die Trauerzeit, für Vater und Mutter, drey Jahre lang. *) Diese Zeit ist in der Folge auf zwey und ein Vierteljahr herunter gesetzt: aber sie lassen sich doch lieber die Strenge der alten Gesetze gefallen, und bringen die ganze Zeit sehr mißvergnügt zu. -- Die Frau muß für ih- ren Mann 3 oder 2 und ein Vierteljahr lang trau- ern, und der Mann für seine verstorbene Frau ein Jahr. Allein die Zeichen der Trauer brau- chen auch nicht in der bestimmten Zeit abgelegt zu werden: sondern man kann seinen verstorbe- nen Freunden jährliche Leichenbegängnisse halten und sie fortsetzen. Diese Leichenbegängnisse er- strecken sich auch so gar bis auf die Großväter, und sie besuchen ihre Gräber mit den größesten Zeichen der Traurigkeit. Diese Hochachtung gegen ihre Verstorbenen, gründet sich bloß dar- auf, weil sie nemlich zuversichtlich glauben, daß die Seelen der Verstorbenen immer gegen- wärtig sind -- wenn sie sie gleich nicht sehen könnten, -- daß sie alle Handlungen sehen, und diese entweder billigten oder verwürfen, belohnten oder bestraften. Diese Meinung bringt den guten Nutzen hervor, tugendhaft zu seyn, und der Laster sich zu enthalten. --
Die
*) Durch die Zeit der drey Jahren soll die Dank- barkeit der Kinder gegen die Sorgfalt ihrer El- tern in den drey ersten hülflosen Jahren ange- zeigt werden. Diese Zeit der Trauer wurde auch in ganz China sehr genau beobachtet.
O
die Trauerzeit, fuͤr Vater und Mutter, drey Jahre lang. *) Dieſe Zeit iſt in der Folge auf zwey und ein Vierteljahr herunter geſetzt: aber ſie laſſen ſich doch lieber die Strenge der alten Geſetze gefallen, und bringen die ganze Zeit ſehr mißvergnuͤgt zu. — Die Frau muß fuͤr ih- ren Mann 3 oder 2 und ein Vierteljahr lang trau- ern, und der Mann fuͤr ſeine verſtorbene Frau ein Jahr. Allein die Zeichen der Trauer brau- chen auch nicht in der beſtimmten Zeit abgelegt zu werden: ſondern man kann ſeinen verſtorbe- nen Freunden jaͤhrliche Leichenbegaͤngniſſe halten und ſie fortſetzen. Dieſe Leichenbegaͤngniſſe er- ſtrecken ſich auch ſo gar bis auf die Großvaͤter, und ſie beſuchen ihre Graͤber mit den groͤßeſten Zeichen der Traurigkeit. Dieſe Hochachtung gegen ihre Verſtorbenen, gruͤndet ſich bloß dar- auf, weil ſie nemlich zuverſichtlich glauben, daß die Seelen der Verſtorbenen immer gegen- waͤrtig ſind — wenn ſie ſie gleich nicht ſehen koͤnnten, — daß ſie alle Handlungen ſehen, und dieſe entweder billigten oder verwuͤrfen, belohnten oder beſtraften. Dieſe Meinung bringt den guten Nutzen hervor, tugendhaft zu ſeyn, und der Laſter ſich zu enthalten. —
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*) Durch die Zeit der drey Jahren ſoll die Dank- barkeit der Kinder gegen die Sorgfalt ihrer El- tern in den drey erſten huͤlfloſen Jahren ange- zeigt werden. Dieſe Zeit der Trauer wurde auch in ganz China ſehr genau beobachtet.
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die Trauerzeit, fuͤr Vater und Mutter, drey
Jahre lang. *) Dieſe Zeit iſt in der Folge auf
zwey und ein Vierteljahr herunter geſetzt: aber
ſie laſſen ſich doch lieber die Strenge der alten
Geſetze gefallen, und bringen die ganze Zeit
ſehr mißvergnuͤgt zu. — Die Frau muß fuͤr ih-
ren Mann 3 oder 2 und ein Vierteljahr lang trau-
ern, und der Mann fuͤr ſeine verſtorbene Frau
ein Jahr. Allein die Zeichen der Trauer brau-
chen auch nicht in der beſtimmten Zeit abgelegt
zu werden: ſondern man kann ſeinen verſtorbe-
nen Freunden jaͤhrliche Leichenbegaͤngniſſe halten
und ſie fortſetzen. Dieſe Leichenbegaͤngniſſe er-
ſtrecken ſich auch ſo gar bis auf die Großvaͤter,
und ſie beſuchen ihre Graͤber mit den groͤßeſten
Zeichen der Traurigkeit. Dieſe Hochachtung
gegen ihre Verſtorbenen, gruͤndet ſich bloß dar-
auf, weil ſie nemlich zuverſichtlich glauben,
daß die Seelen der Verſtorbenen immer gegen-
waͤrtig ſind — wenn ſie ſie gleich nicht ſehen
koͤnnten, — daß ſie alle Handlungen ſehen,
und dieſe entweder billigten oder verwuͤrfen,
belohnten oder beſtraften. Dieſe Meinung bringt
den guten Nutzen hervor, tugendhaft zu ſeyn,
und der Laſter ſich zu enthalten. —
Die
*) Durch die Zeit der drey Jahren ſoll die Dank-
barkeit der Kinder gegen die Sorgfalt ihrer El-
tern in den drey erſten huͤlfloſen Jahren ange-
zeigt werden. Dieſe Zeit der Trauer wurde
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/229>, abgerufen am 15.08.2024.
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