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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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Er summte ein Wanderlied vor sich hin. Als der kleine Gustav
auf Paulinens Schoß unruhig wurde, und zu schreien anfing,
brachte er die ,Quarre' durch eine seiner drolligen Grimassen
schnell wieder zur Ruhe.

Die Büttnerbäuerin war auch herausgehumpelt, ihrer
Lähme zum Trotze. Zwei von ihren Kindern gingen ja mit
hinaus in die Fremde. Gustav, ihr bester Sohn, und Ernstinel,
ihre Jüngstgeborene.

Die alte Frau hatte es bisher gar nicht recht glauben
wollen, daß aus diesem abenteuerlichen Plane etwas werden
solle. Zu so vielen Sorgen und Kümmernissen der letzten
Zeit kam nun auch noch die Zersplitterung der Familie! Das
war zu viel! Als sie den Wagen sah mit den Wanderern
und dem Gepäck, drohten sie die Kräfte zu verlassen. Zum
Abschied hatte sie nur ein sinnloses Gestammel: "Ne, ach Gutt!
Gustav! Ne, ach Gutt, Pauline! Paßt ack auf's Ernstinel
uff. Ne, ach Gutt -- ach Du lieber Herr Gutt! -- Nene --
was wern mer ack alles noch derlaben!"

Gustav mußte es den Frauen überlassen, von der Mutter
zärtlichen Abschied zu nehmen. Er war ganz von der neuen
Pflicht in Anspruch genommen, die schon wie eine schwere
Verantwortung auf ihm lastete, und ihn hart und ungesellig
erscheinen ließ.

Er glaubte, daß sie nun nicht länger warten dürften,
wenn sie den Zug nicht versäumen wollten. Er schwang sich
auf den Wagen und gab den Befehl zur Abfahrt.

Die Peitsche des Kutschers hob sich, die Pferde zogen an.
Noch ein Händedruck, ein Schluchzen, ein Winken, ein Mützen¬
schwenken. Im Trabe ging's durch's Dorf. Vor den Häusern
standen Leute, welche den Wanderern ein freundliches Wort
zuriefen. Dann zeigte das letzte Gehöft des Dorfes, der
Büttnersche Hof, seine Giebelseite. Gustav blickte noch einmal
dort hinüber. Er hatte den Vater nicht gesehen vor der Ab¬
reise. Ganz in der Frühe heute wollte er noch zu ihm gehen;
aber, dann hatte er's doch gelassen. Als Vorwand, war ihm
die Geburt von Tonis Kind gerade recht.

Er ſummte ein Wanderlied vor ſich hin. Als der kleine Guſtav
auf Paulinens Schoß unruhig wurde, und zu ſchreien anfing,
brachte er die ,Quarre‘ durch eine ſeiner drolligen Grimaſſen
ſchnell wieder zur Ruhe.

Die Büttnerbäuerin war auch herausgehumpelt, ihrer
Lähme zum Trotze. Zwei von ihren Kindern gingen ja mit
hinaus in die Fremde. Guſtav, ihr beſter Sohn, und Ernſtinel,
ihre Jüngſtgeborene.

Die alte Frau hatte es bisher gar nicht recht glauben
wollen, daß aus dieſem abenteuerlichen Plane etwas werden
ſolle. Zu ſo vielen Sorgen und Kümmerniſſen der letzten
Zeit kam nun auch noch die Zerſplitterung der Familie! Das
war zu viel! Als ſie den Wagen ſah mit den Wanderern
und dem Gepäck, drohten ſie die Kräfte zu verlaſſen. Zum
Abſchied hatte ſie nur ein ſinnloſes Geſtammel: „Ne, ach Gutt!
Guſtav! Ne, ach Gutt, Pauline! Paßt ack auf's Ernſtinel
uff. Ne, ach Gutt — ach Du lieber Herr Gutt! — Nene —
was wern mer ack alles noch derlaben!“

Guſtav mußte es den Frauen überlaſſen, von der Mutter
zärtlichen Abſchied zu nehmen. Er war ganz von der neuen
Pflicht in Anſpruch genommen, die ſchon wie eine ſchwere
Verantwortung auf ihm laſtete, und ihn hart und ungeſellig
erſcheinen ließ.

