Tagewerk keine Zeit übrig. Aber eines steckte tief in seinem Wesen: er lebte viel mit seinen Gedanken in der Vergangenheit, sie war ihm ein steter Begleiter der Gegenwart, der mit be¬ redtem Munde zu ihm sprach. Dieser Hang zum Rückwärts¬ blicken und Beschauen des Vergangenen wurde in ihm bestärkt durch die Vereinsamung, in der er sich befand. Denn obgleich er eine zahlreiche Familie um sich heranwachsen sah, war dieser Mann doch allein, wollte es sein. Er scheute jede Mit¬ teilung seines Innersten anderen gegenüber, auch wenn sie von seinem Fleisch und Blute waren. Aber mit den Dahin¬ geschiedenen stand er in lebendiger Beziehung.
Sein erstaunlich frisches Gedächtnis unterstützte ihn darin. Er vermochte sich Erlebnisse und Personen aus der frühesten Jugend vor die Seele zu stellen, als seien sie gestern ge¬ wesen. Aussprüche der Eltern, ja selbst des Großvaters, konnte er mit wörtlicher Treue wiedergeben, obgleich der Alte vor nahezu fünfzig Jahren das Zeitliche gesegnet hatte. Er war imstande, mit untrüglicher Gewißheit anzugeben, an welchem Tage in einem bestimmten Jahre man das erste Heu eingefahren hatte, oder was ihm damals für eine Kuh bezahlt worden war, oder auch, wieviel der Roggen in dem und dem Monate gegolten hatte.
Die Vergangenheit bildete aber nicht blos den vielbe¬ trachteten Hintergrund seines Daseins, sie wirkte geradezu entscheidend auf seine Entschließungen ein. Er war gebunden in seinem Willen an Thaten und Absichten seiner Vor¬ fahren. Ohne sich dessen selbst recht bewußt zu werden, ließ er sich leiten von frommer Rücksicht auf Wunsch und Willen jener Entschlafenen, die für ihn eben Gegenwärtige waren.
Dabei sprach er fast nie von der Vergangenheit. Das Sprechen, soweit es nicht einem bestimmten praktischen Zwecke diente, erschien ihm überhaupt müßig. Das Reden um der Aussprache willen, die süße Erleichterung des Gemütes durch Mitteilung, kannte er, nicht, verachtete dergleichen, als weibisch.
Tagewerk keine Zeit übrig. Aber eines ſteckte tief in ſeinem Weſen: er lebte viel mit ſeinen Gedanken in der Vergangenheit, ſie war ihm ein ſteter Begleiter der Gegenwart, der mit be¬ redtem Munde zu ihm ſprach. Dieſer Hang zum Rückwärts¬ blicken und Beſchauen des Vergangenen wurde in ihm beſtärkt durch die Vereinſamung, in der er ſich befand. Denn obgleich er eine zahlreiche Familie um ſich heranwachſen ſah, war dieſer Mann doch allein, wollte es ſein. Er ſcheute jede Mit¬ teilung ſeines Innerſten anderen gegenüber, auch wenn ſie von ſeinem Fleiſch und Blute waren. Aber mit den Dahin¬ geſchiedenen ſtand er in lebendiger Beziehung.
Sein erſtaunlich friſches Gedächtnis unterſtützte ihn darin. Er vermochte ſich Erlebniſſe und Perſonen aus der früheſten Jugend vor die Seele zu ſtellen, als ſeien ſie geſtern ge¬ weſen. Ausſprüche der Eltern, ja ſelbſt des Großvaters, konnte er mit wörtlicher Treue wiedergeben, obgleich der Alte vor nahezu fünfzig Jahren das Zeitliche geſegnet hatte. Er war imſtande, mit untrüglicher Gewißheit anzugeben, an welchem Tage in einem beſtimmten Jahre man das erſte Heu eingefahren hatte, oder was ihm damals für eine Kuh bezahlt worden war, oder auch, wieviel der Roggen in dem und dem Monate gegolten hatte.
Die Vergangenheit bildete aber nicht blos den vielbe¬ trachteten Hintergrund ſeines Daſeins, ſie wirkte geradezu entſcheidend auf ſeine Entſchließungen ein. Er war gebunden in ſeinem Willen an Thaten und Abſichten ſeiner Vor¬ fahren. Ohne ſich deſſen ſelbſt recht bewußt zu werden, ließ er ſich leiten von frommer Rückſicht auf Wunſch und Willen jener Entſchlafenen, die für ihn eben Gegenwärtige waren.
