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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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von Spreu und Unkrautsamen sorgfältig befreit, auf dem
Schüttboden.

"Wenn's nu ack an Preis hätte!" sagte der Büttnerbauer
und schickte den Sohn in den Kretscham. Karl sollte dort ein
Glas Bier trinken und bei der Gelegenheit im Kreisblatte
nachsehen, was der Roggen jetzt gelte.

Karl kam mit der Nachricht zurück, daß Roggen pro erste
Septemberwoche neunzig stehe. Kaschelernst habe gemeint, der
Preis werde in nächster Zeit noch viel tiefer sinken an der
Börse, "von wegen der ausländischen Einfuhr," so berichtete
Karl wörtlich, ohne zu verstehen, was das eigentlich heiße.
"Wer klug handeln wolle, der hielte sein Korn bis zum Früh¬
jahr, da werde es schon Preis bekommen," habe Kaschelernft
gesagt.

Der Büttnerbauer konnte sich schon denken, mit welch
treuherziger Miene sein Schwager das gesagt haben mochte.
"Halten bis zum Frühjahr!" Der Schuft! Als ob der nicht
ganz genau wisse, daß der Bauer verkaufen mußte, unter allen
Umständen und zu jedem Preise. Und derselbe Mann, der
ihm hier so freundlichen Rat erteilen ließ, war es, der ihm
die letzte Hypothek Knall und Fall gekündigt hatte. Der alte
Bauer griff sich an den Hals und schluckte, als säße da etwas,
was nicht hinunter wollte.

Der Büttnerbauer machte sich darauf an's Rechnen.
Das war stets als eine geheimnisvolle Sache von ihm be¬
handelt worden. Eine eigentliche Buchführung kannte er
nicht. Das Wichtigste behielt er im Gedächtnis. Er wußte
Ausgaben und Einnahmen, die er gemacht, von vielen Jahren
her auf Heller und Pfennig anzugeben. Aber obgleich er für
gewöhnlich nichts buchte, so machte er von Zeit zu Zeit doch
einmal einen Abschluß. Dann gab es ein höchst umständliches
Rechnen mit Kreide auf einer Tischplatte, oder einer Thür. Die
Sache nahm Stunden in Anspruch. Lange Zahlenreihen wurden
aufgeschrieben, alle vier Spezies bemüht. Den eigentlichen
Sinn aber dieser ganzen Rechnerei verstand nur der Büttner¬
bauer allein. Es war ein Vorgang, der auch äußerlich wie

von Spreu und Unkrautſamen ſorgfältig befreit, auf dem
Schüttboden.

„Wenn's nu ack an Preis hätte!“ ſagte der Büttnerbauer
und ſchickte den Sohn in den Kretſcham. Karl ſollte dort ein
Glas Bier trinken und bei der Gelegenheit im Kreisblatte
nachſehen, was der Roggen jetzt gelte.

Karl kam mit der Nachricht zurück, daß Roggen pro erſte
Septemberwoche neunzig ſtehe. Kaſchelernſt habe gemeint, der
Preis werde in nächſter Zeit noch viel tiefer ſinken an der
Börſe, „von wegen der ausländiſchen Einfuhr,“ ſo berichtete
Karl wörtlich, ohne zu verſtehen, was das eigentlich heiße.
„Wer klug handeln wolle, der hielte ſein Korn bis zum Früh¬
jahr, da werde es ſchon Preis bekommen,“ habe Kaſchelernft
geſagt.

Der Büttnerbauer konnte ſich ſchon denken, mit welch
treuherziger Miene ſein Schwager das geſagt haben mochte.
„Halten bis zum Frühjahr!“ Der Schuft! Als ob der nicht
ganz genau wiſſe, daß der Bauer verkaufen mußte, unter allen
Umſtänden und zu jedem Preiſe. Und derſelbe Mann, der
ihm hier ſo freundlichen Rat erteilen ließ, war es, der ihm
die letzte Hypothek Knall und Fall gekündigt hatte. Der alte
Bauer griff ſich an den Hals und ſchluckte, als ſäße da etwas,
was nicht hinunter wollte.

Der Büttnerbauer machte ſich darauf an's Rechnen.
Das war ſtets als eine geheimnisvolle Sache von ihm be¬
handelt worden. Eine eigentliche Buchführung kannte er
nicht. Das Wichtigſte behielt er im Gedächtnis. Er wußte
Ausgaben und Einnahmen, die er gemacht, von vielen Jahren
her auf Heller und Pfennig anzugeben. Aber obgleich er für
gewöhnlich nichts buchte, ſo machte er von Zeit zu Zeit doch
einmal einen Abſchluß. Dann gab es ein höchſt umſtändliches
Rechnen mit Kreide auf einer Tiſchplatte, oder einer Thür. Die
Sache nahm Stunden in Anſpruch. Lange Zahlenreihen wurden
aufgeſchrieben, alle vier Spezies bemüht. Den eigentlichen
Sinn aber dieſer ganzen Rechnerei verſtand nur der Büttner¬
bauer allein. Es war ein Vorgang, der auch äußerlich wie

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[123/0137] von Spreu und Unkrautſamen ſorgfältig befreit, auf dem Schüttboden. „Wenn's nu ack an Preis hätte!“ ſagte der Büttnerbauer und ſchickte den Sohn in den Kretſcham. Karl ſollte dort ein Glas Bier trinken und bei der Gelegenheit im Kreisblatte nachſehen, was der Roggen jetzt gelte. Karl kam mit der Nachricht zurück, daß Roggen pro erſte Septemberwoche neunzig ſtehe. Kaſchelernſt habe gemeint, der Preis werde in nächſter Zeit noch viel tiefer ſinken an der Börſe, „von wegen der ausländiſchen Einfuhr,“ ſo berichtete Karl wörtlich, ohne zu verſtehen, was das eigentlich heiße. „Wer klug handeln wolle, der hielte ſein Korn bis zum Früh¬ jahr, da werde es ſchon Preis bekommen,“ habe Kaſchelernft geſagt. Der Büttnerbauer konnte ſich ſchon denken, mit welch treuherziger Miene ſein Schwager das geſagt haben mochte. „Halten bis zum Frühjahr!“ Der Schuft! Als ob der nicht ganz genau wiſſe, daß der Bauer verkaufen mußte, unter allen Umſtänden und zu jedem Preiſe. Und derſelbe Mann, der ihm hier ſo freundlichen Rat erteilen ließ, war es, der ihm die letzte Hypothek Knall und Fall gekündigt hatte. Der alte Bauer griff ſich an den Hals und ſchluckte, als ſäße da etwas, was nicht hinunter wollte. Der Büttnerbauer machte ſich darauf an's Rechnen. Das war ſtets als eine geheimnisvolle Sache von ihm be¬ handelt worden. Eine eigentliche Buchführung kannte er nicht. Das Wichtigſte behielt er im Gedächtnis. Er wußte Ausgaben und Einnahmen, die er gemacht, von vielen Jahren her auf Heller und Pfennig anzugeben. Aber obgleich er für gewöhnlich nichts buchte, ſo machte er von Zeit zu Zeit doch einmal einen Abſchluß. Dann gab es ein höchſt umſtändliches Rechnen mit Kreide auf einer Tiſchplatte, oder einer Thür. Die Sache nahm Stunden in Anſpruch. Lange Zahlenreihen wurden aufgeſchrieben, alle vier Spezies bemüht. Den eigentlichen Sinn aber dieſer ganzen Rechnerei verſtand nur der Büttner¬ bauer allein. Es war ein Vorgang, der auch äußerlich wie

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/137>, abgerufen am 23.11.2024.