In dem kleinen Raume hatte sich wenig verändert, während des letzten Jahres. Sauberkeit und peinlichste Ordnung herrschten hier. Er kannte genau den Platz eines jeden Stückes. Dort stand ihr Bett, da das Spind, daneben die Lade. Der Spiegel mit dem Sprung in der Ecke unten links, über den eine Neu¬ jahrskarte gesteckt war, hing auch an seinem alten Platze.
Unwillkürlich suchte Gustavs Blick das Zimmer spürend ab. Aber er fand nicht, was er suchte. Pauline folgte seinen Augen und lächelte. Sie wußte schon, wonach er sich umsah. --
Sie ging auf das Bett zu und drückte die bauschigen Kissen etwas nieder. Ganz am oberen Ende, tief versenkt in den Betten, lag etwas Rundliches, Dunkles.
Sie gab ihm ein Zeichen mit den Augen, daß er heran¬ treten solle. Er begriff, daß der Junge schlafe und bemühte sich infolgedessen leise aufzutreten, den Pallasch sorgsam hoch¬ haltend. "Das is er!" flüsterte sie und zupfte glückselig lächelnd an dem Kissen, auf dem der Kopf des Kleinen lag.
Der junge Mann stand mit verlegener Miene vor seinem Jungen. Der Anblick benahm ihn ganz; nicht einmal den Helm abzusetzen, hatte er Zeit gefunden. Hinzublicken wagte er kaum. Das sollte sein Sohn sein! Er hatte ein Kind! -- Der Gedanke hatte etwas eigentümlich Bedrückendes, etwas Dumpfes und Beengendes legte sich auf ihn, wie eine große noch unübersehbare Verantwortung.
Sie half ihm, nahm ihm zunächst den Helm ab, rückte das Kind etwas aus den Betten heraus, daß er es besser sehen solle, führte selbst seine große Hand, daß er sein eigenes Fleisch und Blut betasten möchte. Dann fragte sie, sich an ihn schmiegend, wie es ihm gefalle.
Er erwiederte nichts, stand immer noch ratlos, bestürzt vor seinem Sprößling.
Jetzt ging ein Lächeln über die Züge des Kleinen, er bewegte im Schlafe ein paar Finger des winzigen Händchens. Nun erst begriff der Vater, daß es wirklich ein lebendiges Wesen sei, was da lag. Der Gedanke rührte ihn auf einmal
In dem kleinen Raume hatte ſich wenig verändert, während des letzten Jahres. Sauberkeit und peinlichſte Ordnung herrſchten hier. Er kannte genau den Platz eines jeden Stückes. Dort ſtand ihr Bett, da das Spind, daneben die Lade. Der Spiegel mit dem Sprung in der Ecke unten links, über den eine Neu¬ jahrskarte geſteckt war, hing auch an ſeinem alten Platze.
Unwillkürlich ſuchte Guſtavs Blick das Zimmer ſpürend ab. Aber er fand nicht, was er ſuchte. Pauline folgte ſeinen Augen und lächelte. Sie wußte ſchon, wonach er ſich umſah. —
Sie ging auf das Bett zu und drückte die bauſchigen Kiſſen etwas nieder. Ganz am oberen Ende, tief verſenkt in den Betten, lag etwas Rundliches, Dunkles.
Sie gab ihm ein Zeichen mit den Augen, daß er heran¬ treten ſolle. Er begriff, daß der Junge ſchlafe und bemühte ſich infolgedeſſen leiſe aufzutreten, den Pallaſch ſorgſam hoch¬ haltend. „Das is er!“ flüſterte ſie und zupfte glückſelig lächelnd an dem Kiſſen, auf dem der Kopf des Kleinen lag.
Der junge Mann ſtand mit verlegener Miene vor ſeinem Jungen. Der Anblick benahm ihn ganz; nicht einmal den Helm abzuſetzen, hatte er Zeit gefunden. Hinzublicken wagte er kaum. Das ſollte ſein Sohn ſein! Er hatte ein Kind! — Der Gedanke hatte etwas eigentümlich Bedrückendes, etwas Dumpfes und Beengendes legte ſich auf ihn, wie eine große noch unüberſehbare Verantwortung.
Sie half ihm, nahm ihm zunächſt den Helm ab, rückte das Kind etwas aus den Betten heraus, daß er es beſſer ſehen ſolle, führte ſelbſt ſeine große Hand, daß er ſein eigenes Fleiſch und Blut betaſten möchte. Dann fragte ſie, ſich an ihn ſchmiegend, wie es ihm gefalle.
Er erwiederte nichts, ſtand immer noch ratlos, beſtürzt vor ſeinem Sprößling.
Jetzt ging ein Lächeln über die Züge des Kleinen, er bewegte im Schlafe ein paar Finger des winzigen Händchens. Nun erſt begriff der Vater, daß es wirklich ein lebendiges Weſen ſei, was da lag. Der Gedanke rührte ihn auf einmal
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In dem kleinen Raume hatte ſich wenig verändert, während
des letzten Jahres. Sauberkeit und peinlichſte Ordnung herrſchten
hier. Er kannte genau den Platz eines jeden Stückes. Dort
ſtand ihr Bett, da das Spind, daneben die Lade. Der Spiegel
mit dem Sprung in der Ecke unten links, über den eine Neu¬
jahrskarte geſteckt war, hing auch an ſeinem alten Platze.
Unwillkürlich ſuchte Guſtavs Blick das Zimmer ſpürend
ab. Aber er fand nicht, was er ſuchte. Pauline folgte
ſeinen Augen und lächelte. Sie wußte ſchon, wonach er ſich
umſah. —
Sie ging auf das Bett zu und drückte die bauſchigen
Kiſſen etwas nieder. Ganz am oberen Ende, tief verſenkt in
den Betten, lag etwas Rundliches, Dunkles.
Sie gab ihm ein Zeichen mit den Augen, daß er heran¬
treten ſolle. Er begriff, daß der Junge ſchlafe und bemühte
ſich infolgedeſſen leiſe aufzutreten, den Pallaſch ſorgſam hoch¬
haltend. „Das is er!“ flüſterte ſie und zupfte glückſelig
lächelnd an dem Kiſſen, auf dem der Kopf des Kleinen lag.
Der junge Mann ſtand mit verlegener Miene vor ſeinem
Jungen. Der Anblick benahm ihn ganz; nicht einmal den
Helm abzuſetzen, hatte er Zeit gefunden. Hinzublicken wagte
er kaum. Das ſollte ſein Sohn ſein! Er hatte ein Kind! —
Der Gedanke hatte etwas eigentümlich Bedrückendes, etwas
Dumpfes und Beengendes legte ſich auf ihn, wie eine große
noch unüberſehbare Verantwortung.
Sie half ihm, nahm ihm zunächſt den Helm ab, rückte
das Kind etwas aus den Betten heraus, daß er es beſſer
ſehen ſolle, führte ſelbſt ſeine große Hand, daß er ſein eigenes
Fleiſch und Blut betaſten möchte. Dann fragte ſie, ſich an
ihn ſchmiegend, wie es ihm gefalle.
Er erwiederte nichts, ſtand immer noch ratlos, beſtürzt
vor ſeinem Sprößling.
Jetzt ging ein Lächeln über die Züge des Kleinen, er
bewegte im Schlafe ein paar Finger des winzigen Händchens.
Nun erſt begriff der Vater, daß es wirklich ein lebendiges
Weſen ſei, was da lag. Der Gedanke rührte ihn auf einmal
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/24>, abgerufen am 24.11.2024.
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