Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Bauer hatte inzwischen in einer Ecke des Zimmers
sein Wesen für sich gehabt. Mit Hülfe eines Stückes Kreide
schrieb er dort Zahlen an die braune Wand. Jetzt wischte er
die Zahlenreihe mit dem Rockärmel aus, und trat zu dem
Händler. "A Märker dreihundert wer'ch brauchen," sagte er
mit gedämpfter Stimme, "was blußig de Handschulden sen."

Der Händler klappte die Brieftasche auf und blätterte
darin.

"De Weibsen megen a mal nausgihn!" sagte der Bauer,
als er bemerkte, daß Ernestine und Therese lange Hälse
machten und die Köpfe zusammensteckten. "Mutter, Du kannst
bleba und Karle och!" Die drei jüngeren Frauen entfernten
sich darauf schleunigst.

Sam hatte der Tasche ein Paket blauer Scheine ent¬
nommen. "Ein glücklicher Zufall!" sagte er, "daß ich gerade
heute Geld einkassiert habe. Für gewöhnlich pflege ich nicht
soviel bei mir zu tragen." Er legte drei Hundertmarkscheine
neben einander auf den Tisch und behielt die übrigen in der
Hand. "Hier wäre das Gewünschte, lieber Büttner! Soll ich
Ihnen vielleicht noch hundert Mark darüber geben, da ich's
einmal hier habe?"

Der Bauer starrte mit großen Augen auf das Geld,
rührte aber keinen Finger und sagte auch nichts.

"Ihnen gebe ich Kredit, soviel Sie wollen, Büttner. Ein
so tüchtiger Wirt wie Sie, mit solch einer Ernte auf dem
Felde! Ihre Unterschrift ist mir so gut wie bar Geld."

Dem alten Manne drehte sich alles vor den Augen. Er
sah bald den Händler, bald seine Frau an, die neben ihm
stand. Durfte er denn seinen Sinnen trauen! war das nicht
etwa ein Spuk! Hier lag das Geld, das er brauchte, und noch
mehr, auf der Tischplatte, so viel, um ihn aus allen seinen
Nöten zu reißen. Hier saß einer, der ihm die Hilfe geradezu
aufnötigte. Was sollte man davon denken?

In seiner Ratlosigkeit wollte er schon den ältesten Sohn
um seine Meinung befragen. Aber Karl sah dem ganzen
Vorgange mit einer so völlig verständnisleeren Miene zu, daß

Der Bauer hatte inzwiſchen in einer Ecke des Zimmers
ſein Weſen für ſich gehabt. Mit Hülfe eines Stückes Kreide
ſchrieb er dort Zahlen an die braune Wand. Jetzt wiſchte er
die Zahlenreihe mit dem Rockärmel aus, und trat zu dem
Händler. „A Märker dreihundert wer'ch brauchen,“ ſagte er
mit gedämpfter Stimme, „was blußig de Handſchulden ſen.“

Der Händler klappte die Brieftaſche auf und blätterte
darin.

„De Weibſen megen a mal nausgihn!“ ſagte der Bauer,
als er bemerkte, daß Erneſtine und Thereſe lange Hälſe
machten und die Köpfe zuſammenſteckten. „Mutter, Du kannſt
bleba und Karle och!“ Die drei jüngeren Frauen entfernten
ſich darauf ſchleunigſt.

Sam hatte der Taſche ein Paket blauer Scheine ent¬
nommen. „Ein glücklicher Zufall!“ ſagte er, „daß ich gerade
heute Geld einkaſſiert habe. Für gewöhnlich pflege ich nicht
ſoviel bei mir zu tragen.“ Er legte drei Hundertmarkſcheine
neben einander auf den Tiſch und behielt die übrigen in der
Hand. „Hier wäre das Gewünſchte, lieber Büttner! Soll ich
Ihnen vielleicht noch hundert Mark darüber geben, da ich's
einmal hier habe?“

Der Bauer ſtarrte mit großen Augen auf das Geld,
rührte aber keinen Finger und ſagte auch nichts.

„Ihnen gebe ich Kredit, ſoviel Sie wollen, Büttner. Ein
ſo tüchtiger Wirt wie Sie, mit ſolch einer Ernte auf dem
Felde! Ihre Unterſchrift iſt mir ſo gut wie bar Geld.“

Dem alten Manne drehte ſich alles vor den Augen. Er
ſah bald den Händler, bald ſeine Frau an, die neben ihm
ſtand. Durfte er denn ſeinen Sinnen trauen! war das nicht
etwa ein Spuk! Hier lag das Geld, das er brauchte, und noch
mehr, auf der Tiſchplatte, ſo viel, um ihn aus allen ſeinen
Nöten zu reißen. Hier ſaß einer, der ihm die Hilfe geradezu
aufnötigte. Was ſollte man davon denken?