Er glaubte, daß ſie nun nicht länger warten dürften,
wenn ſie den Zug nicht verſäumen wollten. Er ſchwang ſich
auf den Wagen und gab den Befehl zur Abfahrt.

Die Peitſche des Kutſchers hob ſich, die Pferde zogen an.
Noch ein Händedruck, ein Schluchzen, ein Winken, ein Mützen¬
ſchwenken. Im Trabe ging's durch's Dorf. Vor den Häuſern
ſtanden Leute, welche den Wanderern ein freundliches Wort
zuriefen. Dann zeigte das letzte Gehöft des Dorfes, der
Büttnerſche Hof, ſeine Giebelſeite. Guſtav blickte noch einmal
dort hinüber. Er hatte den Vater nicht geſehen vor der Ab¬
reiſe. Ganz in der Frühe heute wollte er noch zu ihm gehen;
aber, dann hatte er's doch gelaſſen. Als Vorwand, war ihm
die Geburt von Tonis Kind gerade recht.

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[261/0275] Er ſummte ein Wanderlied vor ſich hin. Als der kleine Guſtav auf Paulinens Schoß unruhig wurde, und zu ſchreien anfing, brachte er die ,Quarre‘ durch eine ſeiner drolligen Grimaſſen ſchnell wieder zur Ruhe. Die Büttnerbäuerin war auch herausgehumpelt, ihrer Lähme zum Trotze. Zwei von ihren Kindern gingen ja mit hinaus in die Fremde. Guſtav, ihr beſter Sohn, und Ernſtinel, ihre Jüngſtgeborene. Die alte Frau hatte es bisher gar nicht recht glauben wollen, daß aus dieſem abenteuerlichen Plane etwas werden ſolle. Zu ſo vielen Sorgen und Kümmerniſſen der letzten Zeit kam nun auch noch die Zerſplitterung der Familie! Das war zu viel! Als ſie den Wagen ſah mit den Wanderern und dem Gepäck, drohten ſie die Kräfte zu verlaſſen. Zum Abſchied hatte ſie nur ein ſinnloſes Geſtammel: „Ne, ach Gutt! Guſtav! Ne, ach Gutt, Pauline! Paßt ack auf's Ernſtinel uff. Ne, ach Gutt — ach Du lieber Herr Gutt! — Nene — was wern mer ack alles noch derlaben!“ Guſtav mußte es den Frauen überlaſſen, von der Mutter zärtlichen Abſchied zu nehmen. Er war ganz von der neuen Pflicht in Anſpruch genommen, die ſchon wie eine ſchwere Verantwortung auf ihm laſtete, und ihn hart und ungeſellig erſcheinen ließ. Er glaubte, daß ſie nun nicht länger warten dürften, wenn ſie den Zug nicht verſäumen wollten. Er ſchwang ſich auf den Wagen und gab den Befehl zur Abfahrt. Die Peitſche des Kutſchers hob ſich, die Pferde zogen an. Noch ein Händedruck, ein Schluchzen, ein Winken, ein Mützen¬ ſchwenken. Im Trabe ging's durch's Dorf. Vor den Häuſern ſtanden Leute, welche den Wanderern ein freundliches Wort zuriefen. Dann zeigte das letzte Gehöft des Dorfes, der Büttnerſche Hof, ſeine Giebelſeite. Guſtav blickte noch einmal dort hinüber. Er hatte den Vater nicht geſehen vor der Ab¬ reiſe. Ganz in der Frühe heute wollte er noch zu ihm gehen; aber, dann hatte er's doch gelaſſen. Als Vorwand, war ihm die Geburt von Tonis Kind gerade recht.

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/275>, abgerufen am 24.11.2024.