Wolf, die Einsamkeit des Hauses bemerkend, hatte sich herangeschlichen und mochte schon das schlafende Kind als sichere Beute ansehen, als Gellert hervor- sprang, und nach langem Kampf, selbst schwer ver- wundet, den Feind bezwang und tödtete. Im Blute schwimmend, legte er sich zu der Wiege Füßen, ab- wechselnd des Knaben zarte Händchen und seine eig- nen Wunden leckend. In diesem Augenblicke kehrt Llewellin, noch mit dem Jagdspieß in der Hand zu- rück, tritt in das Zimmer nnd sieht mit Entsetzen die Stube, seinen Sohn mit Blut bedeckt, und den Hund über die Wiege gebeut. Von Schreck und Zorn bethört, glaubt er, dieser habe sein Kind ge- mordet, und wüthend stößt er ihm den wiederge- hackten Spies in die treue Brust. Die Augen kla- gend auf seinen Herren gerichtet, und in letzter Un- terwürfigkeit noch einmal liebkosend mit dem Schweife wedelnd, verschied mit einem herzzerreißenden Schmer- zensschrei das arme Thier -- und kaum war sein letzter Seufzer verhallt, als Llewellin den getödteten Wolf, ausgestreckt am Boden, und seinen Sohn, sanft lächelnd, in der Wiege erblickte. Der Sage nach, verfolgte seitdem des treuen Gellert's Schmer- zenslaut den betrübten Fürsten bei Tag und Nacht, so daß er zu seinem Andenken ein Monument er- baute, auf dessen Platz noch jetzt eine alte gothische Kirche steht, und wo er lange strenge Bußübungen verrichtete. Später wollte er sogar seine neue Burg auf dem nahen Merlin's Felsen aufführen lassen, aber nimmer konnte er sie zu Stande bringen. Was
Wolf, die Einſamkeit des Hauſes bemerkend, hatte ſich herangeſchlichen und mochte ſchon das ſchlafende Kind als ſichere Beute anſehen, als Gellert hervor- ſprang, und nach langem Kampf, ſelbſt ſchwer ver- wundet, den Feind bezwang und tödtete. Im Blute ſchwimmend, legte er ſich zu der Wiege Füßen, ab- wechſelnd des Knaben zarte Händchen und ſeine eig- nen Wunden leckend. In dieſem Augenblicke kehrt Llewellin, noch mit dem Jagdſpieß in der Hand zu- rück, tritt in das Zimmer nnd ſieht mit Entſetzen die Stube, ſeinen Sohn mit Blut bedeckt, und den Hund über die Wiege gebeut. Von Schreck und Zorn bethört, glaubt er, dieſer habe ſein Kind ge- mordet, und wüthend ſtößt er ihm den wiederge- hackten Spies in die treue Bruſt. Die Augen kla- gend auf ſeinen Herren gerichtet, und in letzter Un- terwürfigkeit noch einmal liebkoſend mit dem Schweife wedelnd, verſchied mit einem herzzerreißenden Schmer- zensſchrei das arme Thier — und kaum war ſein letzter Seufzer verhallt, als Llewellin den getödteten Wolf, ausgeſtreckt am Boden, und ſeinen Sohn, ſanft lächelnd, in der Wiege erblickte. Der Sage nach, verfolgte ſeitdem des treuen Gellert’s Schmer- zenslaut den betrübten Fürſten bei Tag und Nacht, ſo daß er zu ſeinem Andenken ein Monument er- baute, auf deſſen Platz noch jetzt eine alte gothiſche Kirche ſteht, und wo er lange ſtrenge Bußübungen verrichtete. Später wollte er ſogar ſeine neue Burg auf dem nahen Merlin’s Felſen aufführen laſſen, aber nimmer konnte er ſie zu Stande bringen. Was
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0145"n="121"/>
Wolf, die Einſamkeit des Hauſes bemerkend, hatte<lb/>ſich herangeſchlichen und mochte ſchon das ſchlafende<lb/>
