Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

Nach einiger Zeit erblickte er die Gestalt, nach der er
schon lange ausgeschaut hatte: Ernestine, die in zwei Henkel¬
körben das Essen herantrug.

Häschkekarl stieß einen Freudenschrei aus und eilte ihr in
langen Sätzen auf dem Feldwege entgegen.

Sie hatte die Körbe niedergesetzt, sobald sie den bärtigen
Burschen auf sich zukommen sah, erwartete ihn, die Hände auf
die Hüften gestemmt. Erschreckt schien sie nicht. Im Gegen¬
teil! Sie lachte über das ganze Gesichte, zeigte ihre Perlen¬
zähnchen. Er umfaßte sie, hob sie, drehte sie ein paar mal
um und um und raubte ihr einen Kuß, ohne daß sie, wie
es den Anschein hatte, in solchem Verfahren etwas Unge¬
wohntes erblickt hätte.

Sie zupfte sich das rote Kopftuch zurecht, das ihr zurück¬
gerutscht war und meinte dann, er solle ihr die Körbe tragen
sie habe sich nun genug damit geschleppt. Häschkekarl war der
Letzte, um solch eine Bitte zu verweigern; aber eigentlich hätte
er die Hände lieber frei behalten.

Sie setzten sich in Bewegung. Das Mädchen ging mit
leichten Schritten vor ihm her.

Seine Augen verschlangen ihre Gestalt. Was machte es
ihm, daß ihre Füße bestaubt waren, daß ihr einfaches Kleid
die Spuren der Feldarbeit an sich trug. Sein Blick durch¬
drang die Hüllen, erkannte das Weib, das er begehrte, so wie
sie war.

Häschke, der Leichtfertige, hatte seine Meisterin gefunden.

Um Ernestines willen war er in Halbenau geblieben, um
ihretwillen hatte er sich den Sachsengängern angeschlossen; nur
um dieses Mädchens willen hatte er es so lange bei einer Be¬
schäftigung ausgehalten.

Die kleine Ernestine war sich der Macht vollkommen be¬
wußt, die sie über den Mann ausübte. Trotz ihrer siebzehn,
verstand sie es, seine Wünsche im Zügel zu halten. Er hatte
das Ziel seines Verlangens noch nicht erreicht.

Ernestine hatte stets ihren Kopf für sich gehabt. Eine
gewisse Selbstachtung war ihr eigen, die sonst nicht ein her¬

Nach einiger Zeit erblickte er die Geſtalt, nach der er
ſchon lange ausgeſchaut hatte: Erneſtine, die in zwei Henkel¬
körben das Eſſen herantrug.

Häſchkekarl ſtieß einen Freudenſchrei aus und eilte ihr in
langen Sätzen auf dem Feldwege entgegen.

Sie hatte die Körbe niedergeſetzt, ſobald ſie den bärtigen
Burſchen auf ſich zukommen ſah, erwartete ihn, die Hände auf
die Hüften geſtemmt. Erſchreckt ſchien ſie nicht. Im Gegen¬
teil! Sie lachte über das ganze Geſichte, zeigte ihre Perlen¬
zähnchen. Er umfaßte ſie, hob ſie, drehte ſie ein paar mal
um und um und raubte ihr einen Kuß, ohne daß ſie, wie
es den Anſchein hatte, in ſolchem Verfahren etwas Unge¬
wohntes erblickt hätte.

Sie zupfte ſich das rote Kopftuch zurecht, das ihr zurück¬
gerutſcht war und meinte dann, er ſolle ihr die Körbe tragen
ſie habe ſich nun genug damit geſchleppt. Häſchkekarl war der
Letzte, um ſolch eine Bitte zu verweigern; aber eigentlich hätte
er die Hände lieber frei behalten.

Sie ſetzten ſich in Bewegung. Das Mädchen ging mit
leichten Schritten vor ihm her.

Seine Augen verſchlangen ihre Geſtalt. Was machte es
ihm, daß ihre Füße beſtaubt waren, daß ihr einfaches Kleid
die Spuren der Feldarbeit an ſich trug. Sein Blick durch¬
drang die Hüllen, erkannte das Weib, das er begehrte, ſo wie
ſie war.

Häſchke, der Leichtfertige, hatte ſeine Meiſterin gefunden.

Um Erneſtines willen war er in Halbenau geblieben, um
ihretwillen hatte er ſich den Sachſengängern angeſchloſſen; nur
um dieſes Mädchens willen hatte er es ſo lange bei einer Be¬
ſchäftigung ausgehalten.

Die kleine Erneſtine war ſich der Macht vollkommen be¬
wußt, die ſie über den Mann ausübte. Trotz ihrer ſiebzehn,
verſtand ſie es, ſeine Wünſche im Zügel zu halten. Er hatte
das Ziel ſeines Verlangens noch nicht erreicht.

