hatte seinen Tribut an die Landstraße gezahlt. Brotlose Fabrikarbeiter, heruntergekommene Kaufleute, stellenlose Beamte, entlassene Sträflinge, Bettler von Profession, Arbeitsscheue, Invaliden, fahrende Künstler. -- Die wenigsten waren zünftige Handwerksburschen, wie sie in früherer Zeit durch das Land reisten von Meister zu Meister, um ein Stück Welt zu sehen und ihre Fertigkeit zu vermehren. Nicht die Arbeitslust, die Not, hatte diese hier auf die Straße getrieben.
Allen war das eine gemeinsam: die Heimatlosigkeit. Von der Scholle waren sie getrennt, deren mütterlich nährende Kraft nichts ersetzen kann. Das waren die wirklich Enterbten, denn sie hatten nicht, worauf jeder von Geburtswegen Anspruch hat, ein Stück Erde, darauf er seine Füße ausruhen, auf dem er leben und sterben darf. --
In den Pennen hatte Gustav Reden mit angehört und Dinge gesehen, die ihm die Haut erschaudern machten, obgleich er vom Dorfe und der Kaserne her doch nicht gerade verwöhnt war.
Unter diesen hier, galt kein Gesetz, als das der Gaunerei, keine Ehre, außer der Vagabundenpfiffigkeit, Genuß und Vor¬ teil waren die einzigen Autoritäten, die anerkannt wurden, Rechtlichkeit und Frömmigkeit wurden verlacht. Wie konnte der auch rechtlich sein, der nichts zu gewinnen und nichts zu verlieren hatte, wie konnte fromm und gut sein, der, dem Tiere gleich, ohne Gerechtigkeit, ohne Achtung, ohne Liebe, war. Die Be¬ griffe von Gut und Böse, von Eigentum, Recht und Ordnung mußten sich verschieben und in ihr Gegenteil verkehren für Existenzen, die in der Luft schwebten, die den Zusammen¬ hang mit ihresgleichen den Boden unter den Füßen, den Unter¬ grund aller Gesellschaft, verloren hatten.
In Gustavs Gemüt hatten die Erlebnisse der letzten Zeit einen unklaren Bodensatz zurückgelassen. Es ging doch ganz anders zu in der Welt, als er sich's früher vorgestellt hatte, ganz anders, als es ihm seine Lehrer und Instruktoren gesagt. Viel Ungerechtigkeit gab es, von der man sich nichts hatte träumen lassen. Die Güter waren sehr ungleich verteilt unter den Menschen.
hatte ſeinen Tribut an die Landſtraße gezahlt. Brotloſe Fabrikarbeiter, heruntergekommene Kaufleute, ſtellenloſe Beamte, entlaſſene Sträflinge, Bettler von Profeſſion, Arbeitsſcheue, Invaliden, fahrende Künſtler. — Die wenigſten waren zünftige Handwerksburſchen, wie ſie in früherer Zeit durch das Land reiſten von Meiſter zu Meiſter, um ein Stück Welt zu ſehen und ihre Fertigkeit zu vermehren. Nicht die Arbeitsluſt, die Not, hatte dieſe hier auf die Straße getrieben.
Allen war das eine gemeinſam: die Heimatloſigkeit. Von der Scholle waren ſie getrennt, deren mütterlich nährende Kraft nichts erſetzen kann. Das waren die wirklich Enterbten, denn ſie hatten nicht, worauf jeder von Geburtswegen Anſpruch hat, ein Stück Erde, darauf er ſeine Füße ausruhen, auf dem er leben und ſterben darf. —
In den Pennen hatte Guſtav Reden mit angehört und Dinge geſehen, die ihm die Haut erſchaudern machten, obgleich er vom Dorfe und der Kaſerne her doch nicht gerade verwöhnt war.
