Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

Vernichtung einer andern Individualität, gegründet.
Ein Geschlecht lebt immer von der Zerstörung des
andern, Leben entsteht nur durch Tod, bis in alle
Ewigkeit der Erscheinung, welche grade auf diese Art
Einheit im fortwährenden Wechsel bleibt.

Es ist auch der Bemerkung werth, daß diese Furcht
obgleich uns Allen zu unsrem irdischen Bestehen so
unumgänglich nöthig, dennoch, selbst hier, von unserm
göttlichen Theile so sehr gering geschätzt wird, daß
fast kein mögliches Verbrechen uns so tiefe Verach-
tung
einflößt als Feigheit. Nichts bezwingt da-
gegen die Furcht besser als eine große Idee, die aus
dem Reiche der Liebe entsprießt. Auch Andere reißt
man, so beseelt, dann mit sich fort und ganze Völker
werden davon, sich aufopfernd, ergriffen, wenn gleich
nichts Irdisches ganz rein von Beimischung des nied-
rigerern Prinzips sich erhalten kann. Furcht also
wird, in der Zeit und im Raume, Liebe ist, und
kennt keine Zeit noch Raum. Die Liebe ist unend-
lich und selig, die Furcht stirbt eines ewigen Todes.
Die Liebe ist Gott, die Furcht ist der Teufel -- und
ihm gehört bekanntlich die Erde zur größern Hälfte.



Bei meiner Rückkehr nach Bangor machte ich ge-
stern die Bekanntschaft des Besitzers von Peurhyn
Castle (dem schwarzen Sachsenschloß, das ich Dir be-
schrieben), ein Mann der in der Bauleidenschaft mir
wahlverwandt ist. Schon 7 Jahr wird an dem Schloß

Vernichtung einer andern Individualität, gegründet.
Ein Geſchlecht lebt immer von der Zerſtörung des
andern, Leben entſteht nur durch Tod, bis in alle
Ewigkeit der Erſcheinung, welche grade auf dieſe Art
Einheit im fortwährenden Wechſel bleibt.

Es iſt auch der Bemerkung werth, daß dieſe Furcht
obgleich uns Allen zu unſrem irdiſchen Beſtehen ſo
unumgänglich nöthig, dennoch, ſelbſt hier, von unſerm
göttlichen Theile ſo ſehr gering geſchätzt wird, daß
faſt kein mögliches Verbrechen uns ſo tiefe Verach-
tung
einflößt als Feigheit. Nichts bezwingt da-
gegen die Furcht beſſer als eine große Idee, die aus
dem Reiche der Liebe entſprießt. Auch Andere reißt
man, ſo beſeelt, dann mit ſich fort und ganze Völker
werden davon, ſich aufopfernd, ergriffen, wenn gleich
nichts Irdiſches ganz rein von Beimiſchung des nied-
rigerern Prinzips ſich erhalten kann. Furcht alſo
wird, in der Zeit und im Raume, Liebe iſt, und
kennt keine Zeit noch Raum. Die Liebe iſt unend-
lich und ſelig, die Furcht ſtirbt eines ewigen Todes.
Die Liebe iſt Gott, die Furcht iſt der Teufel — und
ihm gehört bekanntlich die Erde zur größern Hälfte.



