halte sie das für sehr wahrscheinlich und erkundigte sich, was man dagegen anwenden müsse. Wanda war offenbar nicht ganz vorbereitet auf diese Frage, nach einigem Überlegen entschied sie: "Moorbäder sind das beste!"
Ida betrachtete inzwischen das Kind aufmerksam mit nach denklichen Augen. Sie lächelte es an, ergriff eines seiner Händchen und versuchte auf diese Weise, Freundschaft mit dem Kleinen zu schließen. Während sich Wanda und Frau Katschner weiter über die Englische Krankheit unterhielten, erkundigte sie sich nach dem Leben und Treiben des Kindes. Pauline taute dabei ganz auf. Jetzt wo sie von dem Wichtigsten sprechen konnte, was es für sie auf der Welt gab, fand sie ihre gewöhn¬ liche Lebhaftigkeit und Offenheit wieder. Das Eis war ge¬ brochen. Nicht mehr die Komtesse stand vor ihr, sondern eine Frau wie sie, der sie ihr Herz rückhaltlos ausschütten durfte. Bald wußte Ida alles über das Kind, seine Angewohnheiten und Liebhabereien. Der kleine Gustav wurde aufgefordert, die paar Worte, welche er angeblich sprechen konnte, aufzusagen; wohl aus Ängstlichkeit vor den Fremden versagte er jedoch völlig mit seinen Sprechkünsten.
Nach einiger Zeit wurde Wanda ungeduldig, sie zog die Schwester an der Hand; man müsse nun fort. Sie hätten ja noch ein paar "andre Armenbesuche" im Dorfe zu machen.
Ida bat Pauline beim Abschiednehmen, sie bald einmal auf dem Schlosse zu besuchen. Dem Kleinen küßte sie die Händchen mit einem innigen Ausdruck in ihren stillen Zügen, wie er nur kinderliebenden Frauen eigen ist.
Der Pony hatte sich inzwischen das Gras des Katschnerschen Gartens schmecken lassen. Wanda legte selbst mit Hand an beim Anschirren. Die Komtessen nahmen im Wägelchen Platz. Wanda ergriff Peitsche und Zügel, der Groom saß hinten auf, und fort ging's den schmalen Weg zur Dorfstraße hinab.
Pauline brachte das Kind in die Kammer zurück, dann schürzte sie ihr Kleid wieder auf und machte sich schweigend an's Scheuern. Frau Katschner nahm die Arbeit nicht wieder auf, sie beschäftigte sich vielmehr mit dem Zurechtmachen der
halte ſie das für ſehr wahrſcheinlich und erkundigte ſich, was man dagegen anwenden müſſe. Wanda war offenbar nicht ganz vorbereitet auf dieſe Frage, nach einigem Überlegen entſchied ſie: „Moorbäder ſind das beſte!“
Ida betrachtete inzwiſchen das Kind aufmerkſam mit nach denklichen Augen. Sie lächelte es an, ergriff eines ſeiner Händchen und verſuchte auf dieſe Weiſe, Freundſchaft mit dem Kleinen zu ſchließen. Während ſich Wanda und Frau Katſchner weiter über die Engliſche Krankheit unterhielten, erkundigte ſie ſich nach dem Leben und Treiben des Kindes. Pauline taute dabei ganz auf. Jetzt wo ſie von dem Wichtigſten ſprechen konnte, was es für ſie auf der Welt gab, fand ſie ihre gewöhn¬ liche Lebhaftigkeit und Offenheit wieder. Das Eis war ge¬ brochen. Nicht mehr die Komteſſe ſtand vor ihr, ſondern eine Frau wie ſie, der ſie ihr Herz rückhaltlos ausſchütten durfte. Bald wußte Ida alles über das Kind, ſeine Angewohnheiten und Liebhabereien. Der kleine Guſtav wurde aufgefordert, die paar Worte, welche er angeblich ſprechen konnte, aufzuſagen; wohl aus Ängſtlichkeit vor den Fremden verſagte er jedoch völlig mit ſeinen Sprechkünſten.