In ſeiner Ratloſigkeit wollte er ſchon den älteſten Sohn
um ſeine Meinung befragen. Aber Karl ſah dem ganzen
Vorgange mit einer ſo völlig verſtändnisleeren Miene zu, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0108" n="94"/>
          <p>Der Bauer hatte inzwi&#x017F;chen in einer Ecke des Zimmers<lb/>
&#x017F;ein We&#x017F;en für &#x017F;ich gehabt. Mit Hülfe eines Stückes Kreide<lb/>
&#x017F;chrieb er dort Zahlen an die braune Wand. Jetzt wi&#x017F;chte er<lb/>
die Zahlenreihe mit dem Rockärmel aus, und trat zu dem<lb/>
Händler. &#x201E;A Märker dreihundert wer'ch brauchen,&#x201C; &#x017F;agte er<lb/>
mit gedämpfter Stimme, &#x201E;was blußig de Hand&#x017F;chulden &#x017F;en.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Der Händler klappte die Briefta&#x017F;che auf und blätterte<lb/>
darin.</p><lb/>
          <p>&#x201E;De Weib&#x017F;en megen a mal nausgihn!&#x201C; &#x017F;agte der Bauer,<lb/>
als er bemerkte, daß Erne&#x017F;tine und There&#x017F;e lange Häl&#x017F;e<lb/>
machten und die Köpfe zu&#x017F;ammen&#x017F;teckten. &#x201E;Mutter, Du kann&#x017F;t<lb/>
bleba und Karle och!&#x201C; Die drei jüngeren Frauen entfernten<lb/>
&#x017F;ich darauf &#x017F;chleunig&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Sam hatte der Ta&#x017F;che ein Paket blauer Scheine ent¬<lb/>
nommen. &#x201E;Ein glücklicher Zufall!&#x201C; &#x017F;agte er, &#x201E;daß ich gerade<lb/>
heute Geld einka&#x017F;&#x017F;iert habe. Für gewöhnlich pflege ich nicht<lb/>
&#x017F;oviel bei mir zu tragen.&#x201C; Er legte drei Hundertmark&#x017F;cheine<lb/>
neben einander auf den Ti&#x017F;ch und behielt die übrigen in der<lb/>
Hand. &#x201E;Hier wäre das Gewün&#x017F;chte, lieber Büttner! Soll ich<lb/>
Ihnen vielleicht noch hundert Mark darüber geben, da ich's<lb/>
einmal hier habe?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Der Bauer &#x017F;tarrte mit großen Augen auf das Geld,<lb/>
rührte aber keinen Finger und &#x017F;agte auch nichts.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ihnen gebe ich Kredit, &#x017F;oviel Sie wollen, Büttner. Ein<lb/>
&#x017F;o tüchtiger Wirt wie Sie, mit &#x017F;olch einer Ernte auf dem<lb/>
Felde! Ihre Unter&#x017F;chrift i&#x017F;t mir &#x017F;o gut wie bar Geld.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Dem alten Manne drehte &#x017F;ich alles vor den Augen. Er<lb/>
&#x017F;ah bald den Händler, bald &#x017F;eine Frau an, die neben ihm<lb/>
&#x017F;tand. Durfte er denn &#x017F;einen Sinnen trauen! war das nicht<lb/>
etwa ein Spuk! Hier lag das Geld, das er brauchte, und noch<lb/>
mehr, auf der Ti&#x017F;chplatte, &#x017F;o viel, um ihn aus allen &#x017F;einen<lb/>
Nöten zu reißen. Hier &#x017F;aß einer, der ihm die Hilfe geradezu<lb/>
aufnötigte. Was &#x017F;ollte man davon denken?</p><lb/>
          <p>In &#x017F;einer Ratlo&#x017F;igkeit wollte er &#x017F;chon den älte&#x017F;ten Sohn<lb/>
um &#x017F;eine Meinung befragen. Aber Karl &#x017F;ah dem ganzen<lb/>
Vorgange mit einer &#x017F;o völlig ver&#x017F;tändnisleeren Miene zu, daß<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[94/0108] Der Bauer hatte inzwiſchen in einer Ecke des Zimmers ſein Weſen für ſich gehabt. Mit Hülfe eines Stückes Kreide ſchrieb er dort Zahlen an die braune Wand. Jetzt wiſchte er die Zahlenreihe mit dem Rockärmel aus, und trat zu dem Händler. „A Märker dreihundert wer'ch brauchen,“ ſagte er mit gedämpfter Stimme, „was blußig de Handſchulden ſen.“ Der Händler klappte die Brieftaſche auf und blätterte darin. „De Weibſen megen a mal nausgihn!“ ſagte der Bauer, als er bemerkte, daß Erneſtine und Thereſe lange Hälſe machten und die Köpfe zuſammenſteckten. „Mutter, Du kannſt bleba und Karle och!“ Die drei jüngeren Frauen entfernten ſich darauf ſchleunigſt. Sam hatte der Taſche ein Paket blauer Scheine ent¬ nommen. „Ein glücklicher Zufall!“ ſagte er, „daß ich gerade heute Geld einkaſſiert habe. Für gewöhnlich pflege ich nicht ſoviel bei mir zu tragen.“ Er legte drei Hundertmarkſcheine neben einander auf den Tiſch und behielt die übrigen in der Hand. „Hier wäre das Gewünſchte, lieber Büttner! Soll ich Ihnen vielleicht noch hundert Mark darüber geben, da ich's einmal hier habe?“ Der Bauer ſtarrte mit großen Augen auf das Geld, rührte aber keinen Finger und ſagte auch nichts. „Ihnen gebe ich Kredit, ſoviel Sie wollen, Büttner. Ein ſo tüchtiger Wirt wie Sie, mit ſolch einer Ernte auf dem Felde! Ihre Unterſchrift iſt mir ſo gut wie bar Geld.“ Dem alten Manne drehte ſich alles vor den Augen. Er ſah bald den Händler, bald ſeine Frau an, die neben ihm ſtand. Durfte er denn ſeinen Sinnen trauen! war das nicht etwa ein Spuk! Hier lag das Geld, das er brauchte, und noch mehr, auf der Tiſchplatte, ſo viel, um ihn aus allen ſeinen Nöten zu reißen. Hier ſaß einer, der ihm die Hilfe geradezu aufnötigte. Was ſollte man davon denken? In ſeiner Ratloſigkeit wollte er ſchon den älteſten Sohn um ſeine Meinung befragen. Aber Karl ſah dem ganzen Vorgange mit einer ſo völlig verſtändnisleeren Miene zu, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/108
Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/108>, abgerufen am 24.11.2024.