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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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In Gustav rief dieser Brief geradezu eine Gährung hervor.

Seit er neulich auf dem Rückwege aus der Rübengegend
das Leben der großen Stadt wieder einmal gekostet hatte, war
ihm die geheime Sehnsucht danach nicht wieder aus der Seele
gewichen.

Es bedurfte nicht viel Zuredens von Seiten Häschke¬
karls, um diese Träume und Wünsche, beunruhigend und ver¬
führerisch, wie sie nun einmal für das Landkind waren, lebendig
zu machen.

Der Abend vor allem, wo er in Häschkes Gesellschaft jener
großen Volksversammlungen beigewohnt, hatten sich unauslösch¬
lich seinem Gedächtnisse eingeprägt. Die Tausende, welche in
atemloser Spannung den Worten ihrer Führer gelauscht, die
eindringlichen Worte, welche die schlichten Arbeiter gesprochen,
der mächtige sinnberauschende Applaus, wenn einer das rechte
Wort gefunden, die Disziplin, die Opferwilligkeit, der Korps¬
geist -- nichts von den tiefen Eindrücken, die er in jenen
Tagen in sich aufgenommen, war dem jungen Manne ab¬
handen gekommen.

Was er da gesammelt hatte an neuen Erfahrungen und
Gedanken, was er damals, weil es zu viel auf einmal gewesen,
nicht hatte verarbeiten können, war doch in ihm geblieben,
hatte sich gesetzt und verdichtet, zu einer neuen Weltanschauung.
So wie er gewesen war, konnte er nie wieder werden; er
hatte in geistigem Sinne seine Unschuld verloren. Er fühlte
es selbst, bei den unbedeutendsten Anlässen, daß er mit anderen
Augen in die Welt sehe.

Vor allem aber war eine tiefe Sehnsucht in ihn gekommen,
die ihm keine Ruhe mehr ließ, die Sehnsucht, heraus zu ge¬
langen aus der Enge seiner bisherigen Umgebung, Neues zu
sehen und zu erleben, seinen Gesichtskreis zu erweitern, teilzu¬
nehmen an dem Leben der großen Welt.

Diese Sehnsucht trieb ihn aus seiner Heimat weg, in
die Stadt. Dort war das wahrhaftige Leben allein! In
der Stadt fand man Anregung und Gesellschaft. Dort erfuhr
man, was vorging in der weiten Welt. Da ging einem eine

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In Guſtav rief dieſer Brief geradezu eine Gährung hervor.

Seit er neulich auf dem Rückwege aus der Rübengegend
das Leben der großen Stadt wieder einmal gekoſtet hatte, war
ihm die geheime Sehnſucht danach nicht wieder aus der Seele
gewichen.

Es bedurfte nicht viel Zuredens von Seiten Häſchke¬
karls, um dieſe Träume und Wünſche, beunruhigend und ver¬
führeriſch, wie ſie nun einmal für das Landkind waren, lebendig
zu machen.

Der Abend vor allem, wo er in Häſchkes Geſellſchaft jener
großen Volksverſammlungen beigewohnt, hatten ſich unauslöſch¬
lich ſeinem Gedächtniſſe eingeprägt. Die Tauſende, welche in
atemloſer Spannung den Worten ihrer Führer gelauſcht, die
eindringlichen Worte, welche die ſchlichten Arbeiter geſprochen,
der mächtige ſinnberauſchende Applaus, wenn einer das rechte
Wort gefunden, die Disziplin, die Opferwilligkeit, der Korps¬
geiſt — nichts von den tiefen Eindrücken, die er in jenen
Tagen in ſich aufgenommen, war dem jungen Manne ab¬
handen gekommen.

Was er da geſammelt hatte an neuen Erfahrungen und
Gedanken, was er damals, weil es zu viel auf einmal geweſen,
nicht hatte verarbeiten können, war doch in ihm geblieben,
hatte ſich geſetzt und verdichtet, zu einer neuen Weltanſchauung.
So wie er geweſen war, konnte er nie wieder werden; er
hatte in geiſtigem Sinne ſeine Unſchuld verloren. Er fühlte
es ſelbſt, bei den unbedeutendſten Anläſſen, daß er mit anderen
Augen in die Welt ſehe.

Vor allem aber war eine tiefe Sehnſucht in ihn gekommen,
die ihm keine Ruhe mehr ließ, die Sehnſucht, heraus zu ge¬
langen aus der Enge ſeiner bisherigen Umgebung, Neues zu
ſehen und zu erleben, ſeinen Geſichtskreis zu erweitern, teilzu¬
nehmen an dem Leben der großen Welt.

Dieſe Sehnſucht trieb ihn aus ſeiner Heimat weg, in
die Stadt. Dort war das wahrhaftige Leben allein! In
der Stadt fand man Anregung und Geſellſchaft. Dort erfuhr
man, was vorging in der weiten Welt. Da ging einem eine

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[403/0417] In Guſtav rief dieſer Brief geradezu eine Gährung hervor. Seit er neulich auf dem Rückwege aus der Rübengegend das Leben der großen Stadt wieder einmal gekoſtet hatte, war ihm die geheime Sehnſucht danach nicht wieder aus der Seele gewichen. Es bedurfte nicht viel Zuredens von Seiten Häſchke¬ karls, um dieſe Träume und Wünſche, beunruhigend und ver¬ führeriſch, wie ſie nun einmal für das Landkind waren, lebendig zu machen. Der Abend vor allem, wo er in Häſchkes Geſellſchaft jener großen Volksverſammlungen beigewohnt, hatten ſich unauslöſch¬ lich ſeinem Gedächtniſſe eingeprägt. Die Tauſende, welche in atemloſer Spannung den Worten ihrer Führer gelauſcht, die eindringlichen Worte, welche die ſchlichten Arbeiter geſprochen, der mächtige ſinnberauſchende Applaus, wenn einer das rechte Wort gefunden, die Disziplin, die Opferwilligkeit, der Korps¬ geiſt — nichts von den tiefen Eindrücken, die er in jenen Tagen in ſich aufgenommen, war dem jungen Manne ab¬ handen gekommen. Was er da geſammelt hatte an neuen Erfahrungen und Gedanken, was er damals, weil es zu viel auf einmal geweſen, nicht hatte verarbeiten können, war doch in ihm geblieben, hatte ſich geſetzt und verdichtet, zu einer neuen Weltanſchauung. So wie er geweſen war, konnte er nie wieder werden; er hatte in geiſtigem Sinne ſeine Unſchuld verloren. Er fühlte es ſelbſt, bei den unbedeutendſten Anläſſen, daß er mit anderen Augen in die Welt ſehe. Vor allem aber war eine tiefe Sehnſucht in ihn gekommen, die ihm keine Ruhe mehr ließ, die Sehnſucht, heraus zu ge¬ langen aus der Enge ſeiner bisherigen Umgebung, Neues zu ſehen und zu erleben, ſeinen Geſichtskreis zu erweitern, teilzu¬ nehmen an dem Leben der großen Welt. Dieſe Sehnſucht trieb ihn aus ſeiner Heimat weg, in die Stadt. Dort war das wahrhaftige Leben allein! In der Stadt fand man Anregung und Geſellſchaft. Dort erfuhr man, was vorging in der weiten Welt. Da ging einem eine 26*

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/417>, abgerufen am 24.11.2024.