Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

In dem kleinen Raume hatte sich wenig verändert, während
des letzten Jahres. Sauberkeit und peinlichste Ordnung herrschten
hier. Er kannte genau den Platz eines jeden Stückes. Dort
stand ihr Bett, da das Spind, daneben die Lade. Der Spiegel
mit dem Sprung in der Ecke unten links, über den eine Neu¬
jahrskarte gesteckt war, hing auch an seinem alten Platze.

Unwillkürlich suchte Gustavs Blick das Zimmer spürend
ab. Aber er fand nicht, was er suchte. Pauline folgte
seinen Augen und lächelte. Sie wußte schon, wonach er sich
umsah. --

Sie ging auf das Bett zu und drückte die bauschigen
Kissen etwas nieder. Ganz am oberen Ende, tief versenkt in
den Betten, lag etwas Rundliches, Dunkles.

Sie gab ihm ein Zeichen mit den Augen, daß er heran¬
treten solle. Er begriff, daß der Junge schlafe und bemühte
sich infolgedessen leise aufzutreten, den Pallasch sorgsam hoch¬
haltend. "Das is er!" flüsterte sie und zupfte glückselig
lächelnd an dem Kissen, auf dem der Kopf des Kleinen lag.

Der junge Mann stand mit verlegener Miene vor seinem
Jungen. Der Anblick benahm ihn ganz; nicht einmal den
Helm abzusetzen, hatte er Zeit gefunden. Hinzublicken wagte
er kaum. Das sollte sein Sohn sein! Er hatte ein Kind! --
Der Gedanke hatte etwas eigentümlich Bedrückendes, etwas
Dumpfes und Beengendes legte sich auf ihn, wie eine große
noch unübersehbare Verantwortung.

Sie half ihm, nahm ihm zunächst den Helm ab, rückte
das Kind etwas aus den Betten heraus, daß er es besser
sehen solle, führte selbst seine große Hand, daß er sein eigenes
Fleisch und Blut betasten möchte. Dann fragte sie, sich an
ihn schmiegend, wie es ihm gefalle.

Er erwiederte nichts, stand immer noch ratlos, bestürzt
vor seinem Sprößling.

Jetzt ging ein Lächeln über die Züge des Kleinen, er
bewegte im Schlafe ein paar Finger des winzigen Händchens.
Nun erst begriff der Vater, daß es wirklich ein lebendiges
Wesen sei, was da lag. Der Gedanke rührte ihn auf einmal

In dem kleinen Raume hatte ſich wenig verändert, während
des letzten Jahres. Sauberkeit und peinlichſte Ordnung herrſchten
hier. Er kannte genau den Platz eines jeden Stückes. Dort
ſtand ihr Bett, da das Spind, daneben die Lade. Der Spiegel
mit dem Sprung in der Ecke unten links, über den eine Neu¬
jahrskarte geſteckt war, hing auch an ſeinem alten Platze.

Unwillkürlich ſuchte Guſtavs Blick das Zimmer ſpürend
ab. Aber er fand nicht, was er ſuchte. Pauline folgte
ſeinen Augen und lächelte. Sie wußte ſchon, wonach er ſich
umſah. —

Sie ging auf das Bett zu und drückte die bauſchigen
Kiſſen etwas nieder. Ganz am oberen Ende, tief verſenkt in
den Betten, lag etwas Rundliches, Dunkles.

Sie gab ihm ein Zeichen mit den Augen, daß er heran¬
treten ſolle. Er begriff, daß der Junge ſchlafe und bemühte
ſich infolgedeſſen leiſe aufzutreten, den Pallaſch ſorgſam hoch¬
haltend. „Das is er!“ flüſterte ſie und zupfte glückſelig
lächelnd an dem Kiſſen, auf dem der Kopf des Kleinen lag.

Der junge Mann ſtand mit verlegener Miene vor ſeinem
Jungen. Der Anblick benahm ihn ganz; nicht einmal den
Helm abzuſetzen, hatte er Zeit gefunden. Hinzublicken wagte
er kaum. Das ſollte ſein Sohn ſein! Er hatte ein Kind! —
Der Gedanke hatte etwas eigentümlich Bedrückendes, etwas
Dumpfes und Beengendes legte ſich auf ihn, wie eine große
noch unüberſehbare Verantwortung.

Sie half ihm, nahm ihm zunächſt den Helm ab, rückte
das Kind etwas aus den Betten heraus, daß er es beſſer
ſehen ſolle, führte ſelbſt ſeine große Hand, daß er ſein eigenes
Fleiſch und Blut betaſten möchte. Dann fragte ſie, ſich an
ihn ſchmiegend, wie es ihm gefalle.

Er erwiederte nichts, ſtand immer noch ratlos, beſtürzt
vor ſeinem Sprößling.

Jetzt ging ein Lächeln über die Züge des Kleinen, er
bewegte im Schlafe ein paar Finger des winzigen Händchens.
Nun erſt begriff der Vater, daß es wirklich ein lebendiges
Weſen ſei, was da lag. Der Gedanke rührte ihn auf einmal

