Und als dieser auf den Gruß nicht zeichnete, sprang der kleine Mann behende die Stufen vom Kretscham auf die Straße hinab, trotz seiner Holzpantoffeln und lief auf das Gefährt zu. "Holt a mal Traugott! Ich ha mit Dir zu raden. --"
Der Bauer brachte das alte Tier, das, wenn einmal im Schusse, schwer zu parieren war, durch ein paarmaliges kräftiges Anziehen der Zügel endlich zum stehen, und fragte mit wenig erfreuter Miene, was "zum Schwerenschock" jener von ihm wolle.
Der Kretschamwirt lachte; es war dies eine von Ernst Kaschels Eigentümlichkeiten, in allen Lebenslagen zu grinsen. Es gab ihm das etwas Verlegenes, ja geradezu Thörichtes und Tölpelhaftes -- jedenfalls, hatte es der Mann, trotz dieser Eigenheit, in seinem Leben zu einer gewissen Macht über seine Mitmenschen gebracht. --
Kaschelernst, wie er meist genannt wurde, verzog also sein kleines bartloses Gesicht zu einem Grinsen und fragte, statt zu antworten: "Hast De's denne so eilig, Traugott! Ich wollt' ack freun, wu De su frih an Tage schun hin wolltest?"
"Ei de Stadt, Hafer verkofen," erwiderte Büttner, ärgerlich über den Aufenthalt, und über das verhaßte Lächeln des Schwagers, dessen wahren Sinn er am eigenen Leibe oft genug erfahren hatte. Schon hob er die Peitsche, um den Rappen von neuem anzutreiben. Aber der Wirt hatte das Pferd inzwischen am Kehlriemen gefaßt und kraute es in den Nüstern, so daß der Bauer, wäre er jetzt losgefahren, den Schwager höchst wahrscheinlich über den Haufen gerannt hätte.
Kaschelernst war ein kleines hiefriches Männchen, mit rötlich glänzendem, dabei magerem Gesicht. Den feuchten schwim¬ menden Augen konnte man die Liebhaberei des Wirtes für die Getränke ansehen, die er selbst verschänkte. Mit dem kahlen spitzen Kopfe, dem fliehenden Kinn und dem Rest von vor¬ springenden Zähnen in dem bartlosen Munde, sah er einer alten Ratte nicht unähnlich. Seine Glatze deckte Tag ein Tag aus eine gewirkte Zipfelmütze, der Leib war in die Wirts¬ schürze eingeschnallt, an den Füßen trug er blaue Strümpfe, in denen die Beinkleider verschwanden.
W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 3
Und als dieſer auf den Gruß nicht zeichnete, ſprang der kleine Mann behende die Stufen vom Kretſcham auf die Straße hinab, trotz ſeiner Holzpantoffeln und lief auf das Gefährt zu. „Holt a mal Traugott! Ich ha mit Dir zu raden. —“
Der Bauer brachte das alte Tier, das, wenn einmal im Schuſſe, ſchwer zu parieren war, durch ein paarmaliges kräftiges Anziehen der Zügel endlich zum ſtehen, und fragte mit wenig erfreuter Miene, was „zum Schwerenſchock“ jener von ihm wolle.
Der Kretſchamwirt lachte; es war dies eine von Ernſt Kaſchels Eigentümlichkeiten, in allen Lebenslagen zu grinſen. Es gab ihm das etwas Verlegenes, ja geradezu Thörichtes und Tölpelhaftes — jedenfalls, hatte es der Mann, trotz dieſer Eigenheit, in ſeinem Leben zu einer gewiſſen Macht über ſeine Mitmenſchen gebracht. —
Kaſchelernſt, wie er meiſt genannt wurde, verzog alſo ſein kleines bartloſes Geſicht zu einem Grinſen und fragte, ſtatt zu antworten: „Haſt De's denne ſo eilig, Traugott! Ich wollt' ack freun, wu De ſu frih an Tage ſchun hin wollteſt?“
„Ei de Stadt, Hafer verkofen,“ erwiderte Büttner, ärgerlich über den Aufenthalt, und über das verhaßte Lächeln des Schwagers, deſſen wahren Sinn er am eigenen Leibe oft genug erfahren hatte. Schon hob er die Peitſche, um den Rappen von neuem anzutreiben. Aber der Wirt hatte das Pferd inzwiſchen am Kehlriemen gefaßt und kraute es in den Nüſtern, ſo daß der Bauer, wäre er jetzt losgefahren, den Schwager höchſt wahrſcheinlich über den Haufen gerannt hätte.