Unter dieſen hier, galt kein Geſetz, als das der Gaunerei, keine Ehre, außer der Vagabundenpfiffigkeit, Genuß und Vor¬ teil waren die einzigen Autoritäten, die anerkannt wurden, Rechtlichkeit und Frömmigkeit wurden verlacht. Wie konnte der auch rechtlich ſein, der nichts zu gewinnen und nichts zu verlieren hatte, wie konnte fromm und gut ſein, der, dem Tiere gleich, ohne Gerechtigkeit, ohne Achtung, ohne Liebe, war. Die Be¬ griffe von Gut und Böſe, von Eigentum, Recht und Ordnung mußten ſich verſchieben und in ihr Gegenteil verkehren für Exiſtenzen, die in der Luft ſchwebten, die den Zuſammen¬ hang mit ihresgleichen den Boden unter den Füßen, den Unter¬ grund aller Geſellſchaft, verloren hatten.
In Guſtavs Gemüt hatten die Erlebniſſe der letzten Zeit einen unklaren Bodenſatz zurückgelaſſen. Es ging doch ganz anders zu in der Welt, als er ſich's früher vorgeſtellt hatte, ganz anders, als es ihm ſeine Lehrer und Inſtruktoren geſagt. Viel Ungerechtigkeit gab es, von der man ſich nichts hatte träumen laſſen. Die Güter waren ſehr ungleich verteilt unter den Menſchen.
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hatte ſeinen Tribut an die Landſtraße gezahlt. Brotloſe
Fabrikarbeiter, heruntergekommene Kaufleute, ſtellenloſe Beamte,
entlaſſene Sträflinge, Bettler von Profeſſion, Arbeitsſcheue,
Invaliden, fahrende Künſtler. — Die wenigſten waren zünftige
Handwerksburſchen, wie ſie in früherer Zeit durch das Land
reiſten von Meiſter zu Meiſter, um ein Stück Welt zu ſehen
und ihre Fertigkeit zu vermehren. Nicht die Arbeitsluſt, die
Not, hatte dieſe hier auf die Straße getrieben.
Allen war das eine gemeinſam: die Heimatloſigkeit. Von
der Scholle waren ſie getrennt, deren mütterlich nährende
Kraft nichts erſetzen kann. Das waren die wirklich Enterbten,
denn ſie hatten nicht, worauf jeder von Geburtswegen Anſpruch
hat, ein Stück Erde, darauf er ſeine Füße ausruhen, auf dem
er leben und ſterben darf. —
In den Pennen hatte Guſtav Reden mit angehört und
Dinge geſehen, die ihm die Haut erſchaudern machten, obgleich er
vom Dorfe und der Kaſerne her doch nicht gerade verwöhnt war.
Unter dieſen hier, galt kein Geſetz, als das der Gaunerei,
keine Ehre, außer der Vagabundenpfiffigkeit, Genuß und Vor¬
teil waren die einzigen Autoritäten, die anerkannt wurden,
Rechtlichkeit und Frömmigkeit wurden verlacht. Wie konnte der
auch rechtlich ſein, der nichts zu gewinnen und nichts zu verlieren
hatte, wie konnte fromm und gut ſein, der, dem Tiere gleich,
ohne Gerechtigkeit, ohne Achtung, ohne Liebe, war. Die Be¬
griffe von Gut und Böſe, von Eigentum, Recht und Ordnung
mußten ſich verſchieben und in ihr Gegenteil verkehren für
Exiſtenzen, die in der Luft ſchwebten, die den Zuſammen¬
hang mit ihresgleichen den Boden unter den Füßen, den Unter¬
grund aller Geſellſchaft, verloren hatten.
In Guſtavs Gemüt hatten die Erlebniſſe der letzten Zeit
einen unklaren Bodenſatz zurückgelaſſen. Es ging doch ganz
anders zu in der Welt, als er ſich's früher vorgeſtellt hatte,
ganz anders, als es ihm ſeine Lehrer und Inſtruktoren
geſagt. Viel Ungerechtigkeit gab es, von der man ſich nichts
hatte träumen laſſen. Die Güter waren ſehr ungleich verteilt
unter den Menſchen.
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/377>, abgerufen am 24.11.2024.
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