sonore Stimme; dagegen mißfiel mir das Benehmen der jungen Theologen in hohem Grade. Es war widerlich heuchelnd. Fortwährend rieben sie sich die Augen mit dem Schnupftuch, hielten es in Zer- knirschung vor sich, als zerflössen sie in Thränen, antworteten nur mit erstickter Stimme -- kurz, Herrnhuter hätten es nicht besser machen können. La grace n'y etait pas, gewiß von keiner Art.
Eine der sonderbarsten Sitten ist, daß Jeder, wenn er, beim Kommen oder Gehen, sein Gebet spricht, sich damit in einen Winkel oder doch gegen die Wand kehrt, als ob er etwas Unschickliches unternähme, das man nicht sehen dürfte.
Ich muß es gerade heraussagen -- ich begreife nicht, wie ein denkender Mensch durch einen solchen Gottesdienst erbaut werden kann. Und doch, wie schön und erhaben könnte dieser seyn! wenn nur der Sektengeist bei uns verbannt würde; wenn wir fer- ner das Lächerliche zweckloser Ceremonien beseitigend, doch auch nicht einen abstrakten Kultus verlangen wollten, der die Sinne ganz ausschließen soll, eine Unmöglichkeit bei den sinnlichen Menschen! Warum sollen wir nicht, um das höchste Wesen zu verehren, alle unsre besten Kräfte, von ihm verliehen, zu einem solchen Zwecke anwenden, warum nicht Kunst jeder Art, in ihren höchsten Leistungen, dazu benutzen, um Gott das Herrlichste zu widmen, was mensch- liche Fähigkeiten vermögen? Freilich denke ich mir hier eine Gemeinde, deren Frömmigkeit, gleich weit
ſonore Stimme; dagegen mißfiel mir das Benehmen der jungen Theologen in hohem Grade. Es war widerlich heuchelnd. Fortwährend rieben ſie ſich die Augen mit dem Schnupftuch, hielten es in Zer- knirſchung vor ſich, als zerflöſſen ſie in Thränen, antworteten nur mit erſtickter Stimme — kurz, Herrnhuter hätten es nicht beſſer machen können. La grâce n’y etait pas, gewiß von keiner Art.
Eine der ſonderbarſten Sitten iſt, daß Jeder, wenn er, beim Kommen oder Gehen, ſein Gebet ſpricht, ſich damit in einen Winkel oder doch gegen die Wand kehrt, als ob er etwas Unſchickliches unternähme, das man nicht ſehen dürfte.
Ich muß es gerade herausſagen — ich begreife nicht, wie ein denkender Menſch durch einen ſolchen Gottesdienſt erbaut werden kann. Und doch, wie ſchön und erhaben könnte dieſer ſeyn! wenn nur der Sektengeiſt bei uns verbannt würde; wenn wir fer- ner das Lächerliche zweckloſer Ceremonien beſeitigend, doch auch nicht einen abſtrakten Kultus verlangen wollten, der die Sinne ganz ausſchließen ſoll, eine Unmöglichkeit bei den ſinnlichen Menſchen! Warum ſollen wir nicht, um das höchſte Weſen zu verehren, alle unſre beſten Kräfte, von ihm verliehen, zu einem ſolchen Zwecke anwenden, warum nicht Kunſt jeder Art, in ihren höchſten Leiſtungen, dazu benutzen, um Gott das Herrlichſte zu widmen, was menſch- liche Fähigkeiten vermögen? Freilich denke ich mir hier eine Gemeinde, deren Frömmigkeit, gleich weit
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ſonore Stimme; dagegen mißfiel mir das Benehmen
der jungen Theologen in hohem Grade. Es war
widerlich heuchelnd. Fortwährend rieben ſie ſich die
Augen mit dem Schnupftuch, hielten es in Zer-
knirſchung vor ſich, als zerflöſſen ſie in Thränen,
antworteten nur mit erſtickter Stimme — kurz,
Herrnhuter hätten es nicht beſſer machen können.
La grâce n’y etait pas, gewiß von keiner Art.
Eine der ſonderbarſten Sitten iſt, daß Jeder, wenn
er, beim Kommen oder Gehen, ſein Gebet ſpricht,
ſich damit in einen Winkel oder doch gegen die Wand
kehrt, als ob er etwas Unſchickliches unternähme,
das man nicht ſehen dürfte.
Ich muß es gerade herausſagen — ich begreife
nicht, wie ein denkender Menſch durch einen ſolchen
Gottesdienſt erbaut werden kann. Und doch, wie
ſchön und erhaben könnte dieſer ſeyn! wenn nur der
Sektengeiſt bei uns verbannt würde; wenn wir fer-
ner das Lächerliche zweckloſer Ceremonien beſeitigend,
doch auch nicht einen abſtrakten Kultus verlangen
wollten, der die Sinne ganz ausſchließen ſoll, eine
Unmöglichkeit bei den ſinnlichen Menſchen! Warum
ſollen wir nicht, um das höchſte Weſen zu verehren,
alle unſre beſten Kräfte, von ihm verliehen, zu einem
ſolchen Zwecke anwenden, warum nicht Kunſt jeder
Art, in ihren höchſten Leiſtungen, dazu benutzen,
um Gott das Herrlichſte zu widmen, was menſch-
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/247>, abgerufen am 23.11.2024.
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