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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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Menge der Arbeiter und der Seltenheit der Arbeit,
keiner von diesen soviel verdient, um sich satt zu
essen? Demohngeachtet wird jeder noch etwas erüb-
rigen, um es seinem Priester zu geben, und wenn sie
in seine Hütte kommen, wird er die letzte Kartoffel
mit ihnen theilen, und einen Scherz dazu machen."

Jetzt näherten wir uns Gallway's Hügeln, über
denen die Sonne prachtvoll unterging. Nie kann ich
dieses Schauspiel unbewegt ansehen -- immer ent-
zückt es mich, und läßt ein Gefühl von Ruhe und
Sicherheit, mit der Gewißheit in mir zurück, daß
diese Sprache, die Gott selbst zu uns redet, nicht
lügen kann -- wenn Menschenoffenbarung auch nur
Stückwerk wäre, von Jedem anders verstanden, und
nur zu oft von List und Eigennutz gemißbraucht.

Wir stiegen in demselben Gasthofe ab, den ich
beim Pferderennen kennen gelernt, und um meinem
jungen Freunde auch eine Artigkeit zu erweisen, lud
ich ihn ein, mit mir zu Abend zu essen. Spät erst
schieden wir, wahrscheinlich auf immer, aber grade
solche Bekanntschaften liebe ich -- sie lassen nicht Zeit
zur Verstellung; unbekannt mit den Verhältnissen,
sieht jeder, und schätzt am andern: nur den Men-
schen. Was jeder vom andern an guter Meinung
erlangt, hat er sich dann wenigstens selbst zu ver-
danken.


Menge der Arbeiter und der Seltenheit der Arbeit,
keiner von dieſen ſoviel verdient, um ſich ſatt zu
eſſen? Demohngeachtet wird jeder noch etwas erüb-
rigen, um es ſeinem Prieſter zu geben, und wenn ſie
in ſeine Hütte kommen, wird er die letzte Kartoffel
mit ihnen theilen, und einen Scherz dazu machen.“

Jetzt näherten wir uns Gallway’s Hügeln, über
denen die Sonne prachtvoll unterging. Nie kann ich
dieſes Schauſpiel unbewegt anſehen — immer ent-
zückt es mich, und läßt ein Gefühl von Ruhe und
Sicherheit, mit der Gewißheit in mir zurück, daß
dieſe Sprache, die Gott ſelbſt zu uns redet, nicht
lügen kann — wenn Menſchenoffenbarung auch nur
Stückwerk wäre, von Jedem anders verſtanden, und
nur zu oft von Liſt und Eigennutz gemißbraucht.

Wir ſtiegen in demſelben Gaſthofe ab, den ich
beim Pferderennen kennen gelernt, und um meinem
jungen Freunde auch eine Artigkeit zu erweiſen, lud
ich ihn ein, mit mir zu Abend zu eſſen. Spät erſt
ſchieden wir, wahrſcheinlich auf immer, aber grade
ſolche Bekanntſchaften liebe ich — ſie laſſen nicht Zeit
zur Verſtellung; unbekannt mit den Verhältniſſen,
ſieht jeder, und ſchätzt am andern: nur den Men-
ſchen. Was jeder vom andern an guter Meinung
erlangt, hat er ſich dann wenigſtens ſelbſt zu ver-
danken.


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[267/0291] Menge der Arbeiter und der Seltenheit der Arbeit, keiner von dieſen ſoviel verdient, um ſich ſatt zu eſſen? Demohngeachtet wird jeder noch etwas erüb- rigen, um es ſeinem Prieſter zu geben, und wenn ſie in ſeine Hütte kommen, wird er die letzte Kartoffel mit ihnen theilen, und einen Scherz dazu machen.“ Jetzt näherten wir uns Gallway’s Hügeln, über denen die Sonne prachtvoll unterging. Nie kann ich dieſes Schauſpiel unbewegt anſehen — immer ent- zückt es mich, und läßt ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit, mit der Gewißheit in mir zurück, daß dieſe Sprache, die Gott ſelbſt zu uns redet, nicht lügen kann — wenn Menſchenoffenbarung auch nur Stückwerk wäre, von Jedem anders verſtanden, und nur zu oft von Liſt und Eigennutz gemißbraucht. Wir ſtiegen in demſelben Gaſthofe ab, den ich beim Pferderennen kennen gelernt, und um meinem jungen Freunde auch eine Artigkeit zu erweiſen, lud ich ihn ein, mit mir zu Abend zu eſſen. Spät erſt ſchieden wir, wahrſcheinlich auf immer, aber grade ſolche Bekanntſchaften liebe ich — ſie laſſen nicht Zeit zur Verſtellung; unbekannt mit den Verhältniſſen, ſieht jeder, und ſchätzt am andern: nur den Men- ſchen. Was jeder vom andern an guter Meinung erlangt, hat er ſich dann wenigſtens ſelbſt zu ver- danken.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/291>, abgerufen am 22.11.2024.