zwar beständig, aber unter Lachen, mit Laune, Witz und drolligen Worten, ohne Zudringlichkeit, wie ohne rancune, wenn es nichts erhält. Auffallend ist gewiß, bei dieser großen Armuth, die eben so große Ehrlich- keit dieser Menschen -- vielleicht entsteht eben eine aus der andern -- denn der Luxus macht erst begehr- lich, und der Arme entbehrt das Nothwendige oft leichter, als der Reiche das Ueberflüssige.
Wir sahen eine Menge Arbeiter, an der Chaussee auf den Steinhaufen sitzend, wo sie die Steine zer- schlugen, und a mesure daß diese Arbeit fortschritt, erhöhte sich ihr Sitz. Mein Reisegefährte sagte: das sind Eroberer -- sie zertrümmern nur, und steigen doch durch Zerstörung. Indem stieß unser Kutscher in sein Horn, ein Zeichen der Briefpost, dem, wie bei uns, ausgewichen werden muß; der Ton kam aber so schwierig heraus, und klang so jämmerlich, daß alles darüber lachte. Ein hübscher, wie Glück und Freude aussehender, obgleich fast nackter zwölfjähri- ger Knabe, der auf einem der Steinhaufen, auch häm- mernd, saß, jauchzte vor Muthwillen auf, und rief dem sich vergebens ärgernden Kutscher nach: "Oho Freund! Eure Trompete muß den Schnupfen bekom- men haben, sie ist ja so heiser, wie meine alte Groß- mutter. Curirt sie schnell mit einem Glase Potheen, oder sie stirbt Euch an der Auszehrung, noch ehe Ihr Gallway erreicht." Ein schallendes Gelächter aller Arbeiter folgte als Chorus. "Sehen Sie, das ist unser Volk", rief mein Begleiter: "Hungern und La- chen -- das ist ihr Loos. Glauben Sie, daß bei der
zwar beſtändig, aber unter Lachen, mit Laune, Witz und drolligen Worten, ohne Zudringlichkeit, wie ohne rancune, wenn es nichts erhält. Auffallend iſt gewiß, bei dieſer großen Armuth, die eben ſo große Ehrlich- keit dieſer Menſchen — vielleicht entſteht eben eine aus der andern — denn der Luxus macht erſt begehr- lich, und der Arme entbehrt das Nothwendige oft leichter, als der Reiche das Ueberflüſſige.
Wir ſahen eine Menge Arbeiter, an der Chauſſee auf den Steinhaufen ſitzend, wo ſie die Steine zer- ſchlugen, und à mesure daß dieſe Arbeit fortſchritt, erhöhte ſich ihr Sitz. Mein Reiſegefährte ſagte: das ſind Eroberer — ſie zertrümmern nur, und ſteigen doch durch Zerſtörung. Indem ſtieß unſer Kutſcher in ſein Horn, ein Zeichen der Briefpoſt, dem, wie bei uns, ausgewichen werden muß; der Ton kam aber ſo ſchwierig heraus, und klang ſo jämmerlich, daß alles darüber lachte. Ein hübſcher, wie Glück und Freude ausſehender, obgleich faſt nackter zwölfjähri- ger Knabe, der auf einem der Steinhaufen, auch häm- mernd, ſaß, jauchzte vor Muthwillen auf, und rief dem ſich vergebens ärgernden Kutſcher nach: „Oho Freund! Eure Trompete muß den Schnupfen bekom- men haben, ſie iſt ja ſo heiſer, wie meine alte Groß- mutter. Curirt ſie ſchnell mit einem Glaſe Potheen, oder ſie ſtirbt Euch an der Auszehrung, noch ehe Ihr Gallway erreicht.“ Ein ſchallendes Gelächter aller Arbeiter folgte als Chorus. „Sehen Sie, das iſt unſer Volk“, rief mein Begleiter: „Hungern und La- chen — das iſt ihr Loos. Glauben Sie, daß bei der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0290"n="266"/>
zwar beſtändig, aber unter Lachen, mit Laune, Witz<lb/>
und drolligen Worten, ohne Zudringlichkeit, wie ohne<lb/><hirendition="#aq">rancune,</hi> wenn es nichts erhält. Auffallend iſt gewiß,<lb/>