Erneſtine hatte ſtets ihren Kopf für ſich gehabt. Eine
gewiſſe Selbſtachtung war ihr eigen, die ſonſt nicht ein her¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0326" n="312"/>
          <p>Nach einiger Zeit erblickte er die Ge&#x017F;talt, nach der er<lb/>
&#x017F;chon lange ausge&#x017F;chaut hatte: Erne&#x017F;tine, die in zwei Henkel¬<lb/>
körben das E&#x017F;&#x017F;en herantrug.</p><lb/>
          <p>&#x017F;chkekarl &#x017F;tieß einen Freuden&#x017F;chrei aus und eilte ihr in<lb/>
langen Sätzen auf dem Feldwege entgegen.</p><lb/>
          <p>Sie hatte die Körbe niederge&#x017F;etzt, &#x017F;obald &#x017F;ie den bärtigen<lb/>
Bur&#x017F;chen auf &#x017F;ich zukommen &#x017F;ah, erwartete ihn, die Hände auf<lb/>
die Hüften ge&#x017F;temmt. Er&#x017F;chreckt &#x017F;chien &#x017F;ie nicht. Im Gegen¬<lb/>
teil! Sie lachte über das ganze Ge&#x017F;ichte, zeigte ihre Perlen¬<lb/>
zähnchen. Er umfaßte &#x017F;ie, hob &#x017F;ie, drehte &#x017F;ie ein paar mal<lb/>
um und um und raubte ihr einen Kuß, ohne daß &#x017F;ie, wie<lb/>
es den An&#x017F;chein hatte, in &#x017F;olchem Verfahren etwas Unge¬<lb/>
wohntes erblickt hätte.</p><lb/>
          <p>Sie zupfte &#x017F;ich das rote Kopftuch zurecht, das ihr zurück¬<lb/>
gerut&#x017F;cht war und meinte dann, er &#x017F;olle ihr die Körbe tragen<lb/>
&#x017F;ie habe &#x017F;ich nun genug damit ge&#x017F;chleppt. Hä&#x017F;chkekarl war der<lb/>
Letzte, um &#x017F;olch eine Bitte zu verweigern; aber eigentlich hätte<lb/>
er die Hände lieber frei behalten.</p><lb/>
          <p>Sie &#x017F;etzten &#x017F;ich in Bewegung. Das Mädchen ging mit<lb/>
leichten Schritten vor ihm her.</p><lb/>
          <p>Seine Augen ver&#x017F;chlangen ihre Ge&#x017F;talt. Was machte es<lb/>
ihm, daß ihre Füße be&#x017F;taubt waren, daß ihr einfaches Kleid<lb/>
die Spuren der Feldarbeit an &#x017F;ich trug. Sein Blick durch¬<lb/>
drang die Hüllen, erkannte das Weib, das er begehrte, &#x017F;o wie<lb/>
&#x017F;ie war.</p><lb/>
          <p>&#x017F;chke, der Leichtfertige, hatte &#x017F;eine Mei&#x017F;terin gefunden.</p><lb/>
          <p>Um Erne&#x017F;tines willen war er in Halbenau geblieben, um<lb/>
ihretwillen hatte er &#x017F;ich den Sach&#x017F;engängern ange&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en; nur<lb/>
um die&#x017F;es Mädchens willen hatte er es &#x017F;o lange bei einer Be¬<lb/>
&#x017F;chäftigung ausgehalten.</p><lb/>
          <p>Die kleine Erne&#x017F;tine war &#x017F;ich der Macht vollkommen be¬<lb/>
wußt, die &#x017F;ie über den Mann ausübte. Trotz ihrer &#x017F;iebzehn,<lb/>
ver&#x017F;tand &#x017F;ie es, &#x017F;eine Wün&#x017F;che im Zügel zu halten. Er hatte<lb/>
das Ziel &#x017F;eines Verlangens noch nicht erreicht.</p><lb/>
          <p>Erne&#x017F;tine hatte &#x017F;tets ihren Kopf für &#x017F;ich gehabt. Eine<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;e Selb&#x017F;tachtung war ihr eigen, die &#x017F;on&#x017F;t nicht ein her¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[312/0326] Nach einiger Zeit erblickte er die Geſtalt, nach der er ſchon lange ausgeſchaut hatte: Erneſtine, die in zwei Henkel¬ körben das Eſſen herantrug. Häſchkekarl ſtieß einen Freudenſchrei aus und eilte ihr in langen Sätzen auf dem Feldwege entgegen. Sie hatte die Körbe niedergeſetzt, ſobald ſie den bärtigen Burſchen auf ſich zukommen ſah, erwartete ihn, die Hände auf die Hüften geſtemmt. Erſchreckt ſchien ſie nicht. Im Gegen¬ teil! Sie lachte über das ganze Geſichte, zeigte ihre Perlen¬ zähnchen. Er umfaßte ſie, hob ſie, drehte ſie ein paar mal um und um und raubte ihr einen Kuß, ohne daß ſie, wie es den Anſchein hatte, in ſolchem Verfahren etwas Unge¬ wohntes erblickt hätte. Sie zupfte ſich das rote Kopftuch zurecht, das ihr zurück¬ gerutſcht war und meinte dann, er ſolle ihr die Körbe tragen ſie habe ſich nun genug damit geſchleppt. Häſchkekarl war der Letzte, um ſolch eine Bitte zu verweigern; aber eigentlich hätte er die Hände lieber frei behalten. Sie ſetzten ſich in Bewegung. Das Mädchen ging mit leichten Schritten vor ihm her. Seine Augen verſchlangen ihre Geſtalt. Was machte es ihm, daß ihre Füße beſtaubt waren, daß ihr einfaches Kleid die Spuren der Feldarbeit an ſich trug. Sein Blick durch¬ drang die Hüllen, erkannte das Weib, das er begehrte, ſo wie ſie war. Häſchke, der Leichtfertige, hatte ſeine Meiſterin gefunden. Um Erneſtines willen war er in Halbenau geblieben, um ihretwillen hatte er ſich den Sachſengängern angeſchloſſen; nur um dieſes Mädchens willen hatte er es ſo lange bei einer Be¬ ſchäftigung ausgehalten. Die kleine Erneſtine war ſich der Macht vollkommen be¬ wußt, die ſie über den Mann ausübte. Trotz ihrer ſiebzehn, verſtand ſie es, ſeine Wünſche im Zügel zu halten. Er hatte das Ziel ſeines Verlangens noch nicht erreicht. Erneſtine hatte ſtets ihren Kopf für ſich gehabt. Eine gewiſſe Selbſtachtung war ihr eigen, die ſonſt nicht ein her¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/326
Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/326>, abgerufen am 25.11.2024.