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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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Wenn sie auf ihrer Wanderung an prächtigen Ritter¬
gütern, stattlichen Kirchen, prunkhaften Fabrikantenvillen vorüber¬
kamen, da hatte Häschke wohl mit der Faust hinübergedroht
nach jenen stolzen Gebäuden, einen Fluch hervorgestoßen und
ausgespuckt.

Gustav hatte ihm darin nicht nachgeahmt. So schnell
wollte er nicht den Glauben an jene Autoritäten aufgeben, die
sein ganzes bisheriges Leben beherrscht hatten. Aber der
Kinderglaube an die weise Einteilung und gerechte Ordnung
aller Dinge hatte einen Stoß erlitten. In sein Blut war ein
Stoff getragen worden, der, wenn einmal aufgenommen, nicht
mehr zu tilgen ist.

Die neuen Ideen hatten noch keine feste Gestalt ange¬
nommen bei ihm; er fürchtete sich vor dieser Weltanschauung.
Aber er konnte es nicht verhindern, daß sich ihm die Dinge in
die Augen drängten, und daß er sich selbst neuerdings auf
Gedanken ertappte, die ihm noch vor kurzem verbrecherisch er¬
schienen wären.


Gustav und Häschke fuhren in die Stadt ein. Schon
lange hatte man an den vereinzelten Häusern mitten im Felde,
den Bauplätzen und halbfertigen Straßenreihen, den Feuer¬
mauern, Essen und Etablissements aller Art, die Stadt gemerkt.
Aus dem Kohlendunst, der, einer düsteren Wolke gleich, am
Horizonte stand, konnte man schließen, daß es ein industrielles
Centrum sei. Sobald man in den mächtigen Bahnhof mit
seiner glasbedachten Halle eingefahren war, übernahm Häschke
die Führung; er war auf diesem Pflaster wohlbekannt.

Das erste, was er that, war, sich an einer Straßenecke eine
Zeitung mit Wohnungsanzeiger zu kaufen; darin hatte er bald
gefunden, was er suchte: "Schlafstellen für Handwerksburschen
und Zugereiste noch zu haben bei Müller auf der Feld¬
straße".

Häschke kannte die Feldstraße nicht. Aber es war erstaun¬

Wenn ſie auf ihrer Wanderung an prächtigen Ritter¬
gütern, ſtattlichen Kirchen, prunkhaften Fabrikantenvillen vorüber¬
kamen, da hatte Häſchke wohl mit der Fauſt hinübergedroht
nach jenen ſtolzen Gebäuden, einen Fluch hervorgeſtoßen und
ausgeſpuckt.

Guſtav hatte ihm darin nicht nachgeahmt. So ſchnell
wollte er nicht den Glauben an jene Autoritäten aufgeben, die
ſein ganzes bisheriges Leben beherrſcht hatten. Aber der
Kinderglaube an die weiſe Einteilung und gerechte Ordnung
aller Dinge hatte einen Stoß erlitten. In ſein Blut war ein
Stoff getragen worden, der, wenn einmal aufgenommen, nicht
mehr zu tilgen iſt.

Die neuen Ideen hatten noch keine feſte Geſtalt ange¬
nommen bei ihm; er fürchtete ſich vor dieſer Weltanſchauung.
Aber er konnte es nicht verhindern, daß ſich ihm die Dinge in
die Augen drängten, und daß er ſich ſelbſt neuerdings auf
Gedanken ertappte, die ihm noch vor kurzem verbrecheriſch er¬
ſchienen wären.


Guſtav und Häſchke fuhren in die Stadt ein. Schon
lange hatte man an den vereinzelten Häuſern mitten im Felde,
den Bauplätzen und halbfertigen Straßenreihen, den Feuer¬
mauern, Eſſen und Etabliſſements aller Art, die Stadt gemerkt.
Aus dem Kohlendunſt, der, einer düſteren Wolke gleich, am
Horizonte ſtand, konnte man ſchließen, daß es ein induſtrielles
Centrum ſei. Sobald man in den mächtigen Bahnhof mit
ſeiner glasbedachten Halle eingefahren war, übernahm Häſchke
die Führung; er war auf dieſem Pflaſter wohlbekannt.

Das erſte, was er that, war, ſich an einer Straßenecke eine
Zeitung mit Wohnungsanzeiger zu kaufen; darin hatte er bald
gefunden, was er ſuchte: „Schlafſtellen für Handwerksburſchen
und Zugereiſte noch zu haben bei Müller auf der Feld¬
ſtraße“.

Häſchke kannte die Feldſtraße nicht. Aber es war erſtaun¬

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[364/0378] Wenn ſie auf ihrer Wanderung an prächtigen Ritter¬ gütern, ſtattlichen Kirchen, prunkhaften Fabrikantenvillen vorüber¬ kamen, da hatte Häſchke wohl mit der Fauſt hinübergedroht nach jenen ſtolzen Gebäuden, einen Fluch hervorgeſtoßen und ausgeſpuckt. Guſtav hatte ihm darin nicht nachgeahmt. So ſchnell wollte er nicht den Glauben an jene Autoritäten aufgeben, die ſein ganzes bisheriges Leben beherrſcht hatten. Aber der Kinderglaube an die weiſe Einteilung und gerechte Ordnung aller Dinge hatte einen Stoß erlitten. In ſein Blut war ein Stoff getragen worden, der, wenn einmal aufgenommen, nicht mehr zu tilgen iſt. Die neuen Ideen hatten noch keine feſte Geſtalt ange¬ nommen bei ihm; er fürchtete ſich vor dieſer Weltanſchauung. Aber er konnte es nicht verhindern, daß ſich ihm die Dinge in die Augen drängten, und daß er ſich ſelbſt neuerdings auf Gedanken ertappte, die ihm noch vor kurzem verbrecheriſch er¬ ſchienen wären. Guſtav und Häſchke fuhren in die Stadt ein. Schon lange hatte man an den vereinzelten Häuſern mitten im Felde, den Bauplätzen und halbfertigen Straßenreihen, den Feuer¬ mauern, Eſſen und Etabliſſements aller Art, die Stadt gemerkt. Aus dem Kohlendunſt, der, einer düſteren Wolke gleich, am Horizonte ſtand, konnte man ſchließen, daß es ein induſtrielles Centrum ſei. Sobald man in den mächtigen Bahnhof mit ſeiner glasbedachten Halle eingefahren war, übernahm Häſchke die Führung; er war auf dieſem Pflaſter wohlbekannt. Das erſte, was er that, war, ſich an einer Straßenecke eine Zeitung mit Wohnungsanzeiger zu kaufen; darin hatte er bald gefunden, was er ſuchte: „Schlafſtellen für Handwerksburſchen und Zugereiſte noch zu haben bei Müller auf der Feld¬ ſtraße“. Häſchke kannte die Feldſtraße nicht. Aber es war erſtaun¬

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/378>, abgerufen am 24.11.2024.