Nun wurde das Mädchen ausgefragt. Vor allein mußte sie über ihren Gustav berichten, ihren "Bräutigam", wie die Mamsell sich gewählt ausdrückte. Was er treibe und ob er viel an sie schreibe. Die Bumille ging in ihrer Teilnahme so weit, zu forschen, ob Pauline etwa Briefe von ihm bei sich habe, und schien zu bedauern, als Pauline das verneinte. Ob sie denn auch sicher sei, daß er sie heiraten werde, fragte sie schließlich. Pauline errötete und meinte mit gesenkter Stimme, sie glaube es.
Die Bumille war eine große, wohlbeleibte Frauensperson. Ihren grauen Scheitel deckte eine weiße Haube mit lila Bändern. Das meiste an ihr und um sie, von diesen Bändern anzufangen, trug das Gepräge des Hängenden. Die Säcke unter den runden Augen, die schlaffen Lippen zwischen bauschigen Wangen, das Unterkinn, der Busen -- kurz alles an dieser Person zeigte das Bestreben, sich in schlaffer Fülle bodenwärts zu senken.
Übrigens wiesen ihre Züge den Ausdruck ungemachter Gutmütigkeit auf. Sie sprach mit etwas schwerer Junge, was ihren Redeeifer aber keineswegs beeinträchtigte. Mit erstaun¬ licher Gedächtnisstärke, besonders für unwichtige Dinge, schien sie begabt, und von ungewöhnlichem Interesse für die Ge¬ heimnisse anderer erfüllt.
Nachdem sie aus Pauline alles wissenswerte heraus¬ bekommen, rief sie das Küchenmädchen herbei. "Von dem Dessert einpacken! Mandeln und Rosinen, Schokolade kann auch dabei sein!" befahl sie. "Für den kleinen Gustav was zum knabbern," fügte sie in leutseligem Tone hinzu.
Die Bumille war bekannt für ihre Freigebigkeit. Für Bettler und Landstreicher war Schloß Saland ein wahres Eldorado, oder wie es in der Vagabundensprache heißt: eine "dufte Winde", wo anständig "gestochen" wurde. Es war bei Mamsell Bumille Gesetz, niemanden unbeschenkt von dannen ziehen zu lassen, so erforderte es die Ehre eines herrschaftlichen Haushaltes. "Almosengeben armet nicht!" war ihr Lieblings¬ wort. Und da sie die Freigebigkeit nur auf Kosten ihrer
Nun wurde das Mädchen ausgefragt. Vor allein mußte ſie über ihren Guſtav berichten, ihren „Bräutigam“, wie die Mamſell ſich gewählt ausdrückte. Was er treibe und ob er viel an ſie ſchreibe. Die Bumille ging in ihrer Teilnahme ſo weit, zu forſchen, ob Pauline etwa Briefe von ihm bei ſich habe, und ſchien zu bedauern, als Pauline das verneinte. Ob ſie denn auch ſicher ſei, daß er ſie heiraten werde, fragte ſie ſchließlich. Pauline errötete und meinte mit geſenkter Stimme, ſie glaube es.
Die Bumille war eine große, wohlbeleibte Frauensperſon. Ihren grauen Scheitel deckte eine weiße Haube mit lila Bändern. Das meiſte an ihr und um ſie, von dieſen Bändern anzufangen, trug das Gepräge des Hängenden. Die Säcke unter den runden Augen, die ſchlaffen Lippen zwiſchen bauſchigen Wangen, das Unterkinn, der Buſen — kurz alles an dieſer Perſon zeigte das Beſtreben, ſich in ſchlaffer Fülle bodenwärts zu ſenken.
Übrigens wieſen ihre Züge den Ausdruck ungemachter Gutmütigkeit auf. Sie ſprach mit etwas ſchwerer Junge, was ihren Redeeifer aber keineswegs beeinträchtigte. Mit erſtaun¬ licher Gedächtnisſtärke, beſonders für unwichtige Dinge, ſchien ſie begabt, und von ungewöhnlichem Intereſſe für die Ge¬ heimniſſe anderer erfüllt.
