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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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Er bereue jetzt, den Juden hineingelassen zu haben. Die neue
Nachbarschaft sei dem Herrn Grafen ein Greuel. --

Der Hauptmann sah wohl selbst ein, daß solche Reden zu
spät kamen und niemanden etwas nützen konnten. Er drückte
dem Alten die Hand, überließ ihn seiner Einsamkeit.

Was wollten die Leute von ihm? Der Alte verachtete sie
im Grunde seiner Seele alle. Alles Reden war sinnlos, alles
Mitleid verschwendet! Jedes Wort der Teilnahme bedeutete
eine Erniedrigung für ihn. Nur in Ruhe sollten sie ihn
lassen, das war das einzige, was er noch von ihnen ver¬
langte.


Auch dem Sohne eröffnete sich der alte Mann nicht. Der
gehörte ja auch zu den Jungen, zu dieser neuen Generation,
die keck über ihn hinweggewachsen war.

Gustav war ja auch diesem Boden entstammt, aber er
war nicht so fest mit ihm verwachsen, daß er das Verpflanzt¬
werden nicht überstanden hätte. Er stand jetzt im Begriffe,
sich in neuen Verhältnissen ein neues Heim aufzurichten für sich
und die Seinen.

Soeben war von Häschke eine Antwort eingetroffen. Er
hatte eine Stelle für den Freund gefunden. Gustav sollte in
einem großen Hause der inneren Stadt die Vizewirtsstelle
übernehmen.

Es war ein verantwortungsreicher Posten. Im Hinter¬
hause befand sich eine Kartonagenfabrik, die über hundert
Leute beschäftigte. Im Parterre des Vorderhauses war ein
Bankgeschäft, im ersten Stock eine Versicherungsgesellschaft;
alles in allem wohnten in dem weitläufigen Gebäude einige
zwanzig verschiedene Parteien.

Gustavs ausgezeichnete Militärpapiere hatten den Ausschlag
gegeben, als er zu dieser Stellung gewählt wurde. Häschke
riet, daß er sofort annehmen solle; es gäbe eine ganze Anzahl
anderer Bewerber für den Posten.

Für Gustav war es nichts Kleines, sich hier zu entscheiden.

Er bereue jetzt, den Juden hineingelaſſen zu haben. Die neue
Nachbarſchaft ſei dem Herrn Grafen ein Greuel. —

Der Hauptmann ſah wohl ſelbſt ein, daß ſolche Reden zu
ſpät kamen und niemanden etwas nützen konnten. Er drückte
dem Alten die Hand, überließ ihn ſeiner Einſamkeit.

Was wollten die Leute von ihm? Der Alte verachtete ſie
im Grunde ſeiner Seele alle. Alles Reden war ſinnlos, alles
Mitleid verſchwendet! Jedes Wort der Teilnahme bedeutete
eine Erniedrigung für ihn. Nur in Ruhe ſollten ſie ihn
laſſen, das war das einzige, was er noch von ihnen ver¬
langte.


Auch dem Sohne eröffnete ſich der alte Mann nicht. Der
gehörte ja auch zu den Jungen, zu dieſer neuen Generation,
die keck über ihn hinweggewachſen war.

Guſtav war ja auch dieſem Boden entſtammt, aber er
war nicht ſo feſt mit ihm verwachſen, daß er das Verpflanzt¬
werden nicht überſtanden hätte. Er ſtand jetzt im Begriffe,
ſich in neuen Verhältniſſen ein neues Heim aufzurichten für ſich
und die Seinen.

Soeben war von Häſchke eine Antwort eingetroffen. Er
hatte eine Stelle für den Freund gefunden. Guſtav ſollte in
einem großen Hauſe der inneren Stadt die Vizewirtsſtelle
übernehmen.

Es war ein verantwortungsreicher Poſten. Im Hinter¬
hauſe befand ſich eine Kartonagenfabrik, die über hundert
Leute beſchäftigte. Im Parterre des Vorderhauſes war ein
Bankgeſchäft, im erſten Stock eine Verſicherungsgeſellſchaft;
alles in allem wohnten in dem weitläufigen Gebäude einige
zwanzig verſchiedene Parteien.

Guſtavs ausgezeichnete Militärpapiere hatten den Ausſchlag
gegeben, als er zu dieſer Stellung gewählt wurde. Häſchke
riet, daß er ſofort annehmen ſolle; es gäbe eine ganze Anzahl
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[413/0427] Er bereue jetzt, den Juden hineingelaſſen zu haben. Die neue Nachbarſchaft ſei dem Herrn Grafen ein Greuel. — Der Hauptmann ſah wohl ſelbſt ein, daß ſolche Reden zu ſpät kamen und niemanden etwas nützen konnten. Er drückte dem Alten die Hand, überließ ihn ſeiner Einſamkeit. Was wollten die Leute von ihm? Der Alte verachtete ſie im Grunde ſeiner Seele alle. Alles Reden war ſinnlos, alles Mitleid verſchwendet! Jedes Wort der Teilnahme bedeutete eine Erniedrigung für ihn. Nur in Ruhe ſollten ſie ihn laſſen, das war das einzige, was er noch von ihnen ver¬ langte. Auch dem Sohne eröffnete ſich der alte Mann nicht. Der gehörte ja auch zu den Jungen, zu dieſer neuen Generation, die keck über ihn hinweggewachſen war. Guſtav war ja auch dieſem Boden entſtammt, aber er war nicht ſo feſt mit ihm verwachſen, daß er das Verpflanzt¬ werden nicht überſtanden hätte. Er ſtand jetzt im Begriffe, ſich in neuen Verhältniſſen ein neues Heim aufzurichten für ſich und die Seinen. Soeben war von Häſchke eine Antwort eingetroffen. Er hatte eine Stelle für den Freund gefunden. Guſtav ſollte in einem großen Hauſe der inneren Stadt die Vizewirtsſtelle übernehmen. Es war ein verantwortungsreicher Poſten. Im Hinter¬ hauſe befand ſich eine Kartonagenfabrik, die über hundert Leute beſchäftigte. Im Parterre des Vorderhauſes war ein Bankgeſchäft, im erſten Stock eine Verſicherungsgeſellſchaft; alles in allem wohnten in dem weitläufigen Gebäude einige zwanzig verſchiedene Parteien. Guſtavs ausgezeichnete Militärpapiere hatten den Ausſchlag gegeben, als er zu dieſer Stellung gewählt wurde. Häſchke riet, daß er ſofort annehmen ſolle; es gäbe eine ganze Anzahl anderer Bewerber für den Poſten. Für Guſtav war es nichts Kleines, ſich hier zu entſcheiden.

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/427>, abgerufen am 28.11.2024.