davon nicht abhalten. Dieser Eifer zu den Wissenschaften erstreckt sich auf alle Stände. Man findet wahrlich wenige unter ihnen, die nicht gute Bücher lesen und sich nicht auf Wis- senschaften legen. Die Kinder werden frühzei- tig in die Schule geschickt und in den Wissen- schaften unterrichtet. Ihre höhern Collegia be- suchen sogar Personen von sechzig Jahren; und die alten Greise schämen sich nicht, zwischen unbebärteten Jünglingen zu sitzen, vielmehr rech- net es sich ein jeder als eine Ehre, den ihnen so süß klingenden Namen Talebelm -- welches in unsrer Sprache so viel heißt, als Student -- führen zu dürfen. Die Lehrer des Collegiums sind entweder Mollahs -- der gemeine und Hauptname der Priester -- oder Akonds, welches bey uns so viel heißt, als ein öffentli- cher Leser. Die Bacheliers werden auch Mouchtehed genannt, welches so viel heißt, als einer, der sich auf eine Sache stark legt. Unter allen Lehrern wird dieser Mouchtehed als der vornehmste geschätzt, der nicht nur ein Poly- histor seyn soll -- wenigstens muß er doch von vielen Dingen gute Kenntnisse haben -- sondern dessen Aussprüche auch für Orakul gehalten werden. Sehr wenigen wird auch dieser Name beygelegt.
Die Talebelm oder Studenten unterschei- den sich von andern Leuten dadurch, daß sie ein ernsthaftes Wesen in ihrem Betragen äußern. Ihre Kleidung giebt eben keine sonderlich vor-
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davon nicht abhalten. Dieſer Eifer zu den Wiſſenſchaften erſtreckt ſich auf alle Staͤnde. Man findet wahrlich wenige unter ihnen, die nicht gute Buͤcher leſen und ſich nicht auf Wiſ- ſenſchaften legen. Die Kinder werden fruͤhzei- tig in die Schule geſchickt und in den Wiſſen- ſchaften unterrichtet. Ihre hoͤhern Collegia be- ſuchen ſogar Perſonen von ſechzig Jahren; und die alten Greiſe ſchaͤmen ſich nicht, zwiſchen unbebaͤrteten Juͤnglingen zu ſitzen, vielmehr rech- net es ſich ein jeder als eine Ehre, den ihnen ſo ſuͤß klingenden Namen Talebelm — welches in unſrer Sprache ſo viel heißt, als Student — fuͤhren zu duͤrfen. Die Lehrer des Collegiums ſind entweder Mollahs — der gemeine und Hauptname der Prieſter — oder Akonds, welches bey uns ſo viel heißt, als ein oͤffentli- cher Leſer. Die Bacheliers werden auch Mouchtehed genannt, welches ſo viel heißt, als einer, der ſich auf eine Sache ſtark legt. Unter allen Lehrern wird dieſer Mouchtehed als der vornehmſte geſchaͤtzt, der nicht nur ein Poly- hiſtor ſeyn ſoll — wenigſtens muß er doch von vielen Dingen gute Kenntniſſe haben — ſondern deſſen Ausſpruͤche auch fuͤr Orakul gehalten werden. Sehr wenigen wird auch dieſer Name beygelegt.
Die Talebelm oder Studenten unterſchei- den ſich von andern Leuten dadurch, daß ſie ein ernſthaftes Weſen in ihrem Betragen aͤußern. Ihre Kleidung giebt eben keine ſonderlich vor-
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davon nicht abhalten. Dieſer Eifer zu den
Wiſſenſchaften erſtreckt ſich auf alle Staͤnde.
Man findet wahrlich wenige unter ihnen, die
nicht gute Buͤcher leſen und ſich nicht auf Wiſ-
ſenſchaften legen. Die Kinder werden fruͤhzei-
tig in die Schule geſchickt und in den Wiſſen-
ſchaften unterrichtet. Ihre hoͤhern Collegia be-
ſuchen ſogar Perſonen von ſechzig Jahren; und
die alten Greiſe ſchaͤmen ſich nicht, zwiſchen
unbebaͤrteten Juͤnglingen zu ſitzen, vielmehr rech-
net es ſich ein jeder als eine Ehre, den ihnen ſo
ſuͤß klingenden Namen Talebelm — welches
in unſrer Sprache ſo viel heißt, als Student —
fuͤhren zu duͤrfen. Die Lehrer des Collegiums
ſind entweder Mollahs — der gemeine und
Hauptname der Prieſter — oder Akonds,
welches bey uns ſo viel heißt, als ein oͤffentli-
cher Leſer. Die Bacheliers werden auch
Mouchtehed genannt, welches ſo viel heißt,
als einer, der ſich auf eine Sache ſtark legt. Unter
allen Lehrern wird dieſer Mouchtehed als der
vornehmſte geſchaͤtzt, der nicht nur ein Poly-
hiſtor ſeyn ſoll — wenigſtens muß er doch
von vielen Dingen gute Kenntniſſe haben —
ſondern deſſen Ausſpruͤche auch fuͤr Orakul
gehalten werden. Sehr wenigen wird auch
dieſer Name beygelegt.
Die Talebelm oder Studenten unterſchei-
den ſich von andern Leuten dadurch, daß ſie ein
ernſthaftes Weſen in ihrem Betragen aͤußern.
Ihre Kleidung giebt eben keine ſonderlich vor-
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/95>, abgerufen am 23.11.2024.
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