Grün vielfache, in seltsamen Gestalten wetteifernde Felsen hervortreten, steht über dem Bergstrom auf lichter Wiese die anspruchlose, freundliche Villa. Vor ihr breitet sich in der Tiefe der See aus, und hinter diesem schließt Merlins, ganz isolirt dastehen- der, Wunderfelsen scheinbar das Thal, welches hier eine jählinge Biegung macht. Doppelt unvergeßlich bleibt mir Dinas Emris, einmal wegen seiner ro- mantischen Schönheit, und zweitens weil ich auf ihm wörtlich zwischen Leben und Tod hing. Ob- gleich nicht höher als 4 -- 500 Fuß, wird er doch nur von einer Seite als zugänglich angesehen. Ich hatte einen kleinen Knaben als Führer mitgenom- men, der aber, an Ort und Stelle angekommen, seiner Sache nicht recht sicher schien. Der Weg, den er durch das Eichengestrüpp nahm, schien mir gleich von Anfang an, wegen seiner ungemeinen Steilheit verdächtig, indessen beruhigte er meine Besorgniß in gebrochenem Englisch, und ich konnte nichts andres thun als der kleinen Gemse, so gut als möglich, folgen. Merlin schien uns zu zürnen, es hatte sich ein heftiger Wind erhoben, und die Sonne, die uns einen Augenblick angeglänzt, lagerte sich hinter schwarze Wolken, das lange nasse Gras aber, wel- ches über die Steinblöcke hing, machte das Klettern sehr gefährlich. Den barfußen kleinen Jungen focht dieß indeß nicht sehr an, desto mehr meine von gestern noch etwas steifen Glieder. Je höher wir uns em- por arbeiteten, je steiler wurden die Felsen, oft war es nur, mit Hülfe der aus den Spalten wachsenden
Grün vielfache, in ſeltſamen Geſtalten wetteifernde Felſen hervortreten, ſteht über dem Bergſtrom auf lichter Wieſe die anſpruchloſe, freundliche Villa. Vor ihr breitet ſich in der Tiefe der See aus, und hinter dieſem ſchließt Merlins, ganz iſolirt daſtehen- der, Wunderfelſen ſcheinbar das Thal, welches hier eine jählinge Biegung macht. Doppelt unvergeßlich bleibt mir Dinas Emris, einmal wegen ſeiner ro- mantiſchen Schönheit, und zweitens weil ich auf ihm wörtlich zwiſchen Leben und Tod hing. Ob- gleich nicht höher als 4 — 500 Fuß, wird er doch nur von einer Seite als zugänglich angeſehen. Ich hatte einen kleinen Knaben als Führer mitgenom- men, der aber, an Ort und Stelle angekommen, ſeiner Sache nicht recht ſicher ſchien. Der Weg, den er durch das Eichengeſtrüpp nahm, ſchien mir gleich von Anfang an, wegen ſeiner ungemeinen Steilheit verdächtig, indeſſen beruhigte er meine Beſorgniß in gebrochenem Engliſch, und ich konnte nichts andres thun als der kleinen Gemſe, ſo gut als möglich, folgen. Merlin ſchien uns zu zürnen, es hatte ſich ein heftiger Wind erhoben, und die Sonne, die uns einen Augenblick angeglänzt, lagerte ſich hinter ſchwarze Wolken, das lange naſſe Gras aber, wel- ches über die Steinblöcke hing, machte das Klettern ſehr gefährlich. Den barfußen kleinen Jungen focht dieß indeß nicht ſehr an, deſto mehr meine von geſtern noch etwas ſteifen Glieder. Je höher wir uns em- por arbeiteten, je ſteiler wurden die Felſen, oft war es nur, mit Hülfe der aus den Spalten wachſenden
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0140"n="116"/>
Grün vielfache, in ſeltſamen Geſtalten wetteifernde<lb/>
Felſen hervortreten, ſteht über dem Bergſtrom auf<lb/>
