Gustav Büttner kam heute viel zu spät nach Haus zum Mittagbrot. Die Familie hatte bereits vor einer Weile ab¬ gegessen. Der alte Bauer saß in Hemdsärmeln in seiner Ecke und schlummerte. Karl hielt die Tabakspfeife, die er eigentlich nur während des Essens ausgehen ließ, schon wieder im Munde. Die Frauen waren mit Abräumen und Reinigen des Geschirrs beschäftigt.
Die Bäuerin sprach ihre Verwunderung darüber aus, daß Gustav so lange ausgeblieben. In der Schenke sitzen am Sonntag Vormittag, das sei doch sonst nicht seine Art ge¬ wesen. -- Gustav ließ den Vorwurf ruhig auf sich sitzen. Er wußte wohl warum; seine Leute brauchten gar nicht zu erfahren, was sich inzwischen begeben hatte.
Schweigend nahm er auf der Holzbank, am großen vier¬ eckigen Familientische Platz. Dann heftelte er seinen Waffen¬ rock auf, wie um sich Platz zu machen für das Essen. Die Mutter brachte ihm das Aufgewärmte aus der Röhre.
Die Büttnerbäuerin war eine wohlhäbige Fünfzigerin. Ihr Gesicht mochte einstmals recht hübsch gewesen sein, jetzt war es entstellt durch Unterkinn und Zahnlücken. Sie sah freundlich und gutmütig aus. Gustav sah ihr von den Kindern am ähnlichsten. In ihren Bewegungen war sie nicht besonders flink, eher steif und schwerfällig. Der schlimmste Feind der Landleute, das Reißen, suchte sie oftmals heim.
II.
Guſtav Büttner kam heute viel zu ſpät nach Haus zum Mittagbrot. Die Familie hatte bereits vor einer Weile ab¬ gegeſſen. Der alte Bauer ſaß in Hemdsärmeln in ſeiner Ecke und ſchlummerte. Karl hielt die Tabakspfeife, die er eigentlich nur während des Eſſens ausgehen ließ, ſchon wieder im Munde. Die Frauen waren mit Abräumen und Reinigen des Geſchirrs beſchäftigt.
Die Bäuerin ſprach ihre Verwunderung darüber aus, daß Guſtav ſo lange ausgeblieben. In der Schenke ſitzen am Sonntag Vormittag, das ſei doch ſonſt nicht ſeine Art ge¬ weſen. — Guſtav ließ den Vorwurf ruhig auf ſich ſitzen. Er wußte wohl warum; ſeine Leute brauchten gar nicht zu erfahren, was ſich inzwiſchen begeben hatte.
Schweigend nahm er auf der Holzbank, am großen vier¬ eckigen Familientiſche Platz. Dann heftelte er ſeinen Waffen¬ rock auf, wie um ſich Platz zu machen für das Eſſen. Die Mutter brachte ihm das Aufgewärmte aus der Röhre.
Die Büttnerbäuerin war eine wohlhäbige Fünfzigerin. Ihr Geſicht mochte einſtmals recht hübſch geweſen ſein, jetzt war es entſtellt durch Unterkinn und Zahnlücken. Sie ſah freundlich und gutmütig aus. Guſtav ſah ihr von den Kindern am ähnlichſten. In ihren Bewegungen war ſie nicht beſonders flink, eher ſteif und ſchwerfällig. Der ſchlimmſte Feind der Landleute, das Reißen, ſuchte ſie oftmals heim.
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II.
Guſtav Büttner kam heute viel zu ſpät nach Haus zum
Mittagbrot. Die Familie hatte bereits vor einer Weile ab¬
gegeſſen. Der alte Bauer ſaß in Hemdsärmeln in ſeiner Ecke
und ſchlummerte. Karl hielt die Tabakspfeife, die er eigentlich
nur während des Eſſens ausgehen ließ, ſchon wieder im Munde.
Die Frauen waren mit Abräumen und Reinigen des Geſchirrs
beſchäftigt.
Die Bäuerin ſprach ihre Verwunderung darüber aus,
daß Guſtav ſo lange ausgeblieben. In der Schenke ſitzen am
Sonntag Vormittag, das ſei doch ſonſt nicht ſeine Art ge¬
weſen. — Guſtav ließ den Vorwurf ruhig auf ſich ſitzen. Er
wußte wohl warum; ſeine Leute brauchten gar nicht zu erfahren,
was ſich inzwiſchen begeben hatte.
Schweigend nahm er auf der Holzbank, am großen vier¬
eckigen Familientiſche Platz. Dann heftelte er ſeinen Waffen¬
rock auf, wie um ſich Platz zu machen für das Eſſen. Die
Mutter brachte ihm das Aufgewärmte aus der Röhre.
Die Büttnerbäuerin war eine wohlhäbige Fünfzigerin.
Ihr Geſicht mochte einſtmals recht hübſch geweſen ſein, jetzt
war es entſtellt durch Unterkinn und Zahnlücken. Sie ſah
freundlich und gutmütig aus. Guſtav ſah ihr von den Kindern
am ähnlichſten. In ihren Bewegungen war ſie nicht beſonders
flink, eher ſteif und ſchwerfällig. Der ſchlimmſte Feind der
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. [16]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/30>, abgerufen am 22.12.2024.
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