schmählig zu Falle komme. Gewiß Freunde und Freundinnen, ein Feind, ein Vampyr, ein Atheist schrieb diese Worte. Nichts ist ihm heilig, und nicht allein die ewige Vorsicht, ja selbst unsern Heiland greift der Frevler mit verfänglichen Ausdrücken an! der Verruchte!
Das süße Lamm für ihn gestorben Rührt sein verstocktes Herze nicht! Drum mit der Seele die verdorben O Herr! halt' schleunig Strafgericht! *)
O, meine Brüder und Schwestern! schrecklich wird -- wir rechnen mit Zuversicht darauf, -- das Loos eines Solchen am jüngsten Tage seyn, wenn die Lei- ber auferstehen, und sein irdisches Ohr zum ersten- mal wieder hört, um den Donner der Posaunen zu vernehmen, die ihm ewige Verdammniß ankündigen. Da ist kein Erbarmen! da wird seyn Heulen und Zähnklappern! aber hieran sollen wir uns ein Beispiel nehmen, auch unerbittlich seyn wie jenes Strafge- richt!
Wir glaubten kaum, daß nach allen unsern christli- chen Bemühungen, in unsrer so wahrhaft, ich sage es mit Stolz, wahrhaft christlichen Stadt, wo alles an- gewendet wird, das Gift der Toleranz und des ver- ruchten Selbstdenkens zu vernichten -- denn wie kann der elende Wurm, Mensch genannt, seine Gedanken an das Göttliche legen wollen, seine Vernunft, die
*) Altes Gesangbuch.
ſchmählig zu Falle komme. Gewiß Freunde und Freundinnen, ein Feind, ein Vampyr, ein Atheiſt ſchrieb dieſe Worte. Nichts iſt ihm heilig, und nicht allein die ewige Vorſicht, ja ſelbſt unſern Heiland greift der Frevler mit verfänglichen Ausdrücken an! der Verruchte!
Das ſüße Lamm für ihn geſtorben Rührt ſein verſtocktes Herze nicht! Drum mit der Seele die verdorben O Herr! halt’ ſchleunig Strafgericht! *)
O, meine Brüder und Schweſtern! ſchrecklich wird — wir rechnen mit Zuverſicht darauf, — das Loos eines Solchen am jüngſten Tage ſeyn, wenn die Lei- ber auferſtehen, und ſein irdiſches Ohr zum erſten- mal wieder hört, um den Donner der Poſaunen zu vernehmen, die ihm ewige Verdammniß ankündigen. Da iſt kein Erbarmen! da wird ſeyn Heulen und Zähnklappern! aber hieran ſollen wir uns ein Beiſpiel nehmen, auch unerbittlich ſeyn wie jenes Strafge- richt!
Wir glaubten kaum, daß nach allen unſern chriſtli- chen Bemühungen, in unſrer ſo wahrhaft, ich ſage es mit Stolz, wahrhaft chriſtlichen Stadt, wo alles an- gewendet wird, das Gift der Toleranz und des ver- ruchten Selbſtdenkens zu vernichten — denn wie kann der elende Wurm, Menſch genannt, ſeine Gedanken an das Göttliche legen wollen, ſeine Vernunft, die
*) Altes Geſangbuch.
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ſchmählig zu Falle komme. Gewiß Freunde und
Freundinnen, ein Feind, ein Vampyr, ein Atheiſt
ſchrieb dieſe Worte. Nichts iſt ihm heilig, und nicht
allein die ewige Vorſicht, ja ſelbſt unſern Heiland
greift der Frevler mit verfänglichen Ausdrücken an!
der Verruchte!
Das ſüße Lamm für ihn geſtorben
Rührt ſein verſtocktes Herze nicht!
Drum mit der Seele die verdorben
O Herr! halt’ ſchleunig Strafgericht! *)
O, meine Brüder und Schweſtern! ſchrecklich wird
— wir rechnen mit Zuverſicht darauf, — das Loos
eines Solchen am jüngſten Tage ſeyn, wenn die Lei-
ber auferſtehen, und ſein irdiſches Ohr zum erſten-
mal wieder hört, um den Donner der Poſaunen zu
vernehmen, die ihm ewige Verdammniß ankündigen.
Da iſt kein Erbarmen! da wird ſeyn Heulen und
Zähnklappern! aber hieran ſollen wir uns ein Beiſpiel
nehmen, auch unerbittlich ſeyn wie jenes Strafge-
richt!
Wir glaubten kaum, daß nach allen unſern chriſtli-
chen Bemühungen, in unſrer ſo wahrhaft, ich ſage es
mit Stolz, wahrhaft chriſtlichen Stadt, wo alles an-
gewendet wird, das Gift der Toleranz und des ver-
ruchten Selbſtdenkens zu vernichten — denn wie kann
der elende Wurm, Menſch genannt, ſeine Gedanken
an das Göttliche legen wollen, ſeine Vernunft, die
*) Altes Geſangbuch.
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/106>, abgerufen am 16.02.2025.
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