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Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886.

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einen neuen Krieg zu verhindern; er ward Obmann des Schiedsgerichts, welches die Grenzstreitigkeiten zwischen der Union und Mexico beilegte.

So mit Würdigstem beschäftigt, betrat er die Schwelle des Greisenalters. Freilich, einen Lieblingswunsch sah er nicht erfüllt. Seine tiefe politische Einsicht, sein unbestechliches Urtheil, seine genaue Kenntniß der alten wie der neuen Welt befähigten ihn in außerordentlicher Weise, sein erwähltes Vaterland als Gesandter in Europa zu vertreten. Dies hatte er immer gewünscht, und hochgestellte, einsichtsvolle Freunde unterstützten diesen Wunsch, dessen Erfüllung dem Staate reichsten Nutzen bringen konnte. Aber an maßgebender Stelle konnte man nicht vergessen, daß er einst Bürger der alten Welt gewesen; auch bei den jetzt herrschenden Republikanern dominirte engherziger Nativismus. Dafür aber hatte er die Freude, sich durch das Band geistiger Gemeinschaft, anerkennender Bewunderung mit den besten Männern beider Welten verbunden zu sehen. Die Häupter der deutschen Wissenschaft vom Staate, Bluntschli und Holtzendorff, waren in den letzten Jahren seine Freunde.

Und eine andere, mächtigere Freude bereitete ein gütiges Geschick dem Greise am heitern Abend seines Lebens. Der goldene Traum seiner Jugend, dessen Verwirklichung er von dem gewaltigen Jahre 1848 vergeblich erhofft, schien endlich Wahrheit geworden. Schon seit 1866 sah er das Verhängniß reifen. Mit mächtigen Empfindungen las er, wie Bismarck im Parlament dieselben Ansichten unter der jubelnden Zustimmung ganz Deutschlands verfocht, um derentwillen einst Lieber und seine Leidensgenossen von einer verblendeten Regierung so bitter verfolgt wurden. Und nun kam das entscheidende Jahr 1870. Schon vor 30 Jahren hatte Lieber erklärt, daß eine Einigung Deutschlands nur durch einen Krieg mit Frankreich

einen neuen Krieg zu verhindern; er ward Obmann des Schiedsgerichts, welches die Grenzstreitigkeiten zwischen der Union und Mexico beilegte.

So mit Würdigstem beschäftigt, betrat er die Schwelle des Greisenalters. Freilich, einen Lieblingswunsch sah er nicht erfüllt. Seine tiefe politische Einsicht, sein unbestechliches Urtheil, seine genaue Kenntniß der alten wie der neuen Welt befähigten ihn in außerordentlicher Weise, sein erwähltes Vaterland als Gesandter in Europa zu vertreten. Dies hatte er immer gewünscht, und hochgestellte, einsichtsvolle Freunde unterstützten diesen Wunsch, dessen Erfüllung dem Staate reichsten Nutzen bringen konnte. Aber an maßgebender Stelle konnte man nicht vergessen, daß er einst Bürger der alten Welt gewesen; auch bei den jetzt herrschenden Republikanern dominirte engherziger Nativismus. Dafür aber hatte er die Freude, sich durch das Band geistiger Gemeinschaft, anerkennender Bewunderung mit den besten Männern beider Welten verbunden zu sehen. Die Häupter der deutschen Wissenschaft vom Staate, Bluntschli und Holtzendorff, waren in den letzten Jahren seine Freunde.

Und eine andere, mächtigere Freude bereitete ein gütiges Geschick dem Greise am heitern Abend seines Lebens. Der goldene Traum seiner Jugend, dessen Verwirklichung er von dem gewaltigen Jahre 1848 vergeblich erhofft, schien endlich Wahrheit geworden. Schon seit 1866 sah er das Verhängniß reifen. Mit mächtigen Empfindungen las er, wie Bismarck im Parlament dieselben Ansichten unter der jubelnden Zustimmung ganz Deutschlands verfocht, um derentwillen einst Lieber und seine Leidensgenossen von einer verblendeten Regierung so bitter verfolgt wurden. Und nun kam das entscheidende Jahr 1870. Schon vor 30 Jahren hatte Lieber erklärt, daß eine Einigung Deutschlands nur durch einen Krieg mit Frankreich

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[39/0039] einen neuen Krieg zu verhindern; er ward Obmann des Schiedsgerichts, welches die Grenzstreitigkeiten zwischen der Union und Mexico beilegte. So mit Würdigstem beschäftigt, betrat er die Schwelle des Greisenalters. Freilich, einen Lieblingswunsch sah er nicht erfüllt. Seine tiefe politische Einsicht, sein unbestechliches Urtheil, seine genaue Kenntniß der alten wie der neuen Welt befähigten ihn in außerordentlicher Weise, sein erwähltes Vaterland als Gesandter in Europa zu vertreten. Dies hatte er immer gewünscht, und hochgestellte, einsichtsvolle Freunde unterstützten diesen Wunsch, dessen Erfüllung dem Staate reichsten Nutzen bringen konnte. Aber an maßgebender Stelle konnte man nicht vergessen, daß er einst Bürger der alten Welt gewesen; auch bei den jetzt herrschenden Republikanern dominirte engherziger Nativismus. Dafür aber hatte er die Freude, sich durch das Band geistiger Gemeinschaft, anerkennender Bewunderung mit den besten Männern beider Welten verbunden zu sehen. Die Häupter der deutschen Wissenschaft vom Staate, Bluntschli und Holtzendorff, waren in den letzten Jahren seine Freunde. Und eine andere, mächtigere Freude bereitete ein gütiges Geschick dem Greise am heitern Abend seines Lebens. Der goldene Traum seiner Jugend, dessen Verwirklichung er von dem gewaltigen Jahre 1848 vergeblich erhofft, schien endlich Wahrheit geworden. Schon seit 1866 sah er das Verhängniß reifen. Mit mächtigen Empfindungen las er, wie Bismarck im Parlament dieselben Ansichten unter der jubelnden Zustimmung ganz Deutschlands verfocht, um derentwillen einst Lieber und seine Leidensgenossen von einer verblendeten Regierung so bitter verfolgt wurden. Und nun kam das entscheidende Jahr 1870. Schon vor 30 Jahren hatte Lieber erklärt, daß eine Einigung Deutschlands nur durch einen Krieg mit Frankreich

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Zitationshilfe: Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/preuss_franz_1886/39>, abgerufen am 22.12.2024.