Die alte Bäuerin erschien in der Hausthür. Sie erschrak, als sie den Händler erkannte, und vergaß darüber ganz, ihn zu begrüßen.
"Ist denn mein braver Büttner zu Haus?" fragte Sam.
Die Bäuerin erklärte, er sei mit Karl im Walde, und Gustav sei auf's Rittergut gegangen. "Ich bi ack ganz alleene mit den Madeln," meinte sie schüchtern.
"Recht so, Frau Büttner, recht so!" sagte der Händler im Aussteigen. "Ihr Mann ist ein fleißiger Mann, immer bei der Arbeit, trotz seiner Jahre. Das ist brav! Mein Kutscher kann wohl etwas Hafer bekommen für das Pferd -- nicht wahr?"
Die Bäuerin beeilte sich, zu versichern, daß hier alles zu seinen Diensten stünde. Sie schickte sofort Ernestinen in den Stall, um Hafer und Heu für das Pferd des Herrn Harrasso¬ witz zu besorgen.
"Leg' die Decke auf!" befahl der Händler. "Und laß Dir überschlagenes Wasser geben -- hörst Du! daß er mir nicht etwa Husten kriegt!"
Nachdem er so für das Wohlergehen seines Tieres gesorgt hatte, wandte sich Sam wieder an die Bäuerin. "Und mir machen Sie wohl eine kleine Tasse Kaffee zurecht, beste Frau Büttner! Ich bin ganz ausgekältet von der Fahrt, und Sie kochen ja solch ausgezeichneten Kaffee; das weiß ich von neu¬ lich." Damit trat er ins Haus und klopfte der alten Frau wohlwollend auf den Rücken.
Die Bäuerin war nur zu froh, Herrn Harrassowitz eine Aufmerksamkeit erweisen zu dürfen. Der Mann spielte keine geringe Rolle in den Hoffnungen und Befürchtungen der Fa¬ milie. Sein Name wurde nur mit gedämpfter Stimme aus¬ gesprochen. Die alte Frau wußte, daß ihrer aller Wohl und Wehe in dieser Hand lag. Nach Weiberart glaubte sie, daß man einen Feind dadurch entwaffnen könne, wenn man ihm schmeichle. Trotz ihrer Lähme, die sich im Laufe des Winters verschlimmert hatte, lief sie auf und ab, rief den Töchtern zu, sie sollten sich sputen, ließ das Feuer schüren, setzte selbst
W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 13
Die alte Bäuerin erſchien in der Hausthür. Sie erſchrak, als ſie den Händler erkannte, und vergaß darüber ganz, ihn zu begrüßen.
„Iſt denn mein braver Büttner zu Haus?“ fragte Sam.
Die Bäuerin erklärte, er ſei mit Karl im Walde, und Guſtav ſei auf's Rittergut gegangen. „Ich bi ack ganz alleene mit den Madeln,“ meinte ſie ſchüchtern.
„Recht ſo, Frau Büttner, recht ſo!“ ſagte der Händler im Ausſteigen. „Ihr Mann iſt ein fleißiger Mann, immer bei der Arbeit, trotz ſeiner Jahre. Das iſt brav! Mein Kutſcher kann wohl etwas Hafer bekommen für das Pferd — nicht wahr?“
Die Bäuerin beeilte ſich, zu verſichern, daß hier alles zu ſeinen Dienſten ſtünde. Sie ſchickte ſofort Erneſtinen in den Stall, um Hafer und Heu für das Pferd des Herrn Harraſſo¬ witz zu beſorgen.
„Leg' die Decke auf!“ befahl der Händler. „Und laß Dir überſchlagenes Waſſer geben — hörſt Du! daß er mir nicht etwa Huſten kriegt!“
Nachdem er ſo für das Wohlergehen ſeines Tieres geſorgt hatte, wandte ſich Sam wieder an die Bäuerin. „Und mir machen Sie wohl eine kleine Taſſe Kaffee zurecht, beſte Frau Büttner! Ich bin ganz ausgekältet von der Fahrt, und Sie kochen ja ſolch ausgezeichneten Kaffee; das weiß ich von neu¬ lich.“ Damit trat er ins Haus und klopfte der alten Frau wohlwollend auf den Rücken.