Bei meiner Rückkehr nach Bangor machte ich ge-
ſtern die Bekanntſchaft des Beſitzers von Peurhyn
Caſtle (dem ſchwarzen Sachſenſchloß, das ich Dir be-
ſchrieben), ein Mann der in der Bauleidenſchaft mir
wahlverwandt iſt. Schon 7 Jahr wird an dem Schloß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0156" n="132"/>
Vernichtung einer andern Individualität, gegründet.<lb/>
Ein Ge&#x017F;chlecht lebt immer von der Zer&#x017F;törung des<lb/>
andern, Leben ent&#x017F;teht nur durch Tod, bis in alle<lb/>
Ewigkeit der Er&#x017F;cheinung, welche grade auf die&#x017F;e Art<lb/>
Einheit im <choice><sic>fortwa&#x0307;hrenden</sic><corr>fortwährenden</corr></choice> Wech&#x017F;el bleibt.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t auch der Bemerkung werth, daß die&#x017F;e Furcht<lb/>
obgleich uns Allen zu un&#x017F;rem irdi&#x017F;chen Be&#x017F;tehen &#x017F;o<lb/>
unumgänglich nöthig, dennoch, &#x017F;elb&#x017F;t hier, von un&#x017F;erm<lb/>
göttlichen Theile &#x017F;o &#x017F;ehr gering ge&#x017F;chätzt wird, daß<lb/>
fa&#x017F;t kein mögliches Verbrechen uns &#x017F;o tiefe <hi rendition="#g">Verach-<lb/>
tung</hi> einflößt als <hi rendition="#g">Feigheit</hi>. Nichts bezwingt da-<lb/>
gegen die Furcht be&#x017F;&#x017F;er als eine große Idee, die aus<lb/>
dem Reiche der Liebe ent&#x017F;prießt. Auch Andere reißt<lb/>
man, &#x017F;o be&#x017F;eelt, dann mit &#x017F;ich fort und ganze Völker<lb/>
werden davon, &#x017F;ich aufopfernd, ergriffen, wenn gleich<lb/>
nichts Irdi&#x017F;ches ganz rein von Beimi&#x017F;chung des nied-<lb/>
rigerern Prinzips &#x017F;ich erhalten kann. Furcht al&#x017F;o<lb/><hi rendition="#g">wird</hi>, in der Zeit und im Raume, Liebe <hi rendition="#g">i&#x017F;t</hi>, und<lb/>
kennt keine Zeit noch Raum. Die Liebe i&#x017F;t unend-<lb/>
lich und &#x017F;elig, die Furcht &#x017F;tirbt eines ewigen Todes.<lb/>
Die Liebe i&#x017F;t Gott, die Furcht i&#x017F;t der Teufel &#x2014; und<lb/>
ihm gehört bekanntlich die Erde zur größern Hälfte.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <opener>
            <dateline> <hi rendition="#et">K &#x2026; Park, den 2<hi rendition="#sup">ten</hi> Augu&#x017F;t.</hi> </dateline>
          </opener><lb/>
          <p>Bei meiner Rückkehr nach Bangor machte ich ge-<lb/>
&#x017F;tern die Bekannt&#x017F;chaft des Be&#x017F;itzers von Peurhyn<lb/>
Ca&#x017F;tle (dem &#x017F;chwarzen Sach&#x017F;en&#x017F;chloß, das ich Dir be-<lb/>
&#x017F;chrieben), ein Mann der in der Bauleiden&#x017F;chaft mir<lb/>
wahlverwandt i&#x017F;t. Schon 7 Jahr wird an dem Schloß<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0156] Vernichtung einer andern Individualität, gegründet. Ein Geſchlecht lebt immer von der Zerſtörung des andern, Leben entſteht nur durch Tod, bis in alle Ewigkeit der Erſcheinung, welche grade auf dieſe Art Einheit im fortwährenden Wechſel bleibt. Es iſt auch der Bemerkung werth, daß dieſe Furcht obgleich uns Allen zu unſrem irdiſchen Beſtehen ſo unumgänglich nöthig, dennoch, ſelbſt hier, von unſerm göttlichen Theile ſo ſehr gering geſchätzt wird, daß faſt kein mögliches Verbrechen uns ſo tiefe Verach- tung einflößt als Feigheit. Nichts bezwingt da- gegen die Furcht beſſer als eine große Idee, die aus dem Reiche der Liebe entſprießt. Auch Andere reißt man, ſo beſeelt, dann mit ſich fort und ganze Völker werden davon, ſich aufopfernd, ergriffen, wenn gleich nichts Irdiſches ganz rein von Beimiſchung des nied- rigerern Prinzips ſich erhalten kann. Furcht alſo wird, in der Zeit und im Raume, Liebe iſt, und kennt keine Zeit noch Raum. Die Liebe iſt unend- lich und ſelig, die Furcht ſtirbt eines ewigen Todes. Die Liebe iſt Gott, die Furcht iſt der Teufel — und ihm gehört bekanntlich die Erde zur größern Hälfte. K … Park, den 2ten Auguſt. Bei meiner Rückkehr nach Bangor machte ich ge- ſtern die Bekanntſchaft des Beſitzers von Peurhyn Caſtle (dem ſchwarzen Sachſenſchloß, das ich Dir be- ſchrieben), ein Mann der in der Bauleidenſchaft mir wahlverwandt iſt. Schon 7 Jahr wird an dem Schloß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/156
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/156>, abgerufen am 22.12.2024.