bei dieſer großen Armuth, die eben ſo große Ehrlich-<lb/>
keit dieſer Menſchen — vielleicht entſteht eben eine<lb/>
aus der andern — denn der Luxus macht erſt begehr-<lb/>
lich, und der Arme entbehrt das Nothwendige oft<lb/>
leichter, als der Reiche das Ueberflüſſige.</p><lb/><p>Wir ſahen eine Menge Arbeiter, an der Chauſſee<lb/>
auf den Steinhaufen ſitzend, wo ſie die Steine zer-<lb/>ſchlugen, und <hirendition="#aq">à mesure</hi> daß dieſe Arbeit fortſchritt,<lb/>
erhöhte ſich ihr Sitz. Mein Reiſegefährte ſagte: das<lb/>ſind Eroberer —ſie zertrümmern nur, und ſteigen<lb/>
doch durch Zerſtörung. Indem ſtieß unſer Kutſcher<lb/>
in ſein Horn, ein Zeichen der Briefpoſt, dem, wie bei<lb/>
uns, ausgewichen werden muß; der Ton kam aber<lb/>ſo ſchwierig heraus, und klang ſo jämmerlich, daß<lb/>
alles darüber lachte. Ein hübſcher, wie Glück und<lb/>
Freude ausſehender, obgleich faſt nackter zwölfjähri-<lb/>
ger Knabe, der auf einem der Steinhaufen, auch häm-<lb/>
mernd, ſaß, jauchzte vor Muthwillen auf, und rief<lb/>
dem ſich vergebens ärgernden Kutſcher nach: „Oho<lb/>
Freund! Eure Trompete muß den Schnupfen bekom-<lb/>
men haben, ſie iſt ja ſo heiſer, wie meine alte Groß-<lb/>
mutter. Curirt ſie ſchnell mit einem Glaſe Potheen,<lb/>
oder ſie ſtirbt Euch an der Auszehrung, noch ehe Ihr<lb/>
Gallway erreicht.“ Ein ſchallendes Gelächter aller<lb/>
Arbeiter folgte als Chorus. „Sehen Sie, das iſt<lb/>
unſer Volk“, rief mein Begleiter: „Hungern und La-<lb/>
chen — das iſt ihr Loos. Glauben Sie, daß bei der<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[266/0290]
zwar beſtändig, aber unter Lachen, mit Laune, Witz
und drolligen Worten, ohne Zudringlichkeit, wie ohne
rancune, wenn es nichts erhält. Auffallend iſt gewiß,
bei dieſer großen Armuth, die eben ſo große Ehrlich-
keit dieſer Menſchen — vielleicht entſteht eben eine
aus der andern — denn der Luxus macht erſt begehr-
lich, und der Arme entbehrt das Nothwendige oft
leichter, als der Reiche das Ueberflüſſige.
Wir ſahen eine Menge Arbeiter, an der Chauſſee
auf den Steinhaufen ſitzend, wo ſie die Steine zer-
ſchlugen, und à mesure daß dieſe Arbeit fortſchritt,
erhöhte ſich ihr Sitz. Mein Reiſegefährte ſagte: das
ſind Eroberer — ſie zertrümmern nur, und ſteigen
doch durch Zerſtörung. Indem ſtieß unſer Kutſcher
in ſein Horn, ein Zeichen der Briefpoſt, dem, wie bei
uns, ausgewichen werden muß; der Ton kam aber
ſo ſchwierig heraus, und klang ſo jämmerlich, daß
alles darüber lachte. Ein hübſcher, wie Glück und
Freude ausſehender, obgleich faſt nackter zwölfjähri-
ger Knabe, der auf einem der Steinhaufen, auch häm-
mernd, ſaß, jauchzte vor Muthwillen auf, und rief
dem ſich vergebens ärgernden Kutſcher nach: „Oho
Freund! Eure Trompete muß den Schnupfen bekom-
men haben, ſie iſt ja ſo heiſer, wie meine alte Groß-
mutter. Curirt ſie ſchnell mit einem Glaſe Potheen,
oder ſie ſtirbt Euch an der Auszehrung, noch ehe Ihr
Gallway erreicht.“ Ein ſchallendes Gelächter aller
Arbeiter folgte als Chorus. „Sehen Sie, das iſt
unſer Volk“, rief mein Begleiter: „Hungern und La-
chen — das iſt ihr Loos. Glauben Sie, daß bei der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/290>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.