von Preuschen, Hermione: Yoshiwara. Vom Freudenhaus des Lebens. Berlin, 1920.der liebe Gott alles zum besten lenkt, auch wenn seine Wege "unerforschlich" sind. Sie sind meistens "unerforschlich". Denn warum ließ er wohl ihre vier Geschwister in zwei Tagen an Diphtheritis sterben und dadurch das Herz ihres Vaters brechen und ihre Mutter klein und ängstlich werden, ihr Leben lang? Indra dachte sich manchmal: wohl um ihr eigenes Leben vor noch mehr Alltag und Pfennigkram zu retten. Denn wie hätte das werden sollen, wenn von der schmalen Pfarrwitwenpension der Mutter vier Menschen mehr hätten gefüttert und "erzogen" werden sollen? Und noch dazu "standesgemäß", nach dem Lieblingswort der Mutter, die aus einem ganz verarmten adligen Hause stammte. -- Indra lächelte unwillkürlich bei dem Wort. Manchmal ertappte sie sich auf völlig unstandesgemäßen Gedanken. Ach, das viele Lesen und die große Einsamkeit hatten eine kleine Revolutionärin aus ihr gemacht. Und wenn das Glück sich auch ihr wirklich einmal nähern sollte, sie würde sich den Teufel darum scheren, ob es "standesgemäß" sei oder nicht. Ein jeder Mensch hat doch sein eigenes der liebe Gott alles zum besten lenkt, auch wenn seine Wege „unerforschlich“ sind. Sie sind meistens „unerforschlich“. Denn warum ließ er wohl ihre vier Geschwister in zwei Tagen an Diphtheritis sterben und dadurch das Herz ihres Vaters brechen und ihre Mutter klein und ängstlich werden, ihr Leben lang? Indra dachte sich manchmal: wohl um ihr eigenes Leben vor noch mehr Alltag und Pfennigkram zu retten. Denn wie hätte das werden sollen, wenn von der schmalen Pfarrwitwenpension der Mutter vier Menschen mehr hätten gefüttert und „erzogen“ werden sollen? Und noch dazu „standesgemäß“, nach dem Lieblingswort der Mutter, die aus einem ganz verarmten adligen Hause stammte. — Indra lächelte unwillkürlich bei dem Wort. Manchmal ertappte sie sich auf völlig unstandesgemäßen Gedanken. Ach, das viele Lesen und die große Einsamkeit hatten eine kleine Revolutionärin aus ihr gemacht. Und wenn das Glück sich auch ihr wirklich einmal nähern sollte, sie würde sich den Teufel darum scheren, ob es „standesgemäß“ sei oder nicht. Ein jeder Mensch hat doch sein eigenes <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0023" n="24"/> der liebe Gott alles zum besten lenkt, auch wenn seine Wege „unerforschlich“ sind. Sie sind meistens „unerforschlich“. Denn warum ließ er wohl ihre vier Geschwister in zwei Tagen an Diphtheritis sterben und dadurch das Herz ihres Vaters brechen und ihre Mutter klein und ängstlich werden, ihr Leben lang? Indra dachte sich manchmal: wohl um ihr eigenes Leben vor noch mehr Alltag und Pfennigkram zu retten. Denn wie hätte das werden sollen, wenn von der schmalen Pfarrwitwenpension der Mutter vier Menschen mehr hätten gefüttert und „erzogen“ werden sollen? Und noch dazu „standesgemäß“, nach dem Lieblingswort der Mutter, die aus einem ganz verarmten adligen Hause stammte. — Indra lächelte unwillkürlich bei dem Wort. Manchmal ertappte sie sich auf völlig unstandesgemäßen Gedanken. Ach, das viele Lesen und die große Einsamkeit hatten eine kleine Revolutionärin aus ihr gemacht. Und wenn das Glück sich auch ihr wirklich einmal nähern sollte, sie würde sich den Teufel darum scheren, ob es „standesgemäß“ sei oder nicht. Ein jeder Mensch hat doch sein eigenes </p> </div> </body> </text> </TEI> [24/0023]
der liebe Gott alles zum besten lenkt, auch wenn seine Wege „unerforschlich“ sind. Sie sind meistens „unerforschlich“. Denn warum ließ er wohl ihre vier Geschwister in zwei Tagen an Diphtheritis sterben und dadurch das Herz ihres Vaters brechen und ihre Mutter klein und ängstlich werden, ihr Leben lang? Indra dachte sich manchmal: wohl um ihr eigenes Leben vor noch mehr Alltag und Pfennigkram zu retten. Denn wie hätte das werden sollen, wenn von der schmalen Pfarrwitwenpension der Mutter vier Menschen mehr hätten gefüttert und „erzogen“ werden sollen? Und noch dazu „standesgemäß“, nach dem Lieblingswort der Mutter, die aus einem ganz verarmten adligen Hause stammte. — Indra lächelte unwillkürlich bei dem Wort. Manchmal ertappte sie sich auf völlig unstandesgemäßen Gedanken. Ach, das viele Lesen und die große Einsamkeit hatten eine kleine Revolutionärin aus ihr gemacht. Und wenn das Glück sich auch ihr wirklich einmal nähern sollte, sie würde sich den Teufel darum scheren, ob es „standesgemäß“ sei oder nicht. Ein jeder Mensch hat doch sein eigenes
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