Die Bäuerin war nur zu froh, Herrn Harraſſowitz eine Aufmerkſamkeit erweiſen zu dürfen. Der Mann ſpielte keine geringe Rolle in den Hoffnungen und Befürchtungen der Fa¬ milie. Sein Name wurde nur mit gedämpfter Stimme aus¬ geſprochen. Die alte Frau wußte, daß ihrer aller Wohl und Wehe in dieſer Hand lag. Nach Weiberart glaubte ſie, daß man einen Feind dadurch entwaffnen könne, wenn man ihm ſchmeichle. Trotz ihrer Lähme, die ſich im Laufe des Winters verſchlimmert hatte, lief ſie auf und ab, rief den Töchtern zu, ſie ſollten ſich ſputen, ließ das Feuer ſchüren, ſetzte ſelbſt
W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 13
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Die alte Bäuerin erſchien in der Hausthür. Sie erſchrak,
als ſie den Händler erkannte, und vergaß darüber ganz, ihn
zu begrüßen.
„Iſt denn mein braver Büttner zu Haus?“ fragte Sam.
Die Bäuerin erklärte, er ſei mit Karl im Walde, und
Guſtav ſei auf's Rittergut gegangen. „Ich bi ack ganz alleene
mit den Madeln,“ meinte ſie ſchüchtern.
„Recht ſo, Frau Büttner, recht ſo!“ ſagte der Händler
im Ausſteigen. „Ihr Mann iſt ein fleißiger Mann, immer
bei der Arbeit, trotz ſeiner Jahre. Das iſt brav! Mein
Kutſcher kann wohl etwas Hafer bekommen für das Pferd —
nicht wahr?“
Die Bäuerin beeilte ſich, zu verſichern, daß hier alles zu
ſeinen Dienſten ſtünde. Sie ſchickte ſofort Erneſtinen in den
Stall, um Hafer und Heu für das Pferd des Herrn Harraſſo¬
witz zu beſorgen.
„Leg' die Decke auf!“ befahl der Händler. „Und laß Dir
überſchlagenes Waſſer geben — hörſt Du! daß er mir nicht
etwa Huſten kriegt!“
Nachdem er ſo für das Wohlergehen ſeines Tieres geſorgt
hatte, wandte ſich Sam wieder an die Bäuerin. „Und mir
machen Sie wohl eine kleine Taſſe Kaffee zurecht, beſte Frau
Büttner! Ich bin ganz ausgekältet von der Fahrt, und Sie
kochen ja ſolch ausgezeichneten Kaffee; das weiß ich von neu¬
lich.“ Damit trat er ins Haus und klopfte der alten Frau
wohlwollend auf den Rücken.
Die Bäuerin war nur zu froh, Herrn Harraſſowitz eine
Aufmerkſamkeit erweiſen zu dürfen. Der Mann ſpielte keine
geringe Rolle in den Hoffnungen und Befürchtungen der Fa¬
milie. Sein Name wurde nur mit gedämpfter Stimme aus¬
geſprochen. Die alte Frau wußte, daß ihrer aller Wohl und
Wehe in dieſer Hand lag. Nach Weiberart glaubte ſie, daß
man einen Feind dadurch entwaffnen könne, wenn man ihm
ſchmeichle. Trotz ihrer Lähme, die ſich im Laufe des Winters
verſchlimmert hatte, lief ſie auf und ab, rief den Töchtern
zu, ſie ſollten ſich ſputen, ließ das Feuer ſchüren, ſetzte ſelbſt
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/207>, abgerufen am 22.07.2024.
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