Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

war, als ob er irgend etwas in sich betäuben wolle, durch die
Anstrengung.

Mitten in der Nacht stand er manchmal auf, wenn man
kaum die Hand vor den Augen sehen konnte, zog sich an,
nahm Hacke, Sense, oder ein anderes Werkzeug auf die Schulter
und ging damit auf's Feld hinaus.

Es litt ihn nicht daheim; ohne Menschen war das Haus
wie eine Totenkammer. Er war gewiß nicht furchtsam von
Natur, hatte sich niemals vor Gespenstern gefürchtet; aber jetzt
überkam es ihn manchmal wie Grauen. Die Erinnerung an
vergangene bessere Zeiten sprach aus jedem Winkel. Die Ge¬
danken an das, was gewesen, was nie wiederkehren konnte,
waren die Gespenster, die hier umgingen. Vor dem, was
sein eigenes Hirn ausbrütete: den Vorwürfen, den betroge¬
nen Hoffnungen, den Selbstanklagen, floh der alte Mann.
Er rannte hinaus auf den Acker, wie ein Besessener, hackte,
wühlte dort, als wolle er etwas einscharren, etwas, das er
verbergen mußte, vor den eigenen Augen.

Bei solchem Hundeleben verfiel der Körper des Greises
mehr und mehr; er war nur noch ein Skelett. Das Haar
stand ihm in langen grauen Strähnen um den Kopf. Sich
den Bart abzunehmen, lohnte nicht mehr. Die nächste Folge
davon war, daß er Sonntags nicht mehr in die Kirche kam.
Denn unrasiert sich in der Kirchfahrt blicken lassen, war für
einen Halbenauer undenkbar.

Bald führte er ein vollständiges Einsiedlerleben. Die ein¬
zigen lebenden Wesen, mit denen er noch etwas zu thun hatte,
waren die beiden Kühe, die Harrassowitz auf dem Hofe ge¬
lassen hatte. Menschliche Gesichter wollte er so wenig wie
möglich sehen. Er hatte wohl das dumpfe Gefühl, hervor¬
gewachsen aus der eigensten Erfahrung, daß die größte
Unbill, das schwerste Unrecht, dem Menschen nur vom
Menschen zugefügt wird. -- Er haßte seinesgleichen, und hielt
sich von jeder Berührung mit dem feindlichen Geschlechte
fern. Bot ihm jemand einen Gruß, dann stellte er sich
taub. Und wer ihn etwa anredete, konnte erleben, daß er,

war, als ob er irgend etwas in ſich betäuben wolle, durch die
Anſtrengung.

Mitten in der Nacht ſtand er manchmal auf, wenn man
kaum die Hand vor den Augen ſehen konnte, zog ſich an,
nahm Hacke, Senſe, oder ein anderes Werkzeug auf die Schulter
und ging damit auf's Feld hinaus.

Es litt ihn nicht daheim; ohne Menſchen war das Haus
wie eine Totenkammer. Er war gewiß nicht furchtſam von
Natur, hatte ſich niemals vor Geſpenſtern gefürchtet; aber jetzt
überkam es ihn manchmal wie Grauen. Die Erinnerung an
vergangene beſſere Zeiten ſprach aus jedem Winkel. Die Ge¬
danken an das, was geweſen, was nie wiederkehren konnte,
waren die Geſpenſter, die hier umgingen. Vor dem, was
ſein eigenes Hirn ausbrütete: den Vorwürfen, den betroge¬
nen Hoffnungen, den Selbſtanklagen, floh der alte Mann.
Er rannte hinaus auf den Acker, wie ein Beſeſſener, hackte,
wühlte dort, als wolle er etwas einſcharren, etwas, das er
verbergen mußte, vor den eigenen Augen.

Bei ſolchem Hundeleben verfiel der Körper des Greiſes
mehr und mehr; er war nur noch ein Skelett. Das Haar
ſtand ihm in langen grauen Strähnen um den Kopf. Sich
den Bart abzunehmen, lohnte nicht mehr. Die nächſte Folge
davon war, daß er Sonntags nicht mehr in die Kirche kam.
Denn unraſiert ſich in der Kirchfahrt blicken laſſen, war für
einen Halbenauer undenkbar.

