Frühjahrshimmel, mit einzelnen schwimmenden Wolken von milchweißer Farbe.
Der Bütterbauer sah nichts von der Schönheit, die sich rings um ihn breitete. Sechzigmal war er Zeuge geworden des Frühjahrswunders. Sechzigmal hatte sich für ihn die Flur geschmückt mit gleicher Pracht. Er war kein emfind¬ samer Naturschwärmer; dafür gab es in seiner trocknen Bauern¬ natur keinen Raum.
Frühjahr, das bedeutete für ihn: Erwachen aus der kalten, finsteren, öden Winterszeit, zum sonnigen, klaren milden Sommer; wo man nicht länger gezwungen war, mit müßigen Händen im Zimmer zu hocken, wo man hinaus durfte auf den ge¬ liebten Acker, die Zeit, da man die Glieder in emsiger Arbeit rührte, wo man aber auch die Früchte seiner Arbeit sehen durfte, wie sie heranwuchsen und gediehen, der Ernte entgegen.
Auch in diesem Frühjahr schien die Sonne warm und belebend. Sie wärmte auch die Glieder des Alten und brachte sein Blut in schnellere Strömung. Das Neuwerden in der Natur rief selbst in seinem verbrauchten Körper eine Steige¬ rung aller Kräfte, eine unbewußte Spannung der Lebensenergie hervor. Aber, es war diesmal anders als sonst. Etwas war erstorben in dem alten Manne, lag wie mit Eis und Schnee des Winters zugedeckt, war nicht grün geworden mit dem Erwachen des Frühlings ringsum: die Hoffnung.
Es hatte seinen guten Grund, warum er die Zähne so fest zusammengepreßt hatte, und die Augen so starr geradeaus gerichtet hielt, zwischen die Köpfe seiner Tiere. Hätte er die Blicke hinabschweifen lassen über Felder und Wiesen, hinab nach seinem Hause und Hofe, sie wären wohl übergegangen von salzigen Thränen. Und der Trotz, der Grimm, die Menschenverachtung, die allein ihm die Kraft gaben, diesen Tag zu ertragen, möchte dahingeschmolzen sein vor der Über¬ gewalt des Schmerzes, den ihm der Anblick seines Eigentums heute bereiten mußte.
Sein Eigentum!
In diesen Stunden entschied es sich, wer künftighin Herr
Frühjahrshimmel, mit einzelnen ſchwimmenden Wolken von milchweißer Farbe.
Der Bütterbauer ſah nichts von der Schönheit, die ſich rings um ihn breitete. Sechzigmal war er Zeuge geworden des Frühjahrswunders. Sechzigmal hatte ſich für ihn die Flur geſchmückt mit gleicher Pracht. Er war kein emfind¬ ſamer Naturſchwärmer; dafür gab es in ſeiner trocknen Bauern¬ natur keinen Raum.
Frühjahr, das bedeutete für ihn: Erwachen aus der kalten, finſteren, öden Winterszeit, zum ſonnigen, klaren milden Sommer; wo man nicht länger gezwungen war, mit müßigen Händen im Zimmer zu hocken, wo man hinaus durfte auf den ge¬ liebten Acker, die Zeit, da man die Glieder in emſiger Arbeit rührte, wo man aber auch die Früchte ſeiner Arbeit ſehen durfte, wie ſie heranwuchſen und gediehen, der Ernte entgegen.
Auch in dieſem Frühjahr ſchien die Sonne warm und belebend. Sie wärmte auch die Glieder des Alten und brachte ſein Blut in ſchnellere Strömung. Das Neuwerden in der Natur rief ſelbſt in ſeinem verbrauchten Körper eine Steige¬ rung aller Kräfte, eine unbewußte Spannung der Lebensenergie hervor. Aber, es war diesmal anders als ſonſt. Etwas war erſtorben in dem alten Manne, lag wie mit Eis und Schnee des Winters zugedeckt, war nicht grün geworden mit dem Erwachen des Frühlings ringsum: die Hoffnung.
Es hatte ſeinen guten Grund, warum er die Zähne ſo feſt zuſammengepreßt hatte, und die Augen ſo ſtarr geradeaus gerichtet hielt, zwiſchen die Köpfe ſeiner Tiere. Hätte er die Blicke hinabſchweifen laſſen über Felder und Wieſen, hinab nach ſeinem Hauſe und Hofe, ſie wären wohl übergegangen von ſalzigen Thränen. Und der Trotz, der Grimm, die Menſchenverachtung, die allein ihm die Kraft gaben, dieſen Tag zu ertragen, möchte dahingeſchmolzen ſein vor der Über¬ gewalt des Schmerzes, den ihm der Anblick ſeines Eigentums heute bereiten mußte.
Sein Eigentum!
In dieſen Stunden entſchied es ſich, wer künftighin Herr
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Frühjahrshimmel, mit einzelnen ſchwimmenden Wolken von
milchweißer Farbe.
Der Bütterbauer ſah nichts von der Schönheit, die ſich
rings um ihn breitete. Sechzigmal war er Zeuge geworden
des Frühjahrswunders. Sechzigmal hatte ſich für ihn die
Flur geſchmückt mit gleicher Pracht. Er war kein emfind¬
ſamer Naturſchwärmer; dafür gab es in ſeiner trocknen Bauern¬
natur keinen Raum.
Frühjahr, das bedeutete für ihn: Erwachen aus der kalten,
finſteren, öden Winterszeit, zum ſonnigen, klaren milden Sommer;
wo man nicht länger gezwungen war, mit müßigen Händen
im Zimmer zu hocken, wo man hinaus durfte auf den ge¬
liebten Acker, die Zeit, da man die Glieder in emſiger Arbeit
rührte, wo man aber auch die Früchte ſeiner Arbeit ſehen
durfte, wie ſie heranwuchſen und gediehen, der Ernte entgegen.
Auch in dieſem Frühjahr ſchien die Sonne warm und
belebend. Sie wärmte auch die Glieder des Alten und brachte
ſein Blut in ſchnellere Strömung. Das Neuwerden in der
Natur rief ſelbſt in ſeinem verbrauchten Körper eine Steige¬
rung aller Kräfte, eine unbewußte Spannung der Lebensenergie
hervor. Aber, es war diesmal anders als ſonſt. Etwas war
erſtorben in dem alten Manne, lag wie mit Eis und Schnee
des Winters zugedeckt, war nicht grün geworden mit dem
Erwachen des Frühlings ringsum: die Hoffnung.
Es hatte ſeinen guten Grund, warum er die Zähne ſo
feſt zuſammengepreßt hatte, und die Augen ſo ſtarr geradeaus
gerichtet hielt, zwiſchen die Köpfe ſeiner Tiere. Hätte er die
Blicke hinabſchweifen laſſen über Felder und Wieſen, hinab
nach ſeinem Hauſe und Hofe, ſie wären wohl übergegangen
von ſalzigen Thränen. Und der Trotz, der Grimm, die
Menſchenverachtung, die allein ihm die Kraft gaben, dieſen
Tag zu ertragen, möchte dahingeſchmolzen ſein vor der Über¬
gewalt des Schmerzes, den ihm der Anblick ſeines Eigentums
heute bereiten mußte.
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/286>, abgerufen am 24.11.2024.
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