Kind als ſichere Beute anſehen, als Gellert hervor-<lb/>ſprang, und nach langem Kampf, ſelbſt ſchwer ver-<lb/>
wundet, den Feind bezwang und tödtete. Im Blute<lb/>ſchwimmend, legte er ſich zu der Wiege Füßen, ab-<lb/>
wechſelnd des Knaben zarte Händchen und ſeine eig-<lb/>
nen Wunden leckend. In dieſem Augenblicke kehrt<lb/>
Llewellin, noch mit dem Jagdſpieß in der Hand zu-<lb/>
rück, tritt in das Zimmer nnd ſieht mit Entſetzen<lb/>
die Stube, ſeinen Sohn mit Blut bedeckt, und den<lb/>
Hund über die Wiege gebeut. Von Schreck und<lb/>
Zorn bethört, glaubt er, dieſer habe ſein Kind ge-<lb/>
mordet, und wüthend ſtößt er ihm den wiederge-<lb/>
hackten Spies in die treue Bruſt. Die Augen kla-<lb/>
gend auf ſeinen Herren gerichtet, und in letzter Un-<lb/>
terwürfigkeit noch einmal liebkoſend mit dem Schweife<lb/>
wedelnd, verſchied mit einem herzzerreißenden Schmer-<lb/>
zensſchrei das arme Thier — und kaum war ſein<lb/>
letzter Seufzer verhallt, als Llewellin den getödteten<lb/>
Wolf, ausgeſtreckt am Boden, und ſeinen Sohn,<lb/>ſanft lächelnd, in der Wiege erblickte. Der Sage<lb/>
nach, verfolgte ſeitdem des treuen Gellert’s Schmer-<lb/>
zenslaut den betrübten Fürſten bei Tag und Nacht,<lb/>ſo daß er zu ſeinem Andenken ein Monument er-<lb/>
baute, auf deſſen Platz noch jetzt eine alte gothiſche<lb/>
Kirche ſteht, und wo er lange ſtrenge Bußübungen<lb/>
verrichtete. Später wollte er ſogar ſeine neue Burg<lb/>
auf dem nahen Merlin’s Felſen aufführen laſſen,<lb/>
aber nimmer konnte er ſie zu Stande bringen. Was<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[121/0145]
Wolf, die Einſamkeit des Hauſes bemerkend, hatte
ſich herangeſchlichen und mochte ſchon das ſchlafende
Kind als ſichere Beute anſehen, als Gellert hervor-
ſprang, und nach langem Kampf, ſelbſt ſchwer ver-
wundet, den Feind bezwang und tödtete. Im Blute
ſchwimmend, legte er ſich zu der Wiege Füßen, ab-
wechſelnd des Knaben zarte Händchen und ſeine eig-
nen Wunden leckend. In dieſem Augenblicke kehrt
Llewellin, noch mit dem Jagdſpieß in der Hand zu-
rück, tritt in das Zimmer nnd ſieht mit Entſetzen
die Stube, ſeinen Sohn mit Blut bedeckt, und den
Hund über die Wiege gebeut. Von Schreck und
Zorn bethört, glaubt er, dieſer habe ſein Kind ge-
mordet, und wüthend ſtößt er ihm den wiederge-
hackten Spies in die treue Bruſt. Die Augen kla-
gend auf ſeinen Herren gerichtet, und in letzter Un-
terwürfigkeit noch einmal liebkoſend mit dem Schweife
wedelnd, verſchied mit einem herzzerreißenden Schmer-
zensſchrei das arme Thier — und kaum war ſein
letzter Seufzer verhallt, als Llewellin den getödteten
Wolf, ausgeſtreckt am Boden, und ſeinen Sohn,
ſanft lächelnd, in der Wiege erblickte. Der Sage
nach, verfolgte ſeitdem des treuen Gellert’s Schmer-
zenslaut den betrübten Fürſten bei Tag und Nacht,
ſo daß er zu ſeinem Andenken ein Monument er-
baute, auf deſſen Platz noch jetzt eine alte gothiſche
Kirche ſteht, und wo er lange ſtrenge Bußübungen
verrichtete. Später wollte er ſogar ſeine neue Burg
auf dem nahen Merlin’s Felſen aufführen laſſen,
aber nimmer konnte er ſie zu Stande bringen. Was
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/145>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.