über alle Hofweiber und Verschnittene, als die Beherrscherinn anzusehen. Sie entscheidet auch die Streitigkeiten, läßt die Unbändigen bestra- fen, damit Ruhe und Friede erhalten werde. Indessen weiß doch der König diejenigen Wei- ber, die er besonders achtet, vor der Eifersucht der Königinn in Sicherheit zu bringen. --
Die Landesgewohnheit erlaubt den Töchtern keinen Umgang mit den Junggesellen. Sie werden von der Mutter fleißig gehütet, und wegen der geringsten Freyheit scharf bestraft. Allein die Natur, welche mehr Gewalt hat, als alle Gesetze, treibt sie nicht selten dazu, dann und wann, insonderheit des Abends, einen un- vermerkten Ausgang zu wagen. -- Sie wer- den zum Ehestande zeitig reif, und deswegen verheyrathet man sie auch schon im eilften oder zwölften Jahre. Es giebt zwar siamische Jungfern, welche sich Zeitlebens nicht verheyra- then wollen, es wählt aber doch keine das Klo- sterleben eher bis sie schon alt ist.
Die Eltern eines jungen Menschen halten, vermittelst betagter Frauen, bey den Eltern der Jungfer um sie an. Fällt gleich die Antwort geneigt aus, so hinderts doch nicht, die Jung- fer um ihre Neigung zu fragen. Allein, die Eltern laßen sich die Geburtszeit des Freyers sagen, und zeigen dagegen gleichfalls die Zeit an, wenn ihre Tochter gebohren ist. Beyde Theile laufen alsdann zum Wahrsager, und vernehmen, ob die Ehe bis an den Tod ohne
Schei-
uͤber alle Hofweiber und Verſchnittene, als die Beherrſcherinn anzuſehen. Sie entſcheidet auch die Streitigkeiten, laͤßt die Unbaͤndigen beſtra- fen, damit Ruhe und Friede erhalten werde. Indeſſen weiß doch der Koͤnig diejenigen Wei- ber, die er beſonders achtet, vor der Eiferſucht der Koͤniginn in Sicherheit zu bringen. —
Die Landesgewohnheit erlaubt den Toͤchtern keinen Umgang mit den Junggeſellen. Sie werden von der Mutter fleißig gehuͤtet, und wegen der geringſten Freyheit ſcharf beſtraft. Allein die Natur, welche mehr Gewalt hat, als alle Geſetze, treibt ſie nicht ſelten dazu, dann und wann, inſonderheit des Abends, einen un- vermerkten Ausgang zu wagen. — Sie wer- den zum Eheſtande zeitig reif, und deswegen verheyrathet man ſie auch ſchon im eilften oder zwoͤlften Jahre. Es giebt zwar ſiamiſche Jungfern, welche ſich Zeitlebens nicht verheyra- then wollen, es waͤhlt aber doch keine das Klo- ſterleben eher bis ſie ſchon alt iſt.
Die Eltern eines jungen Menſchen halten, vermittelſt betagter Frauen, bey den Eltern der Jungfer um ſie an. Faͤllt gleich die Antwort geneigt aus, ſo hinderts doch nicht, die Jung- fer um ihre Neigung zu fragen. Allein, die Eltern laßen ſich die Geburtszeit des Freyers ſagen, und zeigen dagegen gleichfalls die Zeit an, wenn ihre Tochter gebohren iſt. Beyde Theile laufen alsdann zum Wahrſager, und vernehmen, ob die Ehe bis an den Tod ohne
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uͤber alle Hofweiber und Verſchnittene, als die
Beherrſcherinn anzuſehen. Sie entſcheidet auch
die Streitigkeiten, laͤßt die Unbaͤndigen beſtra-
fen, damit Ruhe und Friede erhalten werde.
Indeſſen weiß doch der Koͤnig diejenigen Wei-
ber, die er beſonders achtet, vor der Eiferſucht
der Koͤniginn in Sicherheit zu bringen. —
Die Landesgewohnheit erlaubt den Toͤchtern
keinen Umgang mit den Junggeſellen. Sie
werden von der Mutter fleißig gehuͤtet, und
wegen der geringſten Freyheit ſcharf beſtraft.
Allein die Natur, welche mehr Gewalt hat, als
alle Geſetze, treibt ſie nicht ſelten dazu, dann
und wann, inſonderheit des Abends, einen un-
vermerkten Ausgang zu wagen. — Sie wer-
den zum Eheſtande zeitig reif, und deswegen
verheyrathet man ſie auch ſchon im eilften oder
zwoͤlften Jahre. Es giebt zwar ſiamiſche
Jungfern, welche ſich Zeitlebens nicht verheyra-
then wollen, es waͤhlt aber doch keine das Klo-
ſterleben eher bis ſie ſchon alt iſt.
Die Eltern eines jungen Menſchen halten,
vermittelſt betagter Frauen, bey den Eltern der
Jungfer um ſie an. Faͤllt gleich die Antwort
geneigt aus, ſo hinderts doch nicht, die Jung-
fer um ihre Neigung zu fragen. Allein, die
Eltern laßen ſich die Geburtszeit des Freyers
ſagen, und zeigen dagegen gleichfalls die Zeit
an, wenn ihre Tochter gebohren iſt. Beyde
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/324>, abgerufen am 22.11.2024.
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