Gustav hielt es nicht der Mühe für wert, zu antworten. Jetzt erkannte die Mutter, daß mit Gustav nicht alles in Ord¬ nung sei. Sie glaubte, er sei angetrunken. Außerdem wußte sie, daß Gustav dem Händler nicht grün sei. Sie fürchtete das Schlimmste. In der Wut war er unberechenbar, gerade wie der Vater.
Sie trat daher zu dem Händler und antwortete, statt des Sohnes: "Siebenundzwanzig is er, Herr Harassowitz -- ju ju, siebenundzwanzig. A strammer Kerle nich wahr, Herr Harrassowitz?" Dazu lachte sie gänzlich sinnlos, aus Angst. "Und su a gutter Sohn wie der is, Herr Harrassowitz!" fuhr sie fort. Abwechselnd lächelte sie den Händler an, um ihn bei guter Laune zu erhalten und warf dann wieder dem Sohne flehende Blicke zu, daß er nichts Unbesonnenes unternehmen möge.
Gustav hatte inzwischen an den Speisen auf dem Tisch, dem kriechenden Wesen der Mutter und den verängstigten Mienen der Schwestern erkannt, wie tief sich die Seinen vor dem Fremden gedemütigt hatten. Eine dumpfe Wut erfaßte ihn plötzlich, gegen dieses fette Gesicht. Wie der Bursche da¬ saß, protzig und sicher, sich die guten Sachen seiner Mutter schmecken ließ! Den würde er mal auf den Trab bringen. Auf Unterhandlungen wollte er sich gar nicht erst einlassen; denn mit der Zunge war einem so einer ja natürlich über. Hier konnte nur ,ungebrannte Asche' helfen.
"Ich höre Sie sind auf dem Rittergute gewesen", sagte Harrassowitz, sich im Kauen nicht unterbrechend. "Um sich nach einer Kutscherstelle beim Grafen umzuthun -- war denn da was?"
"Gustav! Herr Harrassowitz fragt Dich, ob's De . . . Was suchst De denne Junge?"
"Ich suche meinen Stock, Mutter!" sagte Gustav mit be¬ deutungsvollem Blicke nach dem Fremden hinüber. "Wo habe ich denn meinen Stock gleich . . . . Ach, hier is 'r!"
Sam war während des Letzten rege geworden. Er hatte ein schnelles Begriffsvermögen. Gustavs Mienen- und Ge¬
Guſtav hielt es nicht der Mühe für wert, zu antworten. Jetzt erkannte die Mutter, daß mit Guſtav nicht alles in Ord¬ nung ſei. Sie glaubte, er ſei angetrunken. Außerdem wußte ſie, daß Guſtav dem Händler nicht grün ſei. Sie fürchtete das Schlimmſte. In der Wut war er unberechenbar, gerade wie der Vater.
Sie trat daher zu dem Händler und antwortete, ſtatt des Sohnes: „Siebenundzwanzig is er, Herr Haraſſowitz — ju ju, ſiebenundzwanzig. A ſtrammer Kerle nich wahr, Herr Harraſſowitz?“ Dazu lachte ſie gänzlich ſinnlos, aus Angſt. „Und ſu a gutter Sohn wie der is, Herr Harraſſowitz!“ fuhr ſie fort. Abwechſelnd lächelte ſie den Händler an, um ihn bei guter Laune zu erhalten und warf dann wieder dem Sohne flehende Blicke zu, daß er nichts Unbeſonnenes unternehmen möge.
Guſtav hatte inzwiſchen an den Speiſen auf dem Tiſch, dem kriechenden Weſen der Mutter und den verängſtigten Mienen der Schweſtern erkannt, wie tief ſich die Seinen vor dem Fremden gedemütigt hatten. Eine dumpfe Wut erfaßte ihn plötzlich, gegen dieſes fette Geſicht. Wie der Burſche da¬ ſaß, protzig und ſicher, ſich die guten Sachen ſeiner Mutter ſchmecken ließ! Den würde er mal auf den Trab bringen. Auf Unterhandlungen wollte er ſich gar nicht erſt einlaſſen; denn mit der Zunge war einem ſo einer ja natürlich über. Hier konnte nur ‚ungebrannte Aſche‘ helfen.
„Ich höre Sie ſind auf dem Rittergute geweſen“, ſagte Harraſſowitz, ſich im Kauen nicht unterbrechend. „Um ſich nach einer Kutſcherſtelle beim Grafen umzuthun — war denn da was?“
„Guſtav! Herr Harraſſowitz fragt Dich, ob's De . . . Was ſuchſt De denne Junge?“
„Ich ſuche meinen Stock, Mutter!“ ſagte Guſtav mit be¬ deutungsvollem Blicke nach dem Fremden hinüber. „Wo habe ich denn meinen Stock gleich . . . . Ach, hier is 'r!“
Sam war während des Letzten rege geworden. Er hatte ein ſchnelles Begriffsvermögen. Guſtavs Mienen- und Ge¬
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Guſtav hielt es nicht der Mühe für wert, zu antworten.
Jetzt erkannte die Mutter, daß mit Guſtav nicht alles in Ord¬
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ſie, daß Guſtav dem Händler nicht grün ſei. Sie fürchtete das
Schlimmſte. In der Wut war er unberechenbar, gerade wie
der Vater.
Sie trat daher zu dem Händler und antwortete, ſtatt
des Sohnes: „Siebenundzwanzig is er, Herr Haraſſowitz —
ju ju, ſiebenundzwanzig. A ſtrammer Kerle nich wahr, Herr
Harraſſowitz?“ Dazu lachte ſie gänzlich ſinnlos, aus Angſt.
„Und ſu a gutter Sohn wie der is, Herr Harraſſowitz!“ fuhr
ſie fort. Abwechſelnd lächelte ſie den Händler an, um ihn bei
guter Laune zu erhalten und warf dann wieder dem Sohne
flehende Blicke zu, daß er nichts Unbeſonnenes unternehmen
möge.
Guſtav hatte inzwiſchen an den Speiſen auf dem Tiſch,
dem kriechenden Weſen der Mutter und den verängſtigten
Mienen der Schweſtern erkannt, wie tief ſich die Seinen vor
dem Fremden gedemütigt hatten. Eine dumpfe Wut erfaßte
ihn plötzlich, gegen dieſes fette Geſicht. Wie der Burſche da¬
ſaß, protzig und ſicher, ſich die guten Sachen ſeiner Mutter
ſchmecken ließ! Den würde er mal auf den Trab bringen. Auf
Unterhandlungen wollte er ſich gar nicht erſt einlaſſen; denn
mit der Zunge war einem ſo einer ja natürlich über. Hier
konnte nur ‚ungebrannte Aſche‘ helfen.
„Ich höre Sie ſind auf dem Rittergute geweſen“, ſagte
Harraſſowitz, ſich im Kauen nicht unterbrechend. „Um ſich nach
einer Kutſcherſtelle beim Grafen umzuthun — war denn
da was?“
„Guſtav! Herr Harraſſowitz fragt Dich, ob's De . . . Was
ſuchſt De denne Junge?“
„Ich ſuche meinen Stock, Mutter!“ ſagte Guſtav mit be¬
deutungsvollem Blicke nach dem Fremden hinüber. „Wo habe
ich denn meinen Stock gleich . . . . Ach, hier is 'r!“
Sam war während des Letzten rege geworden. Er hatte
ein ſchnelles Begriffsvermögen. Guſtavs Mienen- und Ge¬
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/213>, abgerufen am 23.12.2024.
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