Je älter der Bauer wurde, desto mehr zog er sich auf sich selbst zurück, umgab sich mit einem Mantel von Welthaß und Menschenverachtung. Und je einsamer er sich so machte, desto stärker wurde doch in ihm das Bedürfnis, welches tief in der Brust eines jeden Menschen lebt: sein Leben über den Tod hinaus fortzusetzen, seine Persönlichkeit nicht untergehen zu sehen, seinen Werken die Fortdauer zu sichern, daß er nicht der Vergessenheit anheimfalle, die Erinnerung an ihn nicht ausgelöscht werde, wie die Fußspur im Sande. Wäre er eine mystisch angelegte Natur gewesen, so hätte er sein Heil in der Gläubigkeit gesucht. Aber er war derb und nüchtern, ein Bauer; alle seine Triebe waren der lebendigen Wirklich¬ keit zugewandt. Darum konnte ihm die Seligkeit, wie sie das Christentum versprach, wenig Trost gewähren. Ein Himmel mit rein geistigen Freuden bot ihm keine An¬ ziehung. Er wollte nicht Verklärung, er wollte Fortsetzung der Wirklichkeit, an der sein Ich mit allen Fasern hing. Er war ein Sohn der Erde. Was er hier gewesen, was er auf dieser Welt geschaffen und gewollt, sollte ewigen Bestand haben.
Es konnte darum keine bitterere Erfahrung für den alten Mann geben, als mit ansehen zu müssen, wie sein Lebenswerk mehr und mehr dem Untergange entgegensteuerte. Von allen Seiten sah er feindliche Mächte vordringen, die ihm das ent¬ reißen wollten, was er aus der Hand seines Vaters als das köstlichste Erbteil empfangen hatte: sein Gut. Und in seinem Kummer war ein Stachel verborgen; ein Tropfen gab dem Kelche den bittersten Beigeschmack: der Selbstvorwurf. Er wollte es sich nicht eingestehen, aber er mußte es doch fühlen, das wurmende und brennende Bewußtsein, daß er selbst die Schuld trug. Solche Erkenntnis kam nur blitzartig über ihn. Er wußte die selbstanklägerische Stimmung wohl zu verscheuchen. Andere waren schuld, nicht er! die schlechten Zeiten, die Verhältnisse. Haß gegen die Welt, das war der beste Trost, Ingrimm das beste Schutzmittel des Trotzigen gegen die gefürchtete Reue.
W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 11
Je älter der Bauer wurde, deſto mehr zog er ſich auf ſich ſelbſt zurück, umgab ſich mit einem Mantel von Welthaß und Menſchenverachtung. Und je einſamer er ſich ſo machte, deſto ſtärker wurde doch in ihm das Bedürfnis, welches tief in der Bruſt eines jeden Menſchen lebt: ſein Leben über den Tod hinaus fortzuſetzen, ſeine Perſönlichkeit nicht untergehen zu ſehen, ſeinen Werken die Fortdauer zu ſichern, daß er nicht der Vergeſſenheit anheimfalle, die Erinnerung an ihn nicht ausgelöſcht werde, wie die Fußſpur im Sande. Wäre er eine myſtiſch angelegte Natur geweſen, ſo hätte er ſein Heil in der Gläubigkeit geſucht. Aber er war derb und nüchtern, ein Bauer; alle ſeine Triebe waren der lebendigen Wirklich¬ keit zugewandt. Darum konnte ihm die Seligkeit, wie ſie das Chriſtentum verſprach, wenig Troſt gewähren. Ein Himmel mit rein geiſtigen Freuden bot ihm keine An¬ ziehung. Er wollte nicht Verklärung, er wollte Fortſetzung der Wirklichkeit, an der ſein Ich mit allen Faſern hing. Er war ein Sohn der Erde. Was er hier geweſen, was er auf dieſer Welt geſchaffen und gewollt, ſollte ewigen Beſtand haben.
Es konnte darum keine bitterere Erfahrung für den alten Mann geben, als mit anſehen zu müſſen, wie ſein Lebenswerk mehr und mehr dem Untergange entgegenſteuerte. Von allen Seiten ſah er feindliche Mächte vordringen, die ihm das ent¬ reißen wollten, was er aus der Hand ſeines Vaters als das köſtlichſte Erbteil empfangen hatte: ſein Gut. Und in ſeinem Kummer war ein Stachel verborgen; ein Tropfen gab dem Kelche den bitterſten Beigeſchmack: der Selbſtvorwurf. Er wollte es ſich nicht eingeſtehen, aber er mußte es doch fühlen, das wurmende und brennende Bewußtſein, daß er ſelbſt die Schuld trug. Solche Erkenntnis kam nur blitzartig über ihn. Er wußte die ſelbſtanklägeriſche Stimmung wohl zu verſcheuchen. Andere waren ſchuld, nicht er! die ſchlechten Zeiten, die Verhältniſſe. Haß gegen die Welt, das war der beſte Troſt, Ingrimm das beſte Schutzmittel des Trotzigen gegen die gefürchtete Reue.
W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 11
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Je älter der Bauer wurde, deſto mehr zog er ſich auf ſich
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ſtärker wurde doch in ihm das Bedürfnis, welches tief in der
Bruſt eines jeden Menſchen lebt: ſein Leben über den Tod
hinaus fortzuſetzen, ſeine Perſönlichkeit nicht untergehen zu
ſehen, ſeinen Werken die Fortdauer zu ſichern, daß er nicht
der Vergeſſenheit anheimfalle, die Erinnerung an ihn nicht
ausgelöſcht werde, wie die Fußſpur im Sande. Wäre er eine
myſtiſch angelegte Natur geweſen, ſo hätte er ſein Heil in
der Gläubigkeit geſucht. Aber er war derb und nüchtern,
ein Bauer; alle ſeine Triebe waren der lebendigen Wirklich¬
keit zugewandt. Darum konnte ihm die Seligkeit, wie
ſie das Chriſtentum verſprach, wenig Troſt gewähren. Ein
Himmel mit rein geiſtigen Freuden bot ihm keine An¬
ziehung. Er wollte nicht Verklärung, er wollte Fortſetzung
der Wirklichkeit, an der ſein Ich mit allen Faſern hing. Er
war ein Sohn der Erde. Was er hier geweſen, was er
auf dieſer Welt geſchaffen und gewollt, ſollte ewigen Beſtand
haben.
Es konnte darum keine bitterere Erfahrung für den alten
Mann geben, als mit anſehen zu müſſen, wie ſein Lebenswerk
mehr und mehr dem Untergange entgegenſteuerte. Von allen
Seiten ſah er feindliche Mächte vordringen, die ihm das ent¬
reißen wollten, was er aus der Hand ſeines Vaters als
das köſtlichſte Erbteil empfangen hatte: ſein Gut. Und in
ſeinem Kummer war ein Stachel verborgen; ein Tropfen gab
dem Kelche den bitterſten Beigeſchmack: der Selbſtvorwurf.
Er wollte es ſich nicht eingeſtehen, aber er mußte es doch
fühlen, das wurmende und brennende Bewußtſein, daß er ſelbſt
die Schuld trug. Solche Erkenntnis kam nur blitzartig über
ihn. Er wußte die ſelbſtanklägeriſche Stimmung wohl zu
verſcheuchen. Andere waren ſchuld, nicht er! die ſchlechten
Zeiten, die Verhältniſſe. Haß gegen die Welt, das war der
beſte Troſt, Ingrimm das beſte Schutzmittel des Trotzigen
gegen die gefürchtete Reue.
W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 11
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/175>, abgerufen am 29.11.2024.
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