wird eingezogen, wovon die Creditoren nichts erhalten. Das Gericht versiegelt alles, eignet sich das ganze Vermögen zu, und erklärt den Bankerouteur oder Flüchtling für todt, -- Wenn ein Schuldner nicht bezahlt, es sey aus Bosheit oder auch aus Unvermögen; so liefert man ihn in die Hände des Gläubigers. Die- ser hat ein zwiefaches Recht über ihn; erstlich kann er ihn nehmen, und mit ihm machen, was er will -- er kann ihn bey sich einsperren, und ihn nach Belieben übel tractiren, er kann ihn durch die Stadt führen und ihn schlagen, wie einen Hund, nur darf er ihn nicht tödten oder zum Krüppel machen -- zweytens kann er seine Güter verkaufen und zugleich auch ihn nebst Weib und Kindern; aber zu dieser Extre- mität schreitet man sehr selten.
Es ist in Persien etwas sehr leichtes, sich vor Gerichte über einen andern zu beklagen. Wenn man einen Proceß mit jemanden anfan- gen will; so überreicht man dem Richter eine Bittschrift, in welcher man das Factum so er- zählt, wie man es für gut und der Wahrheit gemäß hält. Der Richter bemerckt am Ran- de, daß man die Partheyen vorlassen solle, und übergiebt seinem Bedienten die Commission, den Beklagten vorzuholen. Dieser sagt ihm: Mein Herr, dieser oder jener fodert euch vor sich, kommt mit mir, und er folgt ihm augenblicklich. Wenn sie mit einander unter Wegens sind; so fodert der Bediente einen
Lohn
wird eingezogen, wovon die Creditoren nichts erhalten. Das Gericht verſiegelt alles, eignet ſich das ganze Vermoͤgen zu, und erklaͤrt den Bankerouteur oder Fluͤchtling fuͤr todt, — Wenn ein Schuldner nicht bezahlt, es ſey aus Bosheit oder auch aus Unvermoͤgen; ſo liefert man ihn in die Haͤnde des Glaͤubigers. Die- ſer hat ein zwiefaches Recht uͤber ihn; erſtlich kann er ihn nehmen, und mit ihm machen, was er will — er kann ihn bey ſich einſperren, und ihn nach Belieben uͤbel tractiren, er kann ihn durch die Stadt fuͤhren und ihn ſchlagen, wie einen Hund, nur darf er ihn nicht toͤdten oder zum Kruͤppel machen — zweytens kann er ſeine Guͤter verkaufen und zugleich auch ihn nebſt Weib und Kindern; aber zu dieſer Extre- mitaͤt ſchreitet man ſehr ſelten.
Es iſt in Perſien etwas ſehr leichtes, ſich vor Gerichte uͤber einen andern zu beklagen. Wenn man einen Proceß mit jemanden anfan- gen will; ſo uͤberreicht man dem Richter eine Bittſchrift, in welcher man das Factum ſo er- zaͤhlt, wie man es fuͤr gut und der Wahrheit gemaͤß haͤlt. Der Richter bemerckt am Ran- de, daß man die Partheyen vorlaſſen ſolle, und uͤbergiebt ſeinem Bedienten die Commiſſion, den Beklagten vorzuholen. Dieſer ſagt ihm: Mein Herr, dieſer oder jener fodert euch vor ſich, kommt mit mir, und er folgt ihm augenblicklich. Wenn ſie mit einander unter Wegens ſind; ſo fodert der Bediente einen
Lohn
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wird eingezogen, wovon die Creditoren nichts
erhalten. Das Gericht verſiegelt alles, eignet
ſich das ganze Vermoͤgen zu, und erklaͤrt den
Bankerouteur oder Fluͤchtling fuͤr todt, —
Wenn ein Schuldner nicht bezahlt, es ſey aus
Bosheit oder auch aus Unvermoͤgen; ſo liefert
man ihn in die Haͤnde des Glaͤubigers. Die-
ſer hat ein zwiefaches Recht uͤber ihn; erſtlich
kann er ihn nehmen, und mit ihm machen, was
er will — er kann ihn bey ſich einſperren, und
ihn nach Belieben uͤbel tractiren, er kann ihn
durch die Stadt fuͤhren und ihn ſchlagen, wie
einen Hund, nur darf er ihn nicht toͤdten oder
zum Kruͤppel machen — zweytens kann er
ſeine Guͤter verkaufen und zugleich auch ihn
nebſt Weib und Kindern; aber zu dieſer Extre-
mitaͤt ſchreitet man ſehr ſelten.
Es iſt in Perſien etwas ſehr leichtes, ſich
vor Gerichte uͤber einen andern zu beklagen.
Wenn man einen Proceß mit jemanden anfan-
gen will; ſo uͤberreicht man dem Richter eine
Bittſchrift, in welcher man das Factum ſo er-
zaͤhlt, wie man es fuͤr gut und der Wahrheit
gemaͤß haͤlt. Der Richter bemerckt am Ran-
de, daß man die Partheyen vorlaſſen ſolle, und
uͤbergiebt ſeinem Bedienten die Commiſſion,
den Beklagten vorzuholen. Dieſer ſagt ihm:
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/161>, abgerufen am 25.11.2024.
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