zu bereichern? *) Dann freilich -- kann deine Reli- gion nicht weiter gehn, als den Sonntag und die Ceremonieen deiner Priester heilig zu halten.
Von hier bis Bray prunkt eine üppige Cultur, voller Landhäuser und Gärten der reichen Städter. Der Weg führt nahe am Fuß des großen Sugar Loaf's vorbei, dessen weißgrauer, nackter Felsenkegel von aller Vegetation entblößt ist. Ich sah einige Reisende, die ihn eben erstiegen hatten, wie Schach- figuren, darauf umher spazieren, und beneidete sie um die erhabne Aussicht, denn der Tag war herrlich, und der Himmel völlig klar geworden. An einer ein- samen Stelle lagerte ich mich gegen Abend, unter Feldblumen am Bache hin, und träumte, Gott dan- kend, in die schöne Welt hinein; wie ein fahrender Ritter mein zahmes Thier neben mir grasen lassend. Ich dachte viel an Dich und vergangene Zeiten, ließ Lebende herankommen und Todte auferstehen, und blickte, wie ein Spiegel, über das geschwundene Le- ben hin -- manchmal wehmüthig, manchmal auch heiter lächelnd -- denn durch alle Thorheiten und Eitelkeiten dieser Welt, durch Irrthum und Fehler zog sich doch ein reiner Silbersaden hin, noch stark genug für lange auszuhalten -- kindlich liebendes Ge-
*) Das ist keineswegs Uebertreibung, ich habe hier Acten- kundige Dinge vernommen, und Elend gesehen, das nie während der Leibeigenschaft in Deutschland erhört wor- den ist, und in den Ländern der Sclaverei kaum seines Gleichen finden möchte. A. d. H.
zu bereichern? *) Dann freilich — kann deine Reli- gion nicht weiter gehn, als den Sonntag und die Ceremonieen deiner Prieſter heilig zu halten.
Von hier bis Bray prunkt eine üppige Cultur, voller Landhäuſer und Gärten der reichen Städter. Der Weg führt nahe am Fuß des großen Sugar Loaf’s vorbei, deſſen weißgrauer, nackter Felſenkegel von aller Vegetation entblößt iſt. Ich ſah einige Reiſende, die ihn eben erſtiegen hatten, wie Schach- figuren, darauf umher ſpazieren, und beneidete ſie um die erhabne Ausſicht, denn der Tag war herrlich, und der Himmel völlig klar geworden. An einer ein- ſamen Stelle lagerte ich mich gegen Abend, unter Feldblumen am Bache hin, und träumte, Gott dan- kend, in die ſchöne Welt hinein; wie ein fahrender Ritter mein zahmes Thier neben mir graſen laſſend. Ich dachte viel an Dich und vergangene Zeiten, ließ Lebende herankommen und Todte auferſtehen, und blickte, wie ein Spiegel, über das geſchwundene Le- ben hin — manchmal wehmüthig, manchmal auch heiter lächelnd — denn durch alle Thorheiten und Eitelkeiten dieſer Welt, durch Irrthum und Fehler zog ſich doch ein reiner Silberſaden hin, noch ſtark genug für lange auszuhalten — kindlich liebendes Ge-
*) Das iſt keineswegs Uebertreibung, ich habe hier Acten- kundige Dinge vernommen, und Elend geſehen, das nie während der Leibeigenſchaft in Deutſchland erhört wor- den iſt, und in den Ländern der Sclaverei kaum ſeines Gleichen finden möchte. A. d. H.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0221"n="197"/>
zu bereichern? <noteplace="foot"n="*)">Das iſt keineswegs Uebertreibung, ich habe hier Acten-<lb/>
kundige Dinge vernommen, und Elend geſehen, das nie<lb/>
während der Leibeigenſchaft in Deutſchland erhört wor-<lb/>
den iſt, und in den Ländern der Sclaverei kaum ſeines<lb/>
Gleichen finden möchte.<lb/><hirendition="#et">A. d. H.</hi></note> Dann freilich — kann deine Reli-<lb/>
gion nicht weiter gehn, als den Sonntag und die<lb/>
Ceremonieen deiner Prieſter heilig zu halten.</p><lb/><p>Von hier bis Bray prunkt eine üppige Cultur,<lb/>
voller Landhäuſer und Gärten der reichen Städter.<lb/>
Der Weg führt nahe am Fuß des großen Sugar<lb/>
Loaf’s vorbei, deſſen weißgrauer, nackter Felſenkegel<lb/>
von aller Vegetation entblößt iſt. Ich ſah einige<lb/>
Reiſende, die ihn eben erſtiegen hatten, wie Schach-<lb/>
figuren, darauf umher ſpazieren, und beneidete ſie um<lb/>
die erhabne Ausſicht, denn der Tag war herrlich,<lb/>
und der Himmel völlig klar geworden. An einer ein-<lb/>ſamen Stelle lagerte ich mich gegen Abend, unter<lb/>
Feldblumen am Bache hin, und träumte, Gott dan-<lb/>
kend, in die ſchöne Welt hinein; wie ein fahrender<lb/>
Ritter mein zahmes Thier neben mir graſen laſſend.<lb/>
Ich dachte viel an Dich und vergangene Zeiten, ließ<lb/>
Lebende herankommen und Todte auferſtehen, und<lb/>
blickte, wie ein Spiegel, über das geſchwundene Le-<lb/>
ben hin — manchmal wehmüthig, manchmal auch<lb/>
heiter lächelnd — denn durch alle Thorheiten und<lb/>
Eitelkeiten dieſer Welt, durch Irrthum und Fehler<lb/>
zog ſich doch <hirendition="#g">ein</hi> reiner Silberſaden hin, noch ſtark<lb/>
genug für lange auszuhalten — kindlich liebendes Ge-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[197/0221]
zu bereichern? *) Dann freilich — kann deine Reli-
gion nicht weiter gehn, als den Sonntag und die
Ceremonieen deiner Prieſter heilig zu halten.
Von hier bis Bray prunkt eine üppige Cultur,
voller Landhäuſer und Gärten der reichen Städter.
Der Weg führt nahe am Fuß des großen Sugar
Loaf’s vorbei, deſſen weißgrauer, nackter Felſenkegel
von aller Vegetation entblößt iſt. Ich ſah einige
Reiſende, die ihn eben erſtiegen hatten, wie Schach-
figuren, darauf umher ſpazieren, und beneidete ſie um
die erhabne Ausſicht, denn der Tag war herrlich,
und der Himmel völlig klar geworden. An einer ein-
ſamen Stelle lagerte ich mich gegen Abend, unter
Feldblumen am Bache hin, und träumte, Gott dan-
kend, in die ſchöne Welt hinein; wie ein fahrender
Ritter mein zahmes Thier neben mir graſen laſſend.
Ich dachte viel an Dich und vergangene Zeiten, ließ
Lebende herankommen und Todte auferſtehen, und
blickte, wie ein Spiegel, über das geſchwundene Le-
ben hin — manchmal wehmüthig, manchmal auch
heiter lächelnd — denn durch alle Thorheiten und
Eitelkeiten dieſer Welt, durch Irrthum und Fehler
zog ſich doch ein reiner Silberſaden hin, noch ſtark
genug für lange auszuhalten — kindlich liebendes Ge-
*) Das iſt keineswegs Uebertreibung, ich habe hier Acten-
kundige Dinge vernommen, und Elend geſehen, das nie
während der Leibeigenſchaft in Deutſchland erhört wor-
den iſt, und in den Ländern der Sclaverei kaum ſeines
Gleichen finden möchte.
A. d. H.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/221>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.