Kaſchelernſt war ein kleines hiefriches Männchen, mit rötlich glänzendem, dabei magerem Geſicht. Den feuchten ſchwim¬ menden Augen konnte man die Liebhaberei des Wirtes für die Getränke anſehen, die er ſelbſt verſchänkte. Mit dem kahlen ſpitzen Kopfe, dem fliehenden Kinn und dem Reſt von vor¬ ſpringenden Zähnen in dem bartloſen Munde, ſah er einer alten Ratte nicht unähnlich. Seine Glatze deckte Tag ein Tag aus eine gewirkte Zipfelmütze, der Leib war in die Wirts¬ ſchürze eingeſchnallt, an den Füßen trug er blaue Strümpfe, in denen die Beinkleider verſchwanden.
W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 3
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Und als dieſer auf den Gruß nicht zeichnete, ſprang der kleine
Mann behende die Stufen vom Kretſcham auf die Straße
hinab, trotz ſeiner Holzpantoffeln und lief auf das Gefährt zu.
„Holt a mal Traugott! Ich ha mit Dir zu raden. —“
Der Bauer brachte das alte Tier, das, wenn einmal im
Schuſſe, ſchwer zu parieren war, durch ein paarmaliges kräftiges
Anziehen der Zügel endlich zum ſtehen, und fragte mit wenig
erfreuter Miene, was „zum Schwerenſchock“ jener von ihm wolle.
Der Kretſchamwirt lachte; es war dies eine von Ernſt
Kaſchels Eigentümlichkeiten, in allen Lebenslagen zu grinſen.
Es gab ihm das etwas Verlegenes, ja geradezu Thörichtes und
Tölpelhaftes — jedenfalls, hatte es der Mann, trotz dieſer
Eigenheit, in ſeinem Leben zu einer gewiſſen Macht über ſeine
Mitmenſchen gebracht. —
Kaſchelernſt, wie er meiſt genannt wurde, verzog alſo ſein
kleines bartloſes Geſicht zu einem Grinſen und fragte, ſtatt zu
antworten: „Haſt De's denne ſo eilig, Traugott! Ich wollt'
ack freun, wu De ſu frih an Tage ſchun hin wollteſt?“
„Ei de Stadt, Hafer verkofen,“ erwiderte Büttner,
ärgerlich über den Aufenthalt, und über das verhaßte Lächeln
des Schwagers, deſſen wahren Sinn er am eigenen Leibe
oft genug erfahren hatte. Schon hob er die Peitſche, um den
Rappen von neuem anzutreiben. Aber der Wirt hatte das
Pferd inzwiſchen am Kehlriemen gefaßt und kraute es in den
Nüſtern, ſo daß der Bauer, wäre er jetzt losgefahren, den
Schwager höchſt wahrſcheinlich über den Haufen gerannt hätte.
Kaſchelernſt war ein kleines hiefriches Männchen, mit
rötlich glänzendem, dabei magerem Geſicht. Den feuchten ſchwim¬
menden Augen konnte man die Liebhaberei des Wirtes für
die Getränke anſehen, die er ſelbſt verſchänkte. Mit dem kahlen
ſpitzen Kopfe, dem fliehenden Kinn und dem Reſt von vor¬
ſpringenden Zähnen in dem bartloſen Munde, ſah er einer
alten Ratte nicht unähnlich. Seine Glatze deckte Tag ein Tag
aus eine gewirkte Zipfelmütze, der Leib war in die Wirts¬
ſchürze eingeſchnallt, an den Füßen trug er blaue Strümpfe,
in denen die Beinkleider verſchwanden.
W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 3
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/47>, abgerufen am 23.11.2024.
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