden Sonntag, wenigstens einmal, in die Kirche.
Eines Sonntags jedoch (es war Martini, wenn ich
nicht irre) vergaß sie dieser Pflicht, und blieb, sich
mit weltlichem Putze beschäftigend, zu Hause. Da
nahte sich ihr die Nemesis in Gestalt eines jungen
Mannes, dem sie schon längst heimlich geneigt war,
und der an jenem verhängnißvollen Tage es wahr-
scheinlich sehr weit in ihrer Gunst brachte, denn
kurze Zeit darauf heirathete er sie. Im Anfang leb-
ten sie sehr glücklich, und bekamen mehrere Kinder.
Nach und nach jedoch ließ, in den Zerstreuungen der
Ehe ihre Frömmigkeit bedeutend nach. Die Unglück-
liche schien ihre weltlichen Pflichten als Gattin und
Mutter zu lieb zu gewinnen, und von nun an dem
Genusse der Betstunden und der Lektüre heiliger
Bücher sogar vorzuziehen, aber die Folgen ihres
Leichtsinns zeigten sich bald. Ihren Mann traf viel-
faches, wie man versichert, sonst unverschuldetes Un-
glück, einige ihrer Kinder starben, die Familie verfiel
in Armuth, und der Mann hierüber zuletzt in die
tiefste Melancholie. Letzten Sonntag aber, grade am
zehnten Jahrestag jenes erwähnten Sonntags, wo
das unglückliche Mädchen nicht in die Kirche ging,

ſuchungen bei ihrem ſüßen Metier ausgeſetzt (denn
nicht alle jungen Leute, die den Conditorladen beſu-
chen, beſitzen meine Sittſamkeit) wollte ſie doch auf
Niemand hören, und fand ihre Freude blos in der
Frömmigkeit. Sie verſäumte keine Betſtunde beim
Präſidenten S … oder Andere, wo ſie nur zu einer
ſolchen Zutritt erlangen konnte, und ging vor allen
jeden Sonntag, wenigſtens einmal, in die Kirche.
Eines Sonntags jedoch (es war Martini, wenn ich
nicht irre) vergaß ſie dieſer Pflicht, und blieb, ſich
mit weltlichem Putze beſchäftigend, zu Hauſe. Da
nahte ſich ihr die Nemeſis in Geſtalt eines jungen
Mannes, dem ſie ſchon längſt heimlich geneigt war,
und der an jenem verhängnißvollen Tage es wahr-
ſcheinlich ſehr weit in ihrer Gunſt brachte, denn
kurze Zeit darauf heirathete er ſie. Im Anfang leb-
ten ſie ſehr glücklich, und bekamen mehrere Kinder.
Nach und nach jedoch ließ, in den Zerſtreuungen der
Ehe ihre Frömmigkeit bedeutend nach. Die Unglück-
liche ſchien ihre weltlichen Pflichten als Gattin und
Mutter zu lieb zu gewinnen, und von nun an dem
Genuſſe der Betſtunden und der Lektüre heiliger
Bücher ſogar vorzuziehen, aber die Folgen ihres
Leichtſinns zeigten ſich bald. Ihren Mann traf viel-
faches, wie man verſichert, ſonſt unverſchuldetes Un-
glück, einige ihrer Kinder ſtarben, die Familie verfiel
in Armuth, und der Mann hierüber zuletzt in die
tiefſte Melancholie. Letzten Sonntag aber, grade am
zehnten Jahrestag jenes erwähnten Sonntags, wo
das unglückliche Mädchen nicht in die Kirche ging,

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[57/0081] ſuchungen bei ihrem ſüßen Metier ausgeſetzt (denn nicht alle jungen Leute, die den Conditorladen beſu- chen, beſitzen meine Sittſamkeit) wollte ſie doch auf Niemand hören, und fand ihre Freude blos in der Frömmigkeit. Sie verſäumte keine Betſtunde beim Präſidenten S … oder Andere, wo ſie nur zu einer ſolchen Zutritt erlangen konnte, und ging vor allen jeden Sonntag, wenigſtens einmal, in die Kirche. Eines Sonntags jedoch (es war Martini, wenn ich nicht irre) vergaß ſie dieſer Pflicht, und blieb, ſich mit weltlichem Putze beſchäftigend, zu Hauſe. Da nahte ſich ihr die Nemeſis in Geſtalt eines jungen Mannes, dem ſie ſchon längſt heimlich geneigt war, und der an jenem verhängnißvollen Tage es wahr- ſcheinlich ſehr weit in ihrer Gunſt brachte, denn kurze Zeit darauf heirathete er ſie. Im Anfang leb- ten ſie ſehr glücklich, und bekamen mehrere Kinder. Nach und nach jedoch ließ, in den Zerſtreuungen der Ehe ihre Frömmigkeit bedeutend nach. Die Unglück- liche ſchien ihre weltlichen Pflichten als Gattin und Mutter zu lieb zu gewinnen, und von nun an dem Genuſſe der Betſtunden und der Lektüre heiliger Bücher ſogar vorzuziehen, aber die Folgen ihres Leichtſinns zeigten ſich bald. Ihren Mann traf viel- faches, wie man verſichert, ſonſt unverſchuldetes Un- glück, einige ihrer Kinder ſtarben, die Familie verfiel in Armuth, und der Mann hierüber zuletzt in die tiefſte Melancholie. Letzten Sonntag aber, grade am zehnten Jahrestag jenes erwähnten Sonntags, wo das unglückliche Mädchen nicht in die Kirche ging,

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/81>, abgerufen am 24.11.2024.