Nachdem ſie aus Pauline alles wiſſenswerte heraus¬ bekommen, rief ſie das Küchenmädchen herbei. „Von dem Deſſert einpacken! Mandeln und Roſinen, Schokolade kann auch dabei ſein!“ befahl ſie. „Für den kleinen Guſtav was zum knabbern,“ fügte ſie in leutſeligem Tone hinzu.
Die Bumille war bekannt für ihre Freigebigkeit. Für Bettler und Landſtreicher war Schloß Saland ein wahres Eldorado, oder wie es in der Vagabundenſprache heißt: eine „dufte Winde“, wo anſtändig „geſtochen“ wurde. Es war bei Mamſell Bumille Geſetz, niemanden unbeſchenkt von dannen ziehen zu laſſen, ſo erforderte es die Ehre eines herrſchaftlichen Haushaltes. „Almoſengeben armet nicht!“ war ihr Lieblings¬ wort. Und da ſie die Freigebigkeit nur auf Koſten ihrer
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Nun wurde das Mädchen ausgefragt. Vor allein mußte
ſie über ihren Guſtav berichten, ihren „Bräutigam“, wie die
Mamſell ſich gewählt ausdrückte. Was er treibe und ob er
viel an ſie ſchreibe. Die Bumille ging in ihrer Teilnahme ſo
weit, zu forſchen, ob Pauline etwa Briefe von ihm bei ſich
habe, und ſchien zu bedauern, als Pauline das verneinte. Ob
ſie denn auch ſicher ſei, daß er ſie heiraten werde, fragte ſie
ſchließlich. Pauline errötete und meinte mit geſenkter Stimme,
ſie glaube es.
Die Bumille war eine große, wohlbeleibte Frauensperſon.
Ihren grauen Scheitel deckte eine weiße Haube mit lila Bändern.
Das meiſte an ihr und um ſie, von dieſen Bändern anzufangen,
trug das Gepräge des Hängenden. Die Säcke unter den
runden Augen, die ſchlaffen Lippen zwiſchen bauſchigen Wangen,
das Unterkinn, der Buſen — kurz alles an dieſer Perſon
zeigte das Beſtreben, ſich in ſchlaffer Fülle bodenwärts zu
ſenken.
Übrigens wieſen ihre Züge den Ausdruck ungemachter
Gutmütigkeit auf. Sie ſprach mit etwas ſchwerer Junge, was
ihren Redeeifer aber keineswegs beeinträchtigte. Mit erſtaun¬
licher Gedächtnisſtärke, beſonders für unwichtige Dinge, ſchien
ſie begabt, und von ungewöhnlichem Intereſſe für die Ge¬
heimniſſe anderer erfüllt.
Nachdem ſie aus Pauline alles wiſſenswerte heraus¬
bekommen, rief ſie das Küchenmädchen herbei. „Von dem
Deſſert einpacken! Mandeln und Roſinen, Schokolade kann
auch dabei ſein!“ befahl ſie. „Für den kleinen Guſtav was
zum knabbern,“ fügte ſie in leutſeligem Tone hinzu.
Die Bumille war bekannt für ihre Freigebigkeit. Für
Bettler und Landſtreicher war Schloß Saland ein wahres
Eldorado, oder wie es in der Vagabundenſprache heißt: eine
„dufte Winde“, wo anſtändig „geſtochen“ wurde. Es war bei
Mamſell Bumille Geſetz, niemanden unbeſchenkt von dannen
ziehen zu laſſen, ſo erforderte es die Ehre eines herrſchaftlichen
Haushaltes. „Almoſengeben armet nicht!“ war ihr Lieblings¬
wort. Und da ſie die Freigebigkeit nur auf Koſten ihrer
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/114>, abgerufen am 23.11.2024.
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