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0024" n="10"/>
          <p>In dem kleinen Raume hatte &#x017F;ich wenig verändert, während<lb/>
des letzten Jahres. Sauberkeit und peinlich&#x017F;te Ordnung herr&#x017F;chten<lb/>
hier. Er kannte genau den Platz eines jeden Stückes. Dort<lb/>
&#x017F;tand ihr Bett, da das Spind, daneben die Lade. Der Spiegel<lb/>
mit dem Sprung in der Ecke unten links, über den eine Neu¬<lb/>
jahrskarte ge&#x017F;teckt war, hing auch an &#x017F;einem alten Platze.</p><lb/>
          <p>Unwillkürlich &#x017F;uchte Gu&#x017F;tavs Blick das Zimmer &#x017F;pürend<lb/>
ab. Aber er fand nicht, was er &#x017F;uchte. Pauline folgte<lb/>
&#x017F;einen Augen und lächelte. Sie wußte &#x017F;chon, wonach er &#x017F;ich<lb/>
um&#x017F;ah. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Sie ging auf das Bett zu und drückte die bau&#x017F;chigen<lb/>
Ki&#x017F;&#x017F;en etwas nieder. Ganz am oberen Ende, tief ver&#x017F;enkt in<lb/>
den Betten, lag etwas Rundliches, Dunkles.</p><lb/>
          <p>Sie gab ihm ein Zeichen mit den Augen, daß er heran¬<lb/>
treten &#x017F;olle. Er begriff, daß der Junge &#x017F;chlafe und bemühte<lb/>
&#x017F;ich infolgede&#x017F;&#x017F;en lei&#x017F;e aufzutreten, den Palla&#x017F;ch &#x017F;org&#x017F;am hoch¬<lb/>
haltend. &#x201E;Das is er!&#x201C; flü&#x017F;terte &#x017F;ie und zupfte glück&#x017F;elig<lb/>
lächelnd an dem Ki&#x017F;&#x017F;en, auf dem der Kopf des Kleinen lag.</p><lb/>
          <p>Der junge Mann &#x017F;tand mit verlegener Miene vor &#x017F;einem<lb/>
Jungen. Der Anblick benahm ihn ganz; nicht einmal den<lb/>
Helm abzu&#x017F;etzen, hatte er Zeit gefunden. Hinzublicken wagte<lb/>
er kaum. Das &#x017F;ollte &#x017F;ein Sohn &#x017F;ein! Er hatte ein Kind! &#x2014;<lb/>
Der Gedanke hatte etwas eigentümlich Bedrückendes, etwas<lb/>
Dumpfes und Beengendes legte &#x017F;ich auf ihn, wie eine große<lb/>
noch unüber&#x017F;ehbare Verantwortung.</p><lb/>
          <p>Sie half ihm, nahm ihm zunäch&#x017F;t den Helm ab, rückte<lb/>
das Kind etwas aus den Betten heraus, daß er es be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
&#x017F;ehen &#x017F;olle, führte &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;eine große Hand, daß er &#x017F;ein eigenes<lb/>
Flei&#x017F;ch und Blut beta&#x017F;ten möchte. Dann fragte &#x017F;ie, &#x017F;ich an<lb/>
ihn &#x017F;chmiegend, wie es ihm gefalle.</p><lb/>
          <p>Er erwiederte nichts, &#x017F;tand immer noch ratlos, be&#x017F;türzt<lb/>
vor &#x017F;einem Sprößling.</p><lb/>
          <p>Jetzt ging ein Lächeln über die Züge des Kleinen, er<lb/>
bewegte im Schlafe ein paar Finger des winzigen Händchens.<lb/>
Nun er&#x017F;t begriff der Vater, daß es wirklich ein lebendiges<lb/>
We&#x017F;en &#x017F;ei, was da lag. Der Gedanke rührte ihn auf einmal<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0024] In dem kleinen Raume hatte ſich wenig verändert, während des letzten Jahres. Sauberkeit und peinlichſte Ordnung herrſchten hier. Er kannte genau den Platz eines jeden Stückes. Dort ſtand ihr Bett, da das Spind, daneben die Lade. Der Spiegel mit dem Sprung in der Ecke unten links, über den eine Neu¬ jahrskarte geſteckt war, hing auch an ſeinem alten Platze. Unwillkürlich ſuchte Guſtavs Blick das Zimmer ſpürend ab. Aber er fand nicht, was er ſuchte. Pauline folgte ſeinen Augen und lächelte. Sie wußte ſchon, wonach er ſich umſah. — Sie ging auf das Bett zu und drückte die bauſchigen Kiſſen etwas nieder. Ganz am oberen Ende, tief verſenkt in den Betten, lag etwas Rundliches, Dunkles. Sie gab ihm ein Zeichen mit den Augen, daß er heran¬ treten ſolle. Er begriff, daß der Junge ſchlafe und bemühte ſich infolgedeſſen leiſe aufzutreten, den Pallaſch ſorgſam hoch¬ haltend. „Das is er!“ flüſterte ſie und zupfte glückſelig lächelnd an dem Kiſſen, auf dem der Kopf des Kleinen lag. Der junge Mann ſtand mit verlegener Miene vor ſeinem Jungen. Der Anblick benahm ihn ganz; nicht einmal den Helm abzuſetzen, hatte er Zeit gefunden. Hinzublicken wagte er kaum. Das ſollte ſein Sohn ſein! Er hatte ein Kind! — Der Gedanke hatte etwas eigentümlich Bedrückendes, etwas Dumpfes und Beengendes legte ſich auf ihn, wie eine große noch unüberſehbare Verantwortung. Sie half ihm, nahm ihm zunächſt den Helm ab, rückte das Kind etwas aus den Betten heraus, daß er es beſſer ſehen ſolle, führte ſelbſt ſeine große Hand, daß er ſein eigenes Fleiſch und Blut betaſten möchte. Dann fragte ſie, ſich an ihn ſchmiegend, wie es ihm gefalle. Er erwiederte nichts, ſtand immer noch ratlos, beſtürzt vor ſeinem Sprößling. Jetzt ging ein Lächeln über die Züge des Kleinen, er bewegte im Schlafe ein paar Finger des winzigen Händchens. Nun erſt begriff der Vater, daß es wirklich ein lebendiges Weſen ſei, was da lag. Der Gedanke rührte ihn auf einmal

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/24
Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/24>, abgerufen am 24.11.2024.