schreiben und rechnen zu lernen. Die Schulen sind gemeiniglich nach der Seite der Staße, so wie die Kramladen, ganz offen. Doch scheint es, daß der Lerm der vielen Vorbeygehenden gar nicht stöhrt, sondern alle die, welche lesen oder etwas auswendig lernen, sitzen, und haben das Buch auf einem kleinen hölzernen Pult vor sich. Sie sagen alle Worte laut, und bewegen sich mit dem ganzen Oberleibe, so wie die Ju- den in ihren Synagogen. Mädchen findet man in diesen Schulen nicht.
In einigen großen arabischen Städten sind außer den erwöhnten kleinen, auch größere Schu- len, in welchen die höhern Wissenschaften der Mohammedaner, als die Astronomie, Astrolo- gie, Philosophie, Arzeneykunst u. s. w. getrie- ben werden. In diesen Wissenschaften sind sie freylich gar weit unter den Europäern, aber nicht weil es ihnen an Fähigkeiten, sondern an gu- ten Büchern und Unterricht fehlt. Blos in dem Königreiche Jemen sind noch itzt zwey schon seit vielen Jahren berühmte Akademien: die eine zu Zebid, für die Anhänger der Sekte Sunni, und die andre zu Damar für die Zeiditen. Die Erklärung des Korans, die Geschichte der Mo- hammedaner zu den Zeiten Mohammeds und der ersten Califen, ist die Hauptbeschäftigung der mohammedanischen Gelehrten, und diese ist, selbst bey dey Arabern, nicht nur sehr weitläuf- tig, weil sie das alte Arabische als eine todte Sprache lernen, sondern auch weil sie sich mit
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ſchreiben und rechnen zu lernen. Die Schulen ſind gemeiniglich nach der Seite der Staße, ſo wie die Kramladen, ganz offen. Doch ſcheint es, daß der Lerm der vielen Vorbeygehenden gar nicht ſtoͤhrt, ſondern alle die, welche leſen oder etwas auswendig lernen, ſitzen, und haben das Buch auf einem kleinen hoͤlzernen Pult vor ſich. Sie ſagen alle Worte laut, und bewegen ſich mit dem ganzen Oberleibe, ſo wie die Ju- den in ihren Synagogen. Maͤdchen findet man in dieſen Schulen nicht.
In einigen großen arabiſchen Staͤdten ſind außer den erwoͤhnten kleinen, auch groͤßere Schu- len, in welchen die hoͤhern Wiſſenſchaften der Mohammedaner, als die Aſtronomie, Aſtrolo- gie, Philoſophie, Arzeneykunſt u. ſ. w. getrie- ben werden. In dieſen Wiſſenſchaften ſind ſie freylich gar weit unter den Europaͤern, aber nicht weil es ihnen an Faͤhigkeiten, ſondern an gu- ten Buͤchern und Unterricht fehlt. Blos in dem Koͤnigreiche Jemen ſind noch itzt zwey ſchon ſeit vielen Jahren beruͤhmte Akademien: die eine zu Zébid, fuͤr die Anhaͤnger der Sekte Sunni, und die andre zu Damâr fuͤr die Zeiditen. Die Erklaͤrung des Korans, die Geſchichte der Mo- hammedaner zu den Zeiten Mohammeds und der erſten Califen, iſt die Hauptbeſchaͤftigung der mohammedaniſchen Gelehrten, und dieſe iſt, ſelbſt bey dey Arabern, nicht nur ſehr weitlaͤuf- tig, weil ſie das alte Arabiſche als eine todte Sprache lernen, ſondern auch weil ſie ſich mit
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ſchreiben und rechnen zu lernen. Die Schulen
ſind gemeiniglich nach der Seite der Staße, ſo
wie die Kramladen, ganz offen. Doch ſcheint
es, daß der Lerm der vielen Vorbeygehenden
gar nicht ſtoͤhrt, ſondern alle die, welche leſen
oder etwas auswendig lernen, ſitzen, und haben
das Buch auf einem kleinen hoͤlzernen Pult vor
ſich. Sie ſagen alle Worte laut, und bewegen
ſich mit dem ganzen Oberleibe, ſo wie die Ju-
den in ihren Synagogen. Maͤdchen findet man
in dieſen Schulen nicht.
In einigen großen arabiſchen Staͤdten ſind
außer den erwoͤhnten kleinen, auch groͤßere Schu-
len, in welchen die hoͤhern Wiſſenſchaften der
Mohammedaner, als die Aſtronomie, Aſtrolo-
gie, Philoſophie, Arzeneykunſt u. ſ. w. getrie-
ben werden. In dieſen Wiſſenſchaften ſind ſie
freylich gar weit unter den Europaͤern, aber
nicht weil es ihnen an Faͤhigkeiten, ſondern an gu-
ten Buͤchern und Unterricht fehlt. Blos in dem
Koͤnigreiche Jemen ſind noch itzt zwey ſchon ſeit
vielen Jahren beruͤhmte Akademien: die eine zu
Zébid, fuͤr die Anhaͤnger der Sekte Sunni,
und die andre zu Damâr fuͤr die Zeiditen. Die
Erklaͤrung des Korans, die Geſchichte der Mo-
hammedaner zu den Zeiten Mohammeds und
der erſten Califen, iſt die Hauptbeſchaͤftigung
der mohammedaniſchen Gelehrten, und dieſe iſt,
ſelbſt bey dey Arabern, nicht nur ſehr weitlaͤuf-
tig, weil ſie das alte Arabiſche als eine todte
Sprache lernen, ſondern auch weil ſie ſich mit
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/255>, abgerufen am 22.11.2024.
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