Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886.aus dem weißen Hause vertrieben, die verjüngte Demokratie in der Person Cleveland's auf den Schild erhoben. Lieber stimmte nicht in jeder Hinsicht überein mit dem Programm der siegreichen Republikaner. Im Gegensatz zu den Ackerbau treibenden und daher freihändlerischen Südstaaten waren die Industriestaaten des Nordens und ihre republikanischen Wortführer stramme Schutzzöllner. Lieber war, wie in politischer, so auch in wirthschaftlicher Hinsicht waschechter Liberaler, d. h. also Freihändler. Das ihn leitende Princip, an dem er nach jeder Richtung hin festhielt, hat er in den Worten ausgesprochen: "Unbeschränktheit der Production und des Handels ist die erste Grundlage der Freiheit". Von diesem Standpunkte aus blieb er unempfänglich für socialistische Nebeleien; wies er das Verlangen nach Organisation der Arbeit als völlig albernes Geschrei von sich. Denn diese Organisation der Arbeit sei die Zwillingsschwester der Sklaverei, - von diesem Standpunkte aus verwarf er jede Art von Protektionismus. Aber bei dem Kampfe zwischen Nord und Süd lagen die entscheidenden Gesichtspunkte an anderer Stelle; da handelt es sich um die große Menschheitsfrage, ob Sklaverei oder nicht? Da handelte es sich darum, ob die schönste Staatenschöpfung der modernen Zeit, die große und mächtige Union auf der geheiligten Grundlage der Freiheit fortbestehen solle oder nicht? Und daß in solchem Kampfe Lieber mit ganzem Herzen auf Seiten der Union, auf Seiten der Freiheit stand, war selbstverständlich. Doch hierbei blieb gewaltiger Schmerz ihm nicht erspart; er schien berufen, die Leiden seines Volkes durch eigenes, schwerstes Leid mitzuerdulden. Ein Bruderkrieg zerriß das Volk der vereinigten Staaten, ein Bruderkrieg war es für Lieber's eigene Familie. Sein ältester Sohn Oskar, der in Süd-Carolina lebte, stand auf Seiten der Südstaaten, und fiel im Kampfe gegen den Norden, dem sein Vater aus dem weißen Hause vertrieben, die verjüngte Demokratie in der Person Cleveland’s auf den Schild erhoben. Lieber stimmte nicht in jeder Hinsicht überein mit dem Programm der siegreichen Republikaner. Im Gegensatz zu den Ackerbau treibenden und daher freihändlerischen Südstaaten waren die Industriestaaten des Nordens und ihre republikanischen Wortführer stramme Schutzzöllner. Lieber war, wie in politischer, so auch in wirthschaftlicher Hinsicht waschechter Liberaler, d. h. also Freihändler. Das ihn leitende Princip, an dem er nach jeder Richtung hin festhielt, hat er in den Worten ausgesprochen: „Unbeschränktheit der Production und des Handels ist die erste Grundlage der Freiheit“. Von diesem Standpunkte aus blieb er unempfänglich für socialistische Nebeleien; wies er das Verlangen nach Organisation der Arbeit als völlig albernes Geschrei von sich. Denn diese Organisation der Arbeit sei die Zwillingsschwester der Sklaverei, – von diesem Standpunkte aus verwarf er jede Art von Protektionismus. Aber bei dem Kampfe zwischen Nord und Süd lagen die entscheidenden Gesichtspunkte an anderer Stelle; da handelt es sich um die große Menschheitsfrage, ob Sklaverei oder nicht? Da handelte es sich darum, ob die schönste Staatenschöpfung der modernen Zeit, die große und mächtige Union auf der geheiligten Grundlage der Freiheit fortbestehen solle oder nicht? Und daß in solchem Kampfe Lieber mit ganzem Herzen auf Seiten der Union, auf Seiten der Freiheit stand, war selbstverständlich. Doch hierbei blieb gewaltiger Schmerz ihm nicht erspart; er schien berufen, die Leiden seines Volkes durch eigenes, schwerstes Leid mitzuerdulden. Ein Bruderkrieg zerriß das Volk der vereinigten Staaten, ein Bruderkrieg war es für Lieber’s eigene Familie. 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Von diesem Standpunkte aus blieb er unempfänglich für socialistische Nebeleien; wies er das Verlangen nach Organisation der Arbeit als völlig albernes Geschrei von sich. Denn diese Organisation der Arbeit sei die Zwillingsschwester der Sklaverei, – von diesem Standpunkte aus verwarf er jede Art von Protektionismus. Aber bei dem Kampfe zwischen Nord und Süd lagen die entscheidenden Gesichtspunkte an anderer Stelle; da handelt es sich um die große Menschheitsfrage, ob Sklaverei oder nicht? Da handelte es sich darum, ob die schönste Staatenschöpfung der modernen Zeit, die große und mächtige Union auf der geheiligten Grundlage der Freiheit fortbestehen solle oder nicht? Und daß in solchem Kampfe <hi rendition="#g">Lieber</hi> mit ganzem Herzen auf Seiten der Union, auf Seiten der Freiheit stand, war selbstverständlich. Doch hierbei blieb gewaltiger Schmerz ihm nicht erspart; er schien berufen, die Leiden seines Volkes durch eigenes, schwerstes Leid mitzuerdulden. 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aus dem weißen Hause vertrieben, die verjüngte Demokratie in der Person Cleveland’s auf den Schild erhoben.
Lieber stimmte nicht in jeder Hinsicht überein mit dem Programm der siegreichen Republikaner. Im Gegensatz zu den Ackerbau treibenden und daher freihändlerischen Südstaaten waren die Industriestaaten des Nordens und ihre republikanischen Wortführer stramme Schutzzöllner. Lieber war, wie in politischer, so auch in wirthschaftlicher Hinsicht waschechter Liberaler, d. h. also Freihändler. Das ihn leitende Princip, an dem er nach jeder Richtung hin festhielt, hat er in den Worten ausgesprochen: „Unbeschränktheit der Production und des Handels ist die erste Grundlage der Freiheit“. Von diesem Standpunkte aus blieb er unempfänglich für socialistische Nebeleien; wies er das Verlangen nach Organisation der Arbeit als völlig albernes Geschrei von sich. Denn diese Organisation der Arbeit sei die Zwillingsschwester der Sklaverei, – von diesem Standpunkte aus verwarf er jede Art von Protektionismus. Aber bei dem Kampfe zwischen Nord und Süd lagen die entscheidenden Gesichtspunkte an anderer Stelle; da handelt es sich um die große Menschheitsfrage, ob Sklaverei oder nicht? Da handelte es sich darum, ob die schönste Staatenschöpfung der modernen Zeit, die große und mächtige Union auf der geheiligten Grundlage der Freiheit fortbestehen solle oder nicht? Und daß in solchem Kampfe Lieber mit ganzem Herzen auf Seiten der Union, auf Seiten der Freiheit stand, war selbstverständlich. Doch hierbei blieb gewaltiger Schmerz ihm nicht erspart; er schien berufen, die Leiden seines Volkes durch eigenes, schwerstes Leid mitzuerdulden. Ein Bruderkrieg zerriß das Volk der vereinigten Staaten, ein Bruderkrieg war es für Lieber’s eigene Familie. Sein ältester Sohn Oskar, der in Süd-Carolina lebte, stand auf Seiten der Südstaaten, und fiel im Kampfe gegen den Norden, dem sein Vater
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Zitationshilfe: | Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/preuss_franz_1886/37>, abgerufen am 16.07.2024. |