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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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Ernestine das Haus verlassen, war nicht mehr gekocht wor¬
den. Kohlenvorräte und Holz fehlten. An Eßwaren gab
es nur halberfrorene Kartoffeln und faulendes Kraut im
Keller. Der alte Mann lebte von Milch, in die er sich etwas
Brod schnitt. Sein Bart war ihm langgewachsen, umgab,
als gelbgraue struppige Krause, das ausgemergelte Gesicht.
Die Augen lagen in tiefen dunklen Höhlen. Seine Kleider
starrten von Schmutz. Er ging nicht mehr aus dem Hofe.
In der Kirche hatte man ihn seit Monaten nicht gesehen.
Wenn er Menschen auf den Hof zukommen sah, rannte er
hinauf in die Dachkammer, schloß sich dort ein und gab auf
noch so lautes Klopfen und Rufen keine Antwort.

Dem Sohne fiel das Herz vor die Füße, als er diese
Dinge wahrnahm. Viel zu helfen war hier nicht! Das Gut
konnte er dem Vater ja doch nicht zurückerobern. --

Gustav sorgte dafür, daß wenigstens Vorräte in's Haus
kamen. Dann machte er einen Versuch, Ernestine zum Vater
zurückzuführen; aber der scheiterte an dem Eigensinn des
Mädchens.

Gustav veranlaßte infolgedessen Paulinen, täglich einige
Stunden auf das Bauerngut zu gehen, dem Vater das
Essen zu bereiten und auch sonst für seine Notdurft zu
sorgen.


Weihnachten war herangekommen. Eine Woche vor dem
Christfeste kam ein Brief an mit dem Poststempel: Berlin. Toni
schrieb an Ernestine, sie werde zum Heiligenchrist nach Halbe¬
nau kommen. Ihr ,Chef' habe ihr Urlaub gegeben, damit sie
sich zu Hause auskurieren solle. Sie habe nämlich vom vielen
Stehen geschwollene Beine bekommen, daß sie kaum noch Schuhe
über die Füße ziehen könne.

Ernestine ließ Tonis Brief unter den Freunden und Ver¬
wandten herum gehen. Es war auf feinstem rosa Papier ge¬
schrieben und duftete süß; der Inhalt war Kauderwelsch.

Erneſtine das Haus verlaſſen, war nicht mehr gekocht wor¬
den. Kohlenvorräte und Holz fehlten. An Eßwaren gab
es nur halberfrorene Kartoffeln und faulendes Kraut im
Keller. Der alte Mann lebte von Milch, in die er ſich etwas
Brod ſchnitt. Sein Bart war ihm langgewachſen, umgab,
als gelbgraue ſtruppige Krauſe, das ausgemergelte Geſicht.
Die Augen lagen in tiefen dunklen Höhlen. Seine Kleider
ſtarrten von Schmutz. Er ging nicht mehr aus dem Hofe.
In der Kirche hatte man ihn ſeit Monaten nicht geſehen.
Wenn er Menſchen auf den Hof zukommen ſah, rannte er
hinauf in die Dachkammer, ſchloß ſich dort ein und gab auf
noch ſo lautes Klopfen und Rufen keine Antwort.

Dem Sohne fiel das Herz vor die Füße, als er dieſe
Dinge wahrnahm. Viel zu helfen war hier nicht! Das Gut
konnte er dem Vater ja doch nicht zurückerobern. —

Guſtav ſorgte dafür, daß wenigſtens Vorräte in's Haus
kamen. Dann machte er einen Verſuch, Erneſtine zum Vater
zurückzuführen; aber der ſcheiterte an dem Eigenſinn des
Mädchens.

Guſtav veranlaßte infolgedeſſen Paulinen, täglich einige
Stunden auf das Bauerngut zu gehen, dem Vater das
Eſſen zu bereiten und auch ſonſt für ſeine Notdurft zu
ſorgen.


Weihnachten war herangekommen. Eine Woche vor dem
Chriſtfeſte kam ein Brief an mit dem Poſtſtempel: Berlin. Toni
ſchrieb an Erneſtine, ſie werde zum Heiligenchriſt nach Halbe¬
nau kommen. Ihr ‚Chef‘ habe ihr Urlaub gegeben, damit ſie
ſich zu Hauſe auskurieren ſolle. Sie habe nämlich vom vielen
Stehen geſchwollene Beine bekommen, daß ſie kaum noch Schuhe
über die Füße ziehen könne.

Erneſtine ließ Tonis Brief unter den Freunden und Ver¬
wandten herum gehen. Es war auf feinſtem roſa Papier ge¬
ſchrieben und duftete ſüß; der Inhalt war Kauderwelſch.

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[381/0395] Erneſtine das Haus verlaſſen, war nicht mehr gekocht wor¬ den. Kohlenvorräte und Holz fehlten. An Eßwaren gab es nur halberfrorene Kartoffeln und faulendes Kraut im Keller. Der alte Mann lebte von Milch, in die er ſich etwas Brod ſchnitt. Sein Bart war ihm langgewachſen, umgab, als gelbgraue ſtruppige Krauſe, das ausgemergelte Geſicht. Die Augen lagen in tiefen dunklen Höhlen. Seine Kleider ſtarrten von Schmutz. Er ging nicht mehr aus dem Hofe. In der Kirche hatte man ihn ſeit Monaten nicht geſehen. Wenn er Menſchen auf den Hof zukommen ſah, rannte er hinauf in die Dachkammer, ſchloß ſich dort ein und gab auf noch ſo lautes Klopfen und Rufen keine Antwort. Dem Sohne fiel das Herz vor die Füße, als er dieſe Dinge wahrnahm. Viel zu helfen war hier nicht! Das Gut konnte er dem Vater ja doch nicht zurückerobern. — Guſtav ſorgte dafür, daß wenigſtens Vorräte in's Haus kamen. Dann machte er einen Verſuch, Erneſtine zum Vater zurückzuführen; aber der ſcheiterte an dem Eigenſinn des Mädchens. Guſtav veranlaßte infolgedeſſen Paulinen, täglich einige Stunden auf das Bauerngut zu gehen, dem Vater das Eſſen zu bereiten und auch ſonſt für ſeine Notdurft zu ſorgen. Weihnachten war herangekommen. Eine Woche vor dem Chriſtfeſte kam ein Brief an mit dem Poſtſtempel: Berlin. Toni ſchrieb an Erneſtine, ſie werde zum Heiligenchriſt nach Halbe¬ nau kommen. Ihr ‚Chef‘ habe ihr Urlaub gegeben, damit ſie ſich zu Hauſe auskurieren ſolle. Sie habe nämlich vom vielen Stehen geſchwollene Beine bekommen, daß ſie kaum noch Schuhe über die Füße ziehen könne. Erneſtine ließ Tonis Brief unter den Freunden und Ver¬ wandten herum gehen. Es war auf feinſtem roſa Papier ge¬ ſchrieben und duftete ſüß; der Inhalt war Kauderwelſch.

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/395>, abgerufen am 28.11.2024.