meiniglich gute Freunde, sonderlich, wenn sie sich einander lange nicht gesehen haben. End- lich küssen und umarmen sie sich auch, beson- ders bey ganz ungewöhnlichen Vorfallenheiten, oder nach glücklich zurückgelegten langen Rei- sen.
In den Worten sind sie bey ihren Besuchen ungemein zärtlich und höflich. Sie wiederho- len ihre Complimente mehr als einmal, und suchen sonderlich in ihren Reden die Ausdrücke zu vermeiden, die eine Traurigkeit in der Seele zurücklassen könnten. Daher holen sie weit aus, wenn sie etwas Unangenehmes erzählen müssen. Z. E. Wenn sie sagen wollen, es sey Jemand gestorben, so sagen sie: Amrekodber chuma bakchid, d. h. er hat euch ein Ge- schenk mit den Jahren gemacht, die er noch hätte leben können, d. h. er konnte noch lange Jahre leben u. s. w. Aber sehr oft werden dergleichen Redensarten an dem un- rechten Orte angebracht. So erzählt Chardin eine ziemlich naive Geschichte von einem Gene- ral der Infanterie zu den Zeiten AbasII. Dieser König, der einen scharfen, durchdrin- genden Verstand hatte, erhielt einen weissen Bären aus Moskau zum Geschenk, und gab ihn dem General zur Verwahrung, weil er glaubte, daß dieser ihn besser versorgen würde, als die übrigen Aufseher der wilden Thiere. Indessen aber starb doch der Bär. Nach eini- ger Zeit fragte der König den General nach dem
Bären,
meiniglich gute Freunde, ſonderlich, wenn ſie ſich einander lange nicht geſehen haben. End- lich kuͤſſen und umarmen ſie ſich auch, beſon- ders bey ganz ungewoͤhnlichen Vorfallenheiten, oder nach gluͤcklich zuruͤckgelegten langen Rei- ſen.
In den Worten ſind ſie bey ihren Beſuchen ungemein zaͤrtlich und hoͤflich. Sie wiederho- len ihre Complimente mehr als einmal, und ſuchen ſonderlich in ihren Reden die Ausdruͤcke zu vermeiden, die eine Traurigkeit in der Seele zuruͤcklaſſen koͤnnten. Daher holen ſie weit aus, wenn ſie etwas Unangenehmes erzaͤhlen muͤſſen. Z. E. Wenn ſie ſagen wollen, es ſey Jemand geſtorben, ſo ſagen ſie: Amrekodber chuma bakchid, d. h. er hat euch ein Ge- ſchenk mit den Jahren gemacht, die er noch haͤtte leben koͤnnen, d. h. er konnte noch lange Jahre leben u. ſ. w. Aber ſehr oft werden dergleichen Redensarten an dem un- rechten Orte angebracht. So erzaͤhlt Chardin eine ziemlich naive Geſchichte von einem Gene- ral der Infanterie zu den Zeiten AbasII. Dieſer Koͤnig, der einen ſcharfen, durchdrin- genden Verſtand hatte, erhielt einen weiſſen Baͤren aus Moskau zum Geſchenk, und gab ihn dem General zur Verwahrung, weil er glaubte, daß dieſer ihn beſſer verſorgen wuͤrde, als die uͤbrigen Aufſeher der wilden Thiere. Indeſſen aber ſtarb doch der Baͤr. Nach eini- ger Zeit fragte der Koͤnig den General nach dem
Baͤren,
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meiniglich gute Freunde, ſonderlich, wenn ſie
ſich einander lange nicht geſehen haben. End-
lich kuͤſſen und umarmen ſie ſich auch, beſon-
ders bey ganz ungewoͤhnlichen Vorfallenheiten,
oder nach gluͤcklich zuruͤckgelegten langen Rei-
ſen.
In den Worten ſind ſie bey ihren Beſuchen
ungemein zaͤrtlich und hoͤflich. Sie wiederho-
len ihre Complimente mehr als einmal, und
ſuchen ſonderlich in ihren Reden die Ausdruͤcke
zu vermeiden, die eine Traurigkeit in der Seele
zuruͤcklaſſen koͤnnten. Daher holen ſie weit
aus, wenn ſie etwas Unangenehmes erzaͤhlen
muͤſſen. Z. E. Wenn ſie ſagen wollen, es ſey
Jemand geſtorben, ſo ſagen ſie: Amrekodber
chuma bakchid, d. h. er hat euch ein Ge-
ſchenk mit den Jahren gemacht, die er
noch haͤtte leben koͤnnen, d. h. er konnte
noch lange Jahre leben u. ſ. w. Aber ſehr oft
werden dergleichen Redensarten an dem un-
rechten Orte angebracht. So erzaͤhlt Chardin
eine ziemlich naive Geſchichte von einem Gene-
ral der Infanterie zu den Zeiten Abas II.
Dieſer Koͤnig, der einen ſcharfen, durchdrin-
genden Verſtand hatte, erhielt einen weiſſen
Baͤren aus Moskau zum Geſchenk, und gab
ihn dem General zur Verwahrung, weil er
glaubte, daß dieſer ihn beſſer verſorgen wuͤrde,
als die uͤbrigen Aufſeher der wilden Thiere.
Indeſſen aber ſtarb doch der Baͤr. Nach eini-
ger Zeit fragte der Koͤnig den General nach dem
Baͤren,
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/44>, abgerufen am 21.11.2024.
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