[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776.ter nicht, als dem Namen nach. Wenn nun Un- *) Vielleicht dürfte es manchen sonderbar vor-
kommen, warum gerade bey dergleichen Con- tracten ein Priester und kein ordentlicher Rich- ter vorkomme? Um diesen Einwurf zu heben, muß man wissen, daß die Geistlichkeit in Per- sien das höchste Gericht ausmachen. Denn die Perser sind davon fest überzeugt, daß die Geistlichen ursprünglich das Recht von Gott erhalten haben, die Gerechtigkeit zu verwalten. -- Der Sedre, oder der oberste Priester, ist der oberste Chef sowohl in allen geistlichen als weltlichen Angelegenheiten, und unter diesem stehen alle übrigen Richter. Wenn man untersuchen wollte, ob es wohl gut sey, daß die höchste Jurisdiction in den Händen der Priester ist, und ob die Gerechtig- keit nicht darunter leide, so wäre dieß eine Fra- ge, die ich wohl mit Nein beantworten möch- te. Unter uns Europäern findet die höchste Ju- ter nicht, als dem Namen nach. Wenn nun Un- *) Vielleicht duͤrfte es manchen ſonderbar vor-
kommen, warum gerade bey dergleichen Con- tracten ein Prieſter und kein ordentlicher Rich- ter vorkomme? Um dieſen Einwurf zu heben, muß man wiſſen, daß die Geiſtlichkeit in Per- ſien das hoͤchſte Gericht ausmachen. Denn die Perſer ſind davon feſt uͤberzeugt, daß die Geiſtlichen urſpruͤnglich das Recht von Gott erhalten haben, die Gerechtigkeit zu verwalten. — Der Sedre, oder der oberſte Prieſter, iſt der oberſte Chef ſowohl in allen geiſtlichen als weltlichen Angelegenheiten, und unter dieſem ſtehen alle uͤbrigen Richter. Wenn man unterſuchen wollte, ob es wohl gut ſey, daß die hoͤchſte Jurisdiction in den Haͤnden der Prieſter iſt, und ob die Gerechtig- keit nicht darunter leide, ſo waͤre dieß eine Fra- ge, die ich wohl mit Nein beantworten moͤch- te. Unter uns Europaͤern findet die hoͤchſte Ju- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0078" n="58"/> ter nicht, als dem Namen nach. Wenn nun<lb/> die Eltern von beyden Seiten in den noͤthigen<lb/> Puncten mit einander einverſtanden ſind; ſo<lb/> geht der Vater des Braͤutigams in das Haus<lb/> des Vaters der Braut. Der Vater dieſer letz-<lb/> tern empfaͤngt und umarmt den Braͤutigam<lb/> und begiebt ſich alsdann aus der Geſellſchaft,<lb/> weil er dem Contracte nicht beywohnen darf:<lb/> denn man fuͤrchtet immer, daß der Vater der<lb/> Braut dem Braͤutigam Hinderniſſe in den Weg<lb/> legen koͤnnte, und dieſem dadurch die voͤllige<lb/> Freyheit benommen wuͤrde. Dieſer Contract<lb/> wird in einem beſondern Zimmer in Gegenwart<lb/> des Braͤutigams, eines Prieſters <note xml:id="seg2pn_4_1" next="#seg2pn_4_2" place="foot" n="*)">Vielleicht duͤrfte es manchen ſonderbar vor-<lb/> kommen, warum gerade bey dergleichen Con-<lb/> tracten ein Prieſter und kein ordentlicher Rich-<lb/> ter vorkomme? Um dieſen Einwurf zu heben,<lb/> muß man wiſſen, daß die Geiſtlichkeit in Per-<lb/> ſien das hoͤchſte Gericht ausmachen. Denn<lb/> die Perſer ſind davon feſt uͤberzeugt, daß die<lb/> Geiſtlichen urſpruͤnglich das Recht von Gott<lb/> erhalten haben, die Gerechtigkeit zu verwalten.<lb/> — Der <hi rendition="#fr">Sedre</hi>, oder der oberſte Prieſter, iſt<lb/> der oberſte Chef ſowohl in allen geiſtlichen als<lb/> weltlichen Angelegenheiten, und unter dieſem<lb/> ſtehen alle uͤbrigen Richter.<lb/> Wenn man unterſuchen wollte, ob es wohl<lb/> gut ſey, daß die hoͤchſte Jurisdiction in den<lb/> Haͤnden der Prieſter iſt, und ob die Gerechtig-<lb/> keit nicht darunter leide, ſo waͤre dieß eine Fra-<lb/> ge, die ich wohl mit Nein beantworten moͤch-<lb/> te. Unter uns Europaͤern findet die hoͤchſte<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Ju-</fw></note> und der<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Un-</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [58/0078]
ter nicht, als dem Namen nach. Wenn nun
die Eltern von beyden Seiten in den noͤthigen
Puncten mit einander einverſtanden ſind; ſo
geht der Vater des Braͤutigams in das Haus
des Vaters der Braut. Der Vater dieſer letz-
tern empfaͤngt und umarmt den Braͤutigam
und begiebt ſich alsdann aus der Geſellſchaft,
weil er dem Contracte nicht beywohnen darf:
denn man fuͤrchtet immer, daß der Vater der
Braut dem Braͤutigam Hinderniſſe in den Weg
legen koͤnnte, und dieſem dadurch die voͤllige
Freyheit benommen wuͤrde. Dieſer Contract
wird in einem beſondern Zimmer in Gegenwart
des Braͤutigams, eines Prieſters *) und der
Un-
*) Vielleicht duͤrfte es manchen ſonderbar vor-
kommen, warum gerade bey dergleichen Con-
tracten ein Prieſter und kein ordentlicher Rich-
ter vorkomme? Um dieſen Einwurf zu heben,
muß man wiſſen, daß die Geiſtlichkeit in Per-
ſien das hoͤchſte Gericht ausmachen. Denn
die Perſer ſind davon feſt uͤberzeugt, daß die
Geiſtlichen urſpruͤnglich das Recht von Gott
erhalten haben, die Gerechtigkeit zu verwalten.
— Der Sedre, oder der oberſte Prieſter, iſt
der oberſte Chef ſowohl in allen geiſtlichen als
weltlichen Angelegenheiten, und unter dieſem
ſtehen alle uͤbrigen Richter.
Wenn man unterſuchen wollte, ob es wohl
gut ſey, daß die hoͤchſte Jurisdiction in den
Haͤnden der Prieſter iſt, und ob die Gerechtig-
keit nicht darunter leide, ſo waͤre dieß eine Fra-
ge, die ich wohl mit Nein beantworten moͤch-
te. Unter uns Europaͤern findet die hoͤchſte
Ju-
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