Dabei ſprach er faſt nie von der Vergangenheit. Das Sprechen, ſoweit es nicht einem beſtimmten praktiſchen Zwecke diente, erſchien ihm überhaupt müßig. Das Reden um der Ausſprache willen, die ſüße Erleichterung des Gemütes durch Mitteilung, kannte er, nicht, verachtete dergleichen, als weibiſch.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0166"n="152"/>
Tagewerk keine Zeit übrig. Aber eines ſteckte tief in ſeinem<lb/>
Weſen: er lebte viel mit ſeinen Gedanken in der Vergangenheit,<lb/>ſie war ihm ein ſteter Begleiter der Gegenwart, der mit be¬<lb/>
redtem Munde zu ihm ſprach. Dieſer Hang zum Rückwärts¬<lb/>
blicken und Beſchauen des Vergangenen wurde in ihm beſtärkt<lb/>
durch die Vereinſamung, in der er ſich befand. Denn obgleich<lb/>
er eine zahlreiche Familie um ſich heranwachſen ſah, war dieſer<lb/>
Mann doch allein, wollte es ſein. Er ſcheute jede Mit¬<lb/>
teilung ſeines Innerſten anderen gegenüber, auch wenn ſie von<lb/>ſeinem Fleiſch und Blute waren. Aber mit den Dahin¬<lb/>
geſchiedenen ſtand er in lebendiger Beziehung.</p><lb/><p>Sein erſtaunlich friſches Gedächtnis unterſtützte ihn darin.<lb/>
Er vermochte ſich Erlebniſſe und Perſonen aus der früheſten<lb/>
Jugend vor die Seele zu ſtellen, als ſeien ſie geſtern ge¬<lb/>
weſen. Ausſprüche der Eltern, ja ſelbſt des Großvaters,<lb/>
konnte er mit wörtlicher Treue wiedergeben, obgleich der Alte<lb/>
vor nahezu fünfzig Jahren das Zeitliche geſegnet hatte. Er<lb/>
war imſtande, mit untrüglicher Gewißheit anzugeben, an<lb/>
welchem Tage in einem beſtimmten Jahre man das erſte Heu<lb/>
eingefahren hatte, oder was ihm damals für eine Kuh bezahlt<lb/>
worden war, oder auch, wieviel der Roggen in dem und dem<lb/>
Monate gegolten hatte.</p><lb/><p>Die Vergangenheit bildete aber nicht blos den vielbe¬<lb/>
trachteten Hintergrund ſeines Daſeins, ſie wirkte geradezu<lb/>
entſcheidend auf ſeine Entſchließungen ein. Er war gebunden<lb/>
in ſeinem Willen an Thaten und Abſichten ſeiner Vor¬<lb/>
fahren. Ohne ſich deſſen ſelbſt recht bewußt zu werden,<lb/>
ließ er ſich leiten von frommer Rückſicht auf Wunſch und<lb/>
Willen jener Entſchlafenen, die für ihn eben Gegenwärtige<lb/>
waren.</p><lb/><p>Dabei ſprach er faſt nie von der Vergangenheit. Das<lb/>
Sprechen, ſoweit es nicht einem beſtimmten praktiſchen Zwecke<lb/>
diente, erſchien ihm überhaupt müßig. Das Reden um der<lb/>
Ausſprache willen, die ſüße Erleichterung des Gemütes<lb/>
durch Mitteilung, kannte er, nicht, verachtete dergleichen, als<lb/>
weibiſch.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[152/0166]
Tagewerk keine Zeit übrig. Aber eines ſteckte tief in ſeinem
Weſen: er lebte viel mit ſeinen Gedanken in der Vergangenheit,
ſie war ihm ein ſteter Begleiter der Gegenwart, der mit be¬
redtem Munde zu ihm ſprach. Dieſer Hang zum Rückwärts¬
blicken und Beſchauen des Vergangenen wurde in ihm beſtärkt
durch die Vereinſamung, in der er ſich befand. Denn obgleich
er eine zahlreiche Familie um ſich heranwachſen ſah, war dieſer
Mann doch allein, wollte es ſein. Er ſcheute jede Mit¬
teilung ſeines Innerſten anderen gegenüber, auch wenn ſie von
ſeinem Fleiſch und Blute waren. Aber mit den Dahin¬
geſchiedenen ſtand er in lebendiger Beziehung.
Sein erſtaunlich friſches Gedächtnis unterſtützte ihn darin.
Er vermochte ſich Erlebniſſe und Perſonen aus der früheſten
Jugend vor die Seele zu ſtellen, als ſeien ſie geſtern ge¬
weſen. Ausſprüche der Eltern, ja ſelbſt des Großvaters,
konnte er mit wörtlicher Treue wiedergeben, obgleich der Alte
vor nahezu fünfzig Jahren das Zeitliche geſegnet hatte. Er
war imſtande, mit untrüglicher Gewißheit anzugeben, an
welchem Tage in einem beſtimmten Jahre man das erſte Heu
eingefahren hatte, oder was ihm damals für eine Kuh bezahlt
worden war, oder auch, wieviel der Roggen in dem und dem
Monate gegolten hatte.
Die Vergangenheit bildete aber nicht blos den vielbe¬
trachteten Hintergrund ſeines Daſeins, ſie wirkte geradezu
entſcheidend auf ſeine Entſchließungen ein. Er war gebunden
in ſeinem Willen an Thaten und Abſichten ſeiner Vor¬
fahren. Ohne ſich deſſen ſelbſt recht bewußt zu werden,
ließ er ſich leiten von frommer Rückſicht auf Wunſch und
Willen jener Entſchlafenen, die für ihn eben Gegenwärtige
waren.
Dabei ſprach er faſt nie von der Vergangenheit. Das
Sprechen, ſoweit es nicht einem beſtimmten praktiſchen Zwecke
diente, erſchien ihm überhaupt müßig. Das Reden um der
Ausſprache willen, die ſüße Erleichterung des Gemütes
durch Mitteilung, kannte er, nicht, verachtete dergleichen, als
weibiſch.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/166>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.