Bald führte er ein vollſtändiges Einſiedlerleben. Die ein¬
zigen lebenden Weſen, mit denen er noch etwas zu thun hatte,
waren die beiden Kühe, die Harraſſowitz auf dem Hofe ge¬
laſſen hatte. Menſchliche Geſichter wollte er ſo wenig wie
möglich ſehen. Er hatte wohl das dumpfe Gefühl, hervor¬
gewachſen aus der eigenſten Erfahrung, daß die größte
Unbill, das ſchwerſte Unrecht, dem Menſchen nur vom
Menſchen zugefügt wird. — Er haßte ſeinesgleichen, und hielt
ſich von jeder Berührung mit dem feindlichen Geſchlechte
fern. Bot ihm jemand einen Gruß, dann ſtellte er ſich
taub. Und wer ihn etwa anredete, konnte erleben, daß er,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0344" n="330"/>
war, als ob er irgend etwas in &#x017F;ich betäuben wolle, durch die<lb/>
An&#x017F;trengung.</p><lb/>
          <p>Mitten in der Nacht &#x017F;tand er manchmal auf, wenn man<lb/>
kaum die Hand vor den Augen &#x017F;ehen konnte, zog &#x017F;ich an,<lb/>
nahm Hacke, Sen&#x017F;e, oder ein anderes Werkzeug auf die Schulter<lb/>
und ging damit auf's Feld hinaus.</p><lb/>
          <p>Es litt ihn nicht daheim; ohne Men&#x017F;chen war das Haus<lb/>
wie eine Totenkammer. Er war gewiß nicht furcht&#x017F;am von<lb/>
Natur, hatte &#x017F;ich niemals vor Ge&#x017F;pen&#x017F;tern gefürchtet; aber jetzt<lb/>
überkam es ihn manchmal wie Grauen. Die Erinnerung an<lb/>
vergangene be&#x017F;&#x017F;ere Zeiten &#x017F;prach aus jedem Winkel. Die Ge¬<lb/>
danken an das, was gewe&#x017F;en, was nie wiederkehren konnte,<lb/>
waren die Ge&#x017F;pen&#x017F;ter, die hier umgingen. Vor dem, was<lb/>
&#x017F;ein eigenes Hirn ausbrütete: den Vorwürfen, den betroge¬<lb/>
nen Hoffnungen, den Selb&#x017F;tanklagen, floh der alte Mann.<lb/>
Er rannte hinaus auf den Acker, wie ein Be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;ener, hackte,<lb/>
wühlte dort, als wolle er etwas ein&#x017F;charren, etwas, das er<lb/>
verbergen mußte, vor den eigenen Augen.</p><lb/>
          <p>Bei &#x017F;olchem Hundeleben verfiel der Körper des Grei&#x017F;es<lb/>
mehr und mehr; er war nur noch ein Skelett. Das Haar<lb/>
&#x017F;tand ihm in langen grauen Strähnen um den Kopf. Sich<lb/>
den Bart abzunehmen, lohnte nicht mehr. Die näch&#x017F;te Folge<lb/>
davon war, daß er Sonntags nicht mehr in die Kirche kam.<lb/>
Denn unra&#x017F;iert &#x017F;ich in der Kirchfahrt blicken la&#x017F;&#x017F;en, war für<lb/>
einen Halbenauer undenkbar.</p><lb/>
          <p>Bald führte er ein voll&#x017F;tändiges Ein&#x017F;iedlerleben. Die ein¬<lb/>
zigen lebenden We&#x017F;en, mit denen er noch etwas zu thun hatte,<lb/>
waren die beiden Kühe, die Harra&#x017F;&#x017F;owitz auf dem Hofe ge¬<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en hatte. Men&#x017F;chliche Ge&#x017F;ichter wollte er &#x017F;o wenig wie<lb/>
möglich &#x017F;ehen. Er hatte wohl das dumpfe Gefühl, hervor¬<lb/>
gewach&#x017F;en aus der eigen&#x017F;ten Erfahrung, daß die größte<lb/>
Unbill, das &#x017F;chwer&#x017F;te Unrecht, dem Men&#x017F;chen nur vom<lb/>
Men&#x017F;chen zugefügt wird. &#x2014; Er haßte &#x017F;einesgleichen, und hielt<lb/>
&#x017F;ich von jeder Berührung mit dem feindlichen Ge&#x017F;chlechte<lb/>
fern. Bot ihm jemand einen Gruß, dann &#x017F;tellte er &#x017F;ich<lb/>
taub. Und wer ihn etwa anredete, konnte erleben, daß er,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[330/0344] war, als ob er irgend etwas in ſich betäuben wolle, durch die Anſtrengung. Mitten in der Nacht ſtand er manchmal auf, wenn man kaum die Hand vor den Augen ſehen konnte, zog ſich an, nahm Hacke, Senſe, oder ein anderes Werkzeug auf die Schulter und ging damit auf's Feld hinaus. Es litt ihn nicht daheim; ohne Menſchen war das Haus wie eine Totenkammer. Er war gewiß nicht furchtſam von Natur, hatte ſich niemals vor Geſpenſtern gefürchtet; aber jetzt überkam es ihn manchmal wie Grauen. Die Erinnerung an vergangene beſſere Zeiten ſprach aus jedem Winkel. Die Ge¬ danken an das, was geweſen, was nie wiederkehren konnte, waren die Geſpenſter, die hier umgingen. Vor dem, was ſein eigenes Hirn ausbrütete: den Vorwürfen, den betroge¬ nen Hoffnungen, den Selbſtanklagen, floh der alte Mann. Er rannte hinaus auf den Acker, wie ein Beſeſſener, hackte, wühlte dort, als wolle er etwas einſcharren, etwas, das er verbergen mußte, vor den eigenen Augen. Bei ſolchem Hundeleben verfiel der Körper des Greiſes mehr und mehr; er war nur noch ein Skelett. Das Haar ſtand ihm in langen grauen Strähnen um den Kopf. Sich den Bart abzunehmen, lohnte nicht mehr. Die nächſte Folge davon war, daß er Sonntags nicht mehr in die Kirche kam. Denn unraſiert ſich in der Kirchfahrt blicken laſſen, war für einen Halbenauer undenkbar. Bald führte er ein vollſtändiges Einſiedlerleben. Die ein¬ zigen lebenden Weſen, mit denen er noch etwas zu thun hatte, waren die beiden Kühe, die Harraſſowitz auf dem Hofe ge¬ laſſen hatte. Menſchliche Geſichter wollte er ſo wenig wie möglich ſehen. Er hatte wohl das dumpfe Gefühl, hervor¬ gewachſen aus der eigenſten Erfahrung, daß die größte Unbill, das ſchwerſte Unrecht, dem Menſchen nur vom Menſchen zugefügt wird. — Er haßte ſeinesgleichen, und hielt ſich von jeder Berührung mit dem feindlichen Geſchlechte fern. Bot ihm jemand einen Gruß, dann ſtellte er ſich taub. Und wer ihn etwa anredete, konnte erleben, daß er,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/344
Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/344>, abgerufen am 23.07.2024.