besieht, ist das Recht Ourf weiter nichts, als ein wohlverstandenes natürliches Recht. -- Die Vorsteher dieses Rechts, oder die höchste Macht, sind der President des Divan, der Vi- zir, der Gouverneur der Stadt und desseu Lieu- tenant, welcher des Nachts für die Ordnung sorgen muß. Dieß Gericht mischt sich auch oft in Sachen, die schon vor andern Gerichten sind beygelegt worden. Und in der That, wenn die Autorität dieses Tribunals nicht so groß wäre; so würde man unglaubliche Ungerechtig- keiten in Persien ausüben sehen, man würde keine Spuren von Handel und Wandel er- blicken.
Vor diesen beyden großen Richterstühlen werden gemeiniglich die Sachen von Wichtig- keit abgethan. -- Wir wollen itzt das Wich- tigste von den Gesetzen des persischen Rechts in den gemeinen Angelegenheiten des bürgerlichen Lebens abhandeln.
Bey den Heyrathen gilt in Persien weder die Gleichheit des Standes noch die Einstim- mung der Eltern, um dieselbe gültig zu ma- chen. So bald ein junger Mensch sein gehöri- ges Alter erreicht; so kann er sich nach seinem Belieben eine Frau nehmen, und wenn er sie contractmäßig heyrathat, so wird sie seine Frau; sie mag übrigens von einem Stande seyn, von welchem sie will. Doch aber gesche- hen dergleichen ungleiche Heyrathen sehr sel- ten, weil man gemeiniglich den jungen Leuten
bey
beſieht, iſt das Recht Ourf weiter nichts, als ein wohlverſtandenes natuͤrliches Recht. — Die Vorſteher dieſes Rechts, oder die hoͤchſte Macht, ſind der Preſident des Divan, der Vi- zir, der Gouverneur der Stadt und deſſeu Lieu- tenant, welcher des Nachts fuͤr die Ordnung ſorgen muß. Dieß Gericht miſcht ſich auch oft in Sachen, die ſchon vor andern Gerichten ſind beygelegt worden. Und in der That, wenn die Autoritaͤt dieſes Tribunals nicht ſo groß waͤre; ſo wuͤrde man unglaubliche Ungerechtig- keiten in Perſien ausuͤben ſehen, man wuͤrde keine Spuren von Handel und Wandel er- blicken.
Vor dieſen beyden großen Richterſtuͤhlen werden gemeiniglich die Sachen von Wichtig- keit abgethan. — Wir wollen itzt das Wich- tigſte von den Geſetzen des perſiſchen Rechts in den gemeinen Angelegenheiten des buͤrgerlichen Lebens abhandeln.
Bey den Heyrathen gilt in Perſien weder die Gleichheit des Standes noch die Einſtim- mung der Eltern, um dieſelbe guͤltig zu ma- chen. So bald ein junger Menſch ſein gehoͤri- ges Alter erreicht; ſo kann er ſich nach ſeinem Belieben eine Frau nehmen, und wenn er ſie contractmaͤßig heyrathat, ſo wird ſie ſeine Frau; ſie mag uͤbrigens von einem Stande ſeyn, von welchem ſie will. Doch aber geſche- hen dergleichen ungleiche Heyrathen ſehr ſel- ten, weil man gemeiniglich den jungen Leuten
bey
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0158"n="138"/>
beſieht, iſt das Recht <hirendition="#fr">Ourf</hi> weiter nichts, als<lb/>
ein wohlverſtandenes natuͤrliches Recht. —<lb/>
Die Vorſteher dieſes Rechts, oder die hoͤchſte<lb/>
Macht, ſind der Preſident des <hirendition="#fr">Divan,</hi> der <hirendition="#fr">Vi-<lb/>
zir,</hi> der Gouverneur der Stadt und deſſeu Lieu-<lb/>
tenant, welcher des Nachts fuͤr die Ordnung<lb/>ſorgen muß. Dieß Gericht miſcht ſich auch<lb/>
oft in Sachen, die ſchon vor andern Gerichten<lb/>ſind beygelegt worden. Und in der That, wenn<lb/>
die Autoritaͤt dieſes Tribunals nicht ſo groß<lb/>
waͤre; ſo wuͤrde man unglaubliche Ungerechtig-<lb/>
keiten in Perſien ausuͤben ſehen, man wuͤrde<lb/>
keine Spuren von Handel und Wandel er-<lb/>
blicken.</p><lb/><p>Vor dieſen beyden großen Richterſtuͤhlen<lb/>
werden gemeiniglich die Sachen von Wichtig-<lb/>
keit abgethan. — Wir wollen itzt das Wich-<lb/>
tigſte von den Geſetzen des perſiſchen Rechts in<lb/>
den gemeinen Angelegenheiten des buͤrgerlichen<lb/>
Lebens abhandeln.</p><lb/><p>Bey den Heyrathen gilt in Perſien weder<lb/>
die Gleichheit des Standes noch die Einſtim-<lb/>
mung der Eltern, um dieſelbe guͤltig zu ma-<lb/>
chen. So bald ein junger Menſch ſein gehoͤri-<lb/>
ges Alter erreicht; ſo kann er ſich nach ſeinem<lb/>
Belieben eine Frau nehmen, und wenn er ſie<lb/>
contractmaͤßig heyrathat, ſo wird ſie ſeine<lb/>
Frau; ſie mag uͤbrigens von einem Stande<lb/>ſeyn, von welchem ſie will. Doch aber geſche-<lb/>
hen dergleichen ungleiche Heyrathen ſehr ſel-<lb/>
ten, weil man gemeiniglich den jungen Leuten<lb/><fwplace="bottom"type="catch">bey</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[138/0158]
beſieht, iſt das Recht Ourf weiter nichts, als
ein wohlverſtandenes natuͤrliches Recht. —
Die Vorſteher dieſes Rechts, oder die hoͤchſte
Macht, ſind der Preſident des Divan, der Vi-
zir, der Gouverneur der Stadt und deſſeu Lieu-
tenant, welcher des Nachts fuͤr die Ordnung
ſorgen muß. Dieß Gericht miſcht ſich auch
oft in Sachen, die ſchon vor andern Gerichten
ſind beygelegt worden. Und in der That, wenn
die Autoritaͤt dieſes Tribunals nicht ſo groß
waͤre; ſo wuͤrde man unglaubliche Ungerechtig-
keiten in Perſien ausuͤben ſehen, man wuͤrde
keine Spuren von Handel und Wandel er-
blicken.
Vor dieſen beyden großen Richterſtuͤhlen
werden gemeiniglich die Sachen von Wichtig-
keit abgethan. — Wir wollen itzt das Wich-
tigſte von den Geſetzen des perſiſchen Rechts in
den gemeinen Angelegenheiten des buͤrgerlichen
Lebens abhandeln.
Bey den Heyrathen gilt in Perſien weder
die Gleichheit des Standes noch die Einſtim-
mung der Eltern, um dieſelbe guͤltig zu ma-
chen. So bald ein junger Menſch ſein gehoͤri-
ges Alter erreicht; ſo kann er ſich nach ſeinem
Belieben eine Frau nehmen, und wenn er ſie
contractmaͤßig heyrathat, ſo wird ſie ſeine
Frau; ſie mag uͤbrigens von einem Stande
ſeyn, von welchem ſie will. Doch aber geſche-
hen dergleichen ungleiche Heyrathen ſehr ſel-
ten, weil man gemeiniglich den jungen Leuten
bey
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/158>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.