sie ihn. Im Augenblicke selbst, wo sie das that, erschrak sie über ihre Kühnheit.
Als sie die Wange des Alten berührt, hatte sie dort ganz deutlich etwas Feuchtes gefühlt. Der Büttnerbauer weinte! --
Pauline fühlte es wie einen Stich in der Brust. Hier saß der alte Mann, von allen verlassen, in seinem Kummer. Wie lange mochte er schon so gesessen haben!
Sie hätte ihm so gern etwas Liebes gesagt; denn sie liebte und verehrte ihn wirklich, wenn auch bisher nur aus der Ferne. Aber, es fiel ihr nichts ein, womit sie sein Herz hätte erfreuen können.
Schließlich fragte sie mit stockender Stimme nach der Bäuerin. Im rauhen Tone erwiderte ihr der Bauer, das Weibsvolk sei oben in der Kammer.
Pauline zündete erst noch die Lampe an, damit er doch wenigstens nicht im Dunklen sitzen solle, und lief dann die Treppe hinauf zum zweiten Stock, um die Bäuerin und Toni zu begrüßen.
Auf der obersten Stufe der Holzstiege angelangt, hörte sie Töne, die der jungen Frau alles Blut zum Herzen trieben. Sie blieb mit zitternden Knieen stehen und lauschte atemlos: dünnes, quäkendes Geschrei.
Tonis Kind war angekommen.
Es war ein feuchtwarmer Aprilmorgen, an welchem die Sachsengänger aus Halbenau aufbrachen, zur Reise nach dem Westen. Ein Himmel wie Wolle. Hin und wieder matte Sonnenblicke, wie verschlafen, durch grämliche Nebel.
Auf einem Leiterwagen kauerten sie bei einander, Männer und Weiber, mit ihren Habseligkeiten. Die Mädchen saßen auf Laden und Federbetten, die Burschen hatten leichtere Bündel zwischen den Knieen. Vorn beim Kutscher, auf einem bevorzugten Platze, saß Pauline, ihren Jungen im Schoße, neben ihr Ernestine.
Gustav ging umher, die Uhr in der Hand, und hielt be¬ sorgt Umschau. Drei von seinen Mädchen fehlten ihm; sie
17*
ſie ihn. Im Augenblicke ſelbſt, wo ſie das that, erſchrak ſie über ihre Kühnheit.
Als ſie die Wange des Alten berührt, hatte ſie dort ganz deutlich etwas Feuchtes gefühlt. Der Büttnerbauer weinte! —
Pauline fühlte es wie einen Stich in der Bruſt. Hier ſaß der alte Mann, von allen verlaſſen, in ſeinem Kummer. Wie lange mochte er ſchon ſo geſeſſen haben!
Sie hätte ihm ſo gern etwas Liebes geſagt; denn ſie liebte und verehrte ihn wirklich, wenn auch bisher nur aus der Ferne. Aber, es fiel ihr nichts ein, womit ſie ſein Herz hätte erfreuen können.
Schließlich fragte ſie mit ſtockender Stimme nach der Bäuerin. Im rauhen Tone erwiderte ihr der Bauer, das Weibsvolk ſei oben in der Kammer.
Pauline zündete erſt noch die Lampe an, damit er doch wenigſtens nicht im Dunklen ſitzen ſolle, und lief dann die Treppe hinauf zum zweiten Stock, um die Bäuerin und Toni zu begrüßen.
Auf der oberſten Stufe der Holzſtiege angelangt, hörte ſie Töne, die der jungen Frau alles Blut zum Herzen trieben. Sie blieb mit zitternden Knieen ſtehen und lauſchte atemlos: dünnes, quäkendes Geſchrei.
Tonis Kind war angekommen.
Es war ein feuchtwarmer Aprilmorgen, an welchem die Sachſengänger aus Halbenau aufbrachen, zur Reiſe nach dem Weſten. Ein Himmel wie Wolle. Hin und wieder matte Sonnenblicke, wie verſchlafen, durch grämliche Nebel.
Auf einem Leiterwagen kauerten ſie bei einander, Männer und Weiber, mit ihren Habſeligkeiten. Die Mädchen ſaßen auf Laden und Federbetten, die Burſchen hatten leichtere Bündel zwiſchen den Knieen. Vorn beim Kutſcher, auf einem bevorzugten Platze, ſaß Pauline, ihren Jungen im Schoße, neben ihr Erneſtine.