lichter Wieſe die anſpruchloſe, freundliche Villa.<lb/>
Vor ihr breitet ſich in der Tiefe der See aus, und<lb/>
hinter dieſem ſchließt Merlins, ganz iſolirt daſtehen-<lb/>
der, Wunderfelſen ſcheinbar das Thal, welches hier<lb/>
eine jählinge Biegung macht. Doppelt unvergeßlich<lb/>
bleibt mir Dinas Emris, einmal wegen ſeiner ro-<lb/>
mantiſchen Schönheit, und zweitens weil ich auf<lb/>
ihm wörtlich zwiſchen Leben und Tod hing. Ob-<lb/>
gleich nicht höher als 4 — 500 Fuß, wird er doch<lb/>
nur von einer Seite als zugänglich angeſehen. Ich<lb/>
hatte einen kleinen Knaben als Führer mitgenom-<lb/>
men, der aber, an Ort und Stelle angekommen,<lb/>ſeiner Sache nicht recht ſicher ſchien. Der Weg, den<lb/>
er durch das Eichengeſtrüpp nahm, ſchien mir gleich<lb/>
von Anfang an, wegen ſeiner ungemeinen Steilheit<lb/>
verdächtig, indeſſen beruhigte er meine Beſorgniß in<lb/>
gebrochenem Engliſch, und ich konnte nichts andres<lb/>
thun als der kleinen Gemſe, ſo gut als möglich,<lb/>
folgen. Merlin ſchien uns zu zürnen, es hatte ſich<lb/>
ein heftiger Wind erhoben, und die Sonne, die uns<lb/>
einen Augenblick angeglänzt, lagerte ſich hinter<lb/>ſchwarze Wolken, das lange naſſe Gras aber, wel-<lb/>
ches über die Steinblöcke hing, machte das Klettern<lb/>ſehr gefährlich. Den barfußen kleinen Jungen focht<lb/>
dieß indeß nicht ſehr an, deſto mehr meine von geſtern<lb/>
noch etwas ſteifen Glieder. Je höher wir uns em-<lb/>
por arbeiteten, je ſteiler wurden die Felſen, oft war<lb/>
es nur, mit Hülfe der aus den Spalten wachſenden<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[116/0140]
Grün vielfache, in ſeltſamen Geſtalten wetteifernde
Felſen hervortreten, ſteht über dem Bergſtrom auf
lichter Wieſe die anſpruchloſe, freundliche Villa.
Vor ihr breitet ſich in der Tiefe der See aus, und
hinter dieſem ſchließt Merlins, ganz iſolirt daſtehen-
der, Wunderfelſen ſcheinbar das Thal, welches hier
eine jählinge Biegung macht. Doppelt unvergeßlich
bleibt mir Dinas Emris, einmal wegen ſeiner ro-
mantiſchen Schönheit, und zweitens weil ich auf
ihm wörtlich zwiſchen Leben und Tod hing. Ob-
gleich nicht höher als 4 — 500 Fuß, wird er doch
nur von einer Seite als zugänglich angeſehen. Ich
hatte einen kleinen Knaben als Führer mitgenom-
men, der aber, an Ort und Stelle angekommen,
ſeiner Sache nicht recht ſicher ſchien. Der Weg, den
er durch das Eichengeſtrüpp nahm, ſchien mir gleich
von Anfang an, wegen ſeiner ungemeinen Steilheit
verdächtig, indeſſen beruhigte er meine Beſorgniß in
gebrochenem Engliſch, und ich konnte nichts andres
thun als der kleinen Gemſe, ſo gut als möglich,
folgen. Merlin ſchien uns zu zürnen, es hatte ſich
ein heftiger Wind erhoben, und die Sonne, die uns
einen Augenblick angeglänzt, lagerte ſich hinter
ſchwarze Wolken, das lange naſſe Gras aber, wel-
ches über die Steinblöcke hing, machte das Klettern
ſehr gefährlich. Den barfußen kleinen Jungen focht
dieß indeß nicht ſehr an, deſto mehr meine von geſtern
noch etwas ſteifen Glieder. Je höher wir uns em-
por arbeiteten, je ſteiler wurden die Felſen, oft war
es nur, mit Hülfe der aus den Spalten wachſenden
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/140>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.