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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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stolperte dabei, fiel über sie hin, lag auf ihr und schrie ihr
in's Ohr: "Mei Geld! giebst De mei Geld raus?"

Sie lag da mit geschlossenen Augen. Schon griff er
nach ihrem Hals, um die Ohnmächtige zu würgen, als er sah,
daß Blut unter dem Haar hervordrang: ein dünner roter
Faden, der über die Stirn, an der Nase hin, nach dem Munde
zu eilte.

Da hielt er inne; hiervor erschrak selbst die bestialische
Wut. Er erhob sich, betrachtete sie. Die Frau sah schreck¬
lich aus, mit ihrem zerfetzten Haar und dem entblößten
Busen.

Er zog sich unwillkürlich vor dem zurück, was er an¬
gerichtet hatte. Ihm ward schwül; die Beine versagten ihm
plötzlich den Dienst. Er schlug auf das Bett hin. In
wenigen Minuten schnarchte er, die Glieder weit von sich
streckend.

Nach einer Weile fing Therese an, sich zu regen. Sie
öffnete die Augen, bewegte die Arme, richtete sich mühsam
auf. Nach dem Kopfe tastend, entdeckte sie das Blut. Sie
wischte es ab, so gut sie konnte.

Dann erhob sie sich ganz, befühlte ihre Gliedmaßen.
Sie konnte noch stehen und gehen, wenn auch mit argen
Schmerzen.

Nebenan heulten die Kinder. Therese öffnete die Thür
zur Hälfte und rief ihnen zu: sie sollten stille sein, gleich würde
sie kommen.

Dann fiel ihr Blick auf den schlafenden Karl. Der Kopf
war ihm über die Bettlehne gesunken. Sein Gesicht war be¬
reits blaurot. Er röchelte.

Sie betrachtete ihn einen Augenblick, dann griff sie
unwillkürlich zu, um ihn aus der gefährlichen Lage zu be¬
freien. Sie hob seinen schweren Kopf und schob ihm ein
Kissen unter. Nicht gerade mit zarter Hand, aber doch in
sorgender Frauenweise, that sie das.

Dann untersuchte sie ihren Leib und ihre Kleidung.
Beschunden war sie und zerfetzt, ein ganzes Büschel Haare

ſtolperte dabei, fiel über ſie hin, lag auf ihr und ſchrie ihr
in's Ohr: „Mei Geld! giebſt De mei Geld raus?“

Sie lag da mit geſchloſſenen Augen. Schon griff er
nach ihrem Hals, um die Ohnmächtige zu würgen, als er ſah,
daß Blut unter dem Haar hervordrang: ein dünner roter
Faden, der über die Stirn, an der Naſe hin, nach dem Munde
zu eilte.

Da hielt er inne; hiervor erſchrak ſelbſt die beſtialiſche
Wut. Er erhob ſich, betrachtete ſie. Die Frau ſah ſchreck¬
lich aus, mit ihrem zerfetzten Haar und dem entblößten
Buſen.

Er zog ſich unwillkürlich vor dem zurück, was er an¬
gerichtet hatte. Ihm ward ſchwül; die Beine verſagten ihm
plötzlich den Dienſt. Er ſchlug auf das Bett hin. In
wenigen Minuten ſchnarchte er, die Glieder weit von ſich
ſtreckend.

Nach einer Weile fing Thereſe an, ſich zu regen. Sie
öffnete die Augen, bewegte die Arme, richtete ſich mühſam
auf. Nach dem Kopfe taſtend, entdeckte ſie das Blut. Sie
wiſchte es ab, ſo gut ſie konnte.

Dann erhob ſie ſich ganz, befühlte ihre Gliedmaßen.
Sie konnte noch ſtehen und gehen, wenn auch mit argen
Schmerzen.

Nebenan heulten die Kinder. Thereſe öffnete die Thür
zur Hälfte und rief ihnen zu: ſie ſollten ſtille ſein, gleich würde
ſie kommen.

Dann fiel ihr Blick auf den ſchlafenden Karl. Der Kopf
war ihm über die Bettlehne geſunken. Sein Geſicht war be¬
reits blaurot. Er röchelte.

Sie betrachtete ihn einen Augenblick, dann griff ſie
unwillkürlich zu, um ihn aus der gefährlichen Lage zu be¬
freien. Sie hob ſeinen ſchweren Kopf und ſchob ihm ein
Kiſſen unter. Nicht gerade mit zarter Hand, aber doch in
ſorgender Frauenweiſe, that ſie das.

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[354/0368] ſtolperte dabei, fiel über ſie hin, lag auf ihr und ſchrie ihr in's Ohr: „Mei Geld! giebſt De mei Geld raus?“ Sie lag da mit geſchloſſenen Augen. Schon griff er nach ihrem Hals, um die Ohnmächtige zu würgen, als er ſah, daß Blut unter dem Haar hervordrang: ein dünner roter Faden, der über die Stirn, an der Naſe hin, nach dem Munde zu eilte. Da hielt er inne; hiervor erſchrak ſelbſt die beſtialiſche Wut. Er erhob ſich, betrachtete ſie. Die Frau ſah ſchreck¬ lich aus, mit ihrem zerfetzten Haar und dem entblößten Buſen. Er zog ſich unwillkürlich vor dem zurück, was er an¬ gerichtet hatte. Ihm ward ſchwül; die Beine verſagten ihm plötzlich den Dienſt. Er ſchlug auf das Bett hin. In wenigen Minuten ſchnarchte er, die Glieder weit von ſich ſtreckend. Nach einer Weile fing Thereſe an, ſich zu regen. Sie öffnete die Augen, bewegte die Arme, richtete ſich mühſam auf. Nach dem Kopfe taſtend, entdeckte ſie das Blut. Sie wiſchte es ab, ſo gut ſie konnte. Dann erhob ſie ſich ganz, befühlte ihre Gliedmaßen. Sie konnte noch ſtehen und gehen, wenn auch mit argen Schmerzen. Nebenan heulten die Kinder. Thereſe öffnete die Thür zur Hälfte und rief ihnen zu: ſie ſollten ſtille ſein, gleich würde ſie kommen. Dann fiel ihr Blick auf den ſchlafenden Karl. Der Kopf war ihm über die Bettlehne geſunken. Sein Geſicht war be¬ reits blaurot. Er röchelte. Sie betrachtete ihn einen Augenblick, dann griff ſie unwillkürlich zu, um ihn aus der gefährlichen Lage zu be¬ freien. Sie hob ſeinen ſchweren Kopf und ſchob ihm ein Kiſſen unter. Nicht gerade mit zarter Hand, aber doch in ſorgender Frauenweiſe, that ſie das. Dann unterſuchte ſie ihren Leib und ihre Kleidung. Beſchunden war ſie und zerfetzt, ein ganzes Büſchel Haare

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/368>, abgerufen am 24.11.2024.