Verbrechen ungeheuer groß; so fügt der Mon- arch, wenn er das Todesurtheil unterschreibt, noch besonders folgende Worte hinzu: So- bald dieser Befehl anlangt; so will ich, daß das Urtheil unverzüglich an dem Missethäter vollstreckt werde. Ist es aber von gewöhnlicher Art; so wird der Be- fehl in folgenden Ausdrücken gemildert: Man halte den Verbrecher bis zukünftigen Herbst in guter Verwahrung, und als- dann soll ihm sein Recht wiederfah- ren. -- Man verschiebt meistentheils die Hinrichtung der Missethäter bis auf diese Jah- reszeit.
Der Ehebruch wird in China für ein Ver- brechen und auch nicht für ein Verbrechen ge- halten. Für ein Verbrechen: wenn es nicht vorher im Ehecontract ausgemacht ist, daß die Frau zu Zeiten einen Galan zu sich herein lassen darf. Denn alsdann darf der Mann sein Weib, wenn es auf solche Weise die Ehe bricht, strafen, oder sich von ihr scheiden las- sen. Der Ehebruch wird nicht für ein Ver- brechen gehalten, wenn die Eltern, aus Zärt- lichkeit gegen die Schwäche ihrer lieben Toch- ter, einen Cortract mit ihrem Bräutigam ma- chen, es nicht übel zu nehmen, wenn sich dann und wann ein andrer bey ihr einfünde. Aber dergleichen Fälle kommen sehr selten vor, theils weil das chinesische Frauenvolk sich auf die Keuschheit so sehr viel zu gute thut, theils, weil
sie
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Verbrechen ungeheuer groß; ſo fuͤgt der Mon- arch, wenn er das Todesurtheil unterſchreibt, noch beſonders folgende Worte hinzu: So- bald dieſer Befehl anlangt; ſo will ich, daß das Urtheil unverzuͤglich an dem Miſſethaͤter vollſtreckt werde. Iſt es aber von gewoͤhnlicher Art; ſo wird der Be- fehl in folgenden Ausdruͤcken gemildert: Man halte den Verbrecher bis zukuͤnftigen Herbſt in guter Verwahrung, und als- dann ſoll ihm ſein Recht wiederfah- ren. — Man verſchiebt meiſtentheils die Hinrichtung der Miſſethaͤter bis auf dieſe Jah- reszeit.
Der Ehebruch wird in China fuͤr ein Ver- brechen und auch nicht fuͤr ein Verbrechen ge- halten. Fuͤr ein Verbrechen: wenn es nicht vorher im Ehecontract ausgemacht iſt, daß die Frau zu Zeiten einen Galan zu ſich herein laſſen darf. Denn alsdann darf der Mann ſein Weib, wenn es auf ſolche Weiſe die Ehe bricht, ſtrafen, oder ſich von ihr ſcheiden laſ- ſen. Der Ehebruch wird nicht fuͤr ein Ver- brechen gehalten, wenn die Eltern, aus Zaͤrt- lichkeit gegen die Schwaͤche ihrer lieben Toch- ter, einen Cortract mit ihrem Braͤutigam ma- chen, es nicht uͤbel zu nehmen, wenn ſich dann und wann ein andrer bey ihr einfuͤnde. Aber dergleichen Faͤlle kommen ſehr ſelten vor, theils weil das chineſiſche Frauenvolk ſich auf die Keuſchheit ſo ſehr viel zu gute thut, theils, weil
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Verbrechen ungeheuer groß; ſo fuͤgt der Mon-
arch, wenn er das Todesurtheil unterſchreibt,
noch beſonders folgende Worte hinzu: So-
bald dieſer Befehl anlangt; ſo will ich,
daß das Urtheil unverzuͤglich an dem
Miſſethaͤter vollſtreckt werde. Iſt es
aber von gewoͤhnlicher Art; ſo wird der Be-
fehl in folgenden Ausdruͤcken gemildert: Man
halte den Verbrecher bis zukuͤnftigen
Herbſt in guter Verwahrung, und als-
dann ſoll ihm ſein Recht wiederfah-
ren. — Man verſchiebt meiſtentheils die
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Der Ehebruch wird in China fuͤr ein Ver-
brechen und auch nicht fuͤr ein Verbrechen ge-
halten. Fuͤr ein Verbrechen: wenn es nicht
vorher im Ehecontract ausgemacht iſt, daß
die Frau zu Zeiten einen Galan zu ſich herein
laſſen darf. Denn alsdann darf der Mann
ſein Weib, wenn es auf ſolche Weiſe die Ehe
bricht, ſtrafen, oder ſich von ihr ſcheiden laſ-
ſen. Der Ehebruch wird nicht fuͤr ein Ver-
brechen gehalten, wenn die Eltern, aus Zaͤrt-
lichkeit gegen die Schwaͤche ihrer lieben Toch-
ter, einen Cortract mit ihrem Braͤutigam ma-
chen, es nicht uͤbel zu nehmen, wenn ſich dann
und wann ein andrer bey ihr einfuͤnde. Aber
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/295>, abgerufen am 23.11.2024.
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