Nach einiger Zeit wurde Wanda ungeduldig, ſie zog die Schweſter an der Hand; man müſſe nun fort. Sie hätten ja noch ein paar „andre Armenbeſuche“ im Dorfe zu machen.
Ida bat Pauline beim Abſchiednehmen, ſie bald einmal auf dem Schloſſe zu beſuchen. Dem Kleinen küßte ſie die Händchen mit einem innigen Ausdruck in ihren ſtillen Zügen, wie er nur kinderliebenden Frauen eigen iſt.
Der Pony hatte ſich inzwiſchen das Gras des Katſchnerſchen Gartens ſchmecken laſſen. Wanda legte ſelbſt mit Hand an beim Anſchirren. Die Komteſſen nahmen im Wägelchen Platz. Wanda ergriff Peitſche und Zügel, der Groom ſaß hinten auf, und fort ging's den ſchmalen Weg zur Dorfſtraße hinab.
Pauline brachte das Kind in die Kammer zurück, dann ſchürzte ſie ihr Kleid wieder auf und machte ſich ſchweigend an's Scheuern. Frau Katſchner nahm die Arbeit nicht wieder auf, ſie beſchäftigte ſich vielmehr mit dem Zurechtmachen der
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halte ſie das für ſehr wahrſcheinlich und erkundigte ſich,
was man dagegen anwenden müſſe. Wanda war offenbar
nicht ganz vorbereitet auf dieſe Frage, nach einigem Überlegen
entſchied ſie: „Moorbäder ſind das beſte!“
Ida betrachtete inzwiſchen das Kind aufmerkſam mit nach
denklichen Augen. Sie lächelte es an, ergriff eines ſeiner
Händchen und verſuchte auf dieſe Weiſe, Freundſchaft mit dem
Kleinen zu ſchließen. Während ſich Wanda und Frau Katſchner
weiter über die Engliſche Krankheit unterhielten, erkundigte ſie
ſich nach dem Leben und Treiben des Kindes. Pauline taute
dabei ganz auf. Jetzt wo ſie von dem Wichtigſten ſprechen
konnte, was es für ſie auf der Welt gab, fand ſie ihre gewöhn¬
liche Lebhaftigkeit und Offenheit wieder. Das Eis war ge¬
brochen. Nicht mehr die Komteſſe ſtand vor ihr, ſondern eine
Frau wie ſie, der ſie ihr Herz rückhaltlos ausſchütten durfte.
Bald wußte Ida alles über das Kind, ſeine Angewohnheiten
und Liebhabereien. Der kleine Guſtav wurde aufgefordert, die
paar Worte, welche er angeblich ſprechen konnte, aufzuſagen;
wohl aus Ängſtlichkeit vor den Fremden verſagte er jedoch völlig
mit ſeinen Sprechkünſten.
Nach einiger Zeit wurde Wanda ungeduldig, ſie zog die
Schweſter an der Hand; man müſſe nun fort. Sie hätten ja
noch ein paar „andre Armenbeſuche“ im Dorfe zu machen.
Ida bat Pauline beim Abſchiednehmen, ſie bald einmal
auf dem Schloſſe zu beſuchen. Dem Kleinen küßte ſie die
Händchen mit einem innigen Ausdruck in ihren ſtillen Zügen,
wie er nur kinderliebenden Frauen eigen iſt.
Der Pony hatte ſich inzwiſchen das Gras des Katſchnerſchen
Gartens ſchmecken laſſen. Wanda legte ſelbſt mit Hand an
beim Anſchirren. Die Komteſſen nahmen im Wägelchen Platz.
Wanda ergriff Peitſche und Zügel, der Groom ſaß hinten auf,
und fort ging's den ſchmalen Weg zur Dorfſtraße hinab.
Pauline brachte das Kind in die Kammer zurück, dann
ſchürzte ſie ihr Kleid wieder auf und machte ſich ſchweigend
an's Scheuern. Frau Katſchner nahm die Arbeit nicht wieder
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/93>, abgerufen am 28.11.2024.
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