Guſtav ging umher, die Uhr in der Hand, und hielt be¬ ſorgt Umſchau. Drei von ſeinen Mädchen fehlten ihm; ſie
17*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0273"n="259"/>ſie ihn. Im Augenblicke ſelbſt, wo ſie das that, erſchrak ſie<lb/>
über ihre Kühnheit.</p><lb/><p>Als ſie die Wange des Alten berührt, hatte ſie dort ganz<lb/>
deutlich etwas Feuchtes gefühlt. Der Büttnerbauer weinte! —</p><lb/><p>Pauline fühlte es wie einen Stich in der Bruſt. Hier<lb/>ſaß der alte Mann, von allen verlaſſen, in ſeinem Kummer.<lb/>
Wie lange mochte er ſchon ſo geſeſſen haben!</p><lb/><p>Sie hätte ihm ſo gern etwas Liebes geſagt; denn ſie liebte<lb/>
und verehrte ihn wirklich, wenn auch bisher nur aus der<lb/>
Ferne. Aber, es fiel ihr nichts ein, womit ſie ſein Herz hätte<lb/>
erfreuen können.</p><lb/><p>Schließlich fragte ſie mit ſtockender Stimme nach der<lb/>
Bäuerin. Im rauhen Tone erwiderte ihr der Bauer, das<lb/>
Weibsvolk ſei oben in der Kammer.</p><lb/><p>Pauline zündete erſt noch die Lampe an, damit er doch<lb/>
wenigſtens nicht im Dunklen ſitzen ſolle, und lief dann die<lb/>
Treppe hinauf zum zweiten Stock, um die Bäuerin und Toni<lb/>
zu begrüßen.</p><lb/><p>Auf der oberſten Stufe der Holzſtiege angelangt, hörte<lb/>ſie Töne, die der jungen Frau alles Blut zum Herzen trieben.<lb/>
Sie blieb mit zitternden Knieen ſtehen und lauſchte atemlos:<lb/>
dünnes, quäkendes Geſchrei.</p><lb/><p>Tonis Kind war angekommen.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Es war ein feuchtwarmer Aprilmorgen, an welchem die<lb/>
Sachſengänger aus Halbenau aufbrachen, zur Reiſe nach dem<lb/>
Weſten. Ein Himmel wie Wolle. Hin und wieder matte<lb/>
Sonnenblicke, wie verſchlafen, durch grämliche Nebel.</p><lb/><p>Auf einem Leiterwagen kauerten ſie bei einander, Männer<lb/>
und Weiber, mit ihren Habſeligkeiten. Die Mädchen ſaßen auf<lb/>
Laden und Federbetten, die Burſchen hatten leichtere Bündel<lb/>
zwiſchen den Knieen. Vorn beim Kutſcher, auf einem bevorzugten<lb/>
Platze, ſaß Pauline, ihren Jungen im Schoße, neben ihr Erneſtine.</p><lb/><p>Guſtav ging umher, die Uhr in der Hand, und hielt be¬<lb/>ſorgt Umſchau. Drei von ſeinen Mädchen fehlten ihm; ſie<lb/><fwplace="bottom"type="sig">17*<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[259/0273]
ſie ihn. Im Augenblicke ſelbſt, wo ſie das that, erſchrak ſie
über ihre Kühnheit.
Als ſie die Wange des Alten berührt, hatte ſie dort ganz
deutlich etwas Feuchtes gefühlt. Der Büttnerbauer weinte! —
Pauline fühlte es wie einen Stich in der Bruſt. Hier
ſaß der alte Mann, von allen verlaſſen, in ſeinem Kummer.
Wie lange mochte er ſchon ſo geſeſſen haben!
Sie hätte ihm ſo gern etwas Liebes geſagt; denn ſie liebte
und verehrte ihn wirklich, wenn auch bisher nur aus der
Ferne. Aber, es fiel ihr nichts ein, womit ſie ſein Herz hätte
erfreuen können.
Schließlich fragte ſie mit ſtockender Stimme nach der
Bäuerin. Im rauhen Tone erwiderte ihr der Bauer, das
Weibsvolk ſei oben in der Kammer.
Pauline zündete erſt noch die Lampe an, damit er doch
wenigſtens nicht im Dunklen ſitzen ſolle, und lief dann die
Treppe hinauf zum zweiten Stock, um die Bäuerin und Toni
zu begrüßen.
Auf der oberſten Stufe der Holzſtiege angelangt, hörte
ſie Töne, die der jungen Frau alles Blut zum Herzen trieben.
Sie blieb mit zitternden Knieen ſtehen und lauſchte atemlos:
dünnes, quäkendes Geſchrei.
Tonis Kind war angekommen.
Es war ein feuchtwarmer Aprilmorgen, an welchem die
Sachſengänger aus Halbenau aufbrachen, zur Reiſe nach dem
Weſten. Ein Himmel wie Wolle. Hin und wieder matte
Sonnenblicke, wie verſchlafen, durch grämliche Nebel.
Auf einem Leiterwagen kauerten ſie bei einander, Männer
und Weiber, mit ihren Habſeligkeiten. Die Mädchen ſaßen auf
Laden und Federbetten, die Burſchen hatten leichtere Bündel
zwiſchen den Knieen. Vorn beim Kutſcher, auf einem bevorzugten
Platze, ſaß Pauline, ihren Jungen im Schoße, neben ihr Erneſtine.
Guſtav ging umher, die Uhr in der Hand, und hielt be¬
ſorgt Umſchau. Drei von ſeinen Mädchen fehlten ihm; ſie
17*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/273>, abgerufen am 03.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.