Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

ppo_488.001
Geschwister- und Freundesliebe -- enthalten, so ppo_488.002
daß die dargestellten Jndividuen und Handlungen ppo_488.003
an diesem gemeinsamen Ausdrucke der Gefühle erkannt ppo_488.004
werden. Romane dieser Art verdienen, sobald ppo_488.005
ihre ästhetische Form vollendet ist, wegen ihrer ppo_488.006
Verwandtschaft mit dem Ausdrucke der höchsten ppo_488.007
und reinsten individuellen Gefühle in den einzelnen ppo_488.008
Erzeugnissen der lyrischen Form der Dichtkunst, die ppo_488.009
Benennung: lyrische Romane. Zu ihnen gehören ppo_488.010
die idealisirten Schilderungen hoher Leidenschaft, die ppo_488.011
vollendeten Familiengemälde, und alle sogenannte ppo_488.012
sentimentale Romane (z. B. Werthers Leiden; Siegwart; ppo_488.013
Sophiens Reise von Hermes; Ewalds ppo_488.014
Rosenmonde; Heinse's Ardinghello; viele Romane ppo_488.015
von Jean Paul, Lafontaine u. a.).

ppo_488.016

Jm Gegensatze des lyrischen Romans, hat der ppo_488.017
didactische Roman die Aufgabe, den Menschen, ppo_488.018
wie er seyn soll, und das menschliche Leben ppo_488.019
überhaupt nach seiner idealischen Haltung und Ankündigung ppo_488.020
darzustellen. Er will so wenig, wie das ppo_488.021
Lehrgedicht, im eigentlichen Sinne belehren, und ppo_488.022
den Verstand durch Mittheilung von Begriffen aufklären; ppo_488.023
allein die im Dichter aufgeregten Gefühle veranlaßten ppo_488.024
seine Einbildungskraft, ein Jdeal des Menschen ppo_488.025
und des Lebens zu zeichnen, wie sie in der ppo_488.026
Wirklichkeit nicht getroffen werden, um, nach diesem ppo_488.027
Vorbilde, die Wirklichkeit zu gestalten, das menschliche ppo_488.028
Leben von seinen Unvollkommenheiten, Beschwerden ppo_488.029
und von den Folgen der Verirrungen der menschlichen ppo_488.030
Freiheit zu befreien, und die ganze Denkart ppo_488.031
und Handlungsweise der Menschen zu einer Höhe ppo_488.032
hinaufzuläutern, die ihrer sittlichen Würde entspricht. ppo_488.033
So wie nun die Schöpfung, Haltung und Durchführung ppo_488.034
solcher idealisirter menschlicher Charaktere

ppo_488.001
Geschwister- und Freundesliebe — enthalten, so ppo_488.002
daß die dargestellten Jndividuen und Handlungen ppo_488.003
an diesem gemeinsamen Ausdrucke der Gefühle erkannt ppo_488.004
werden. Romane dieser Art verdienen, sobald ppo_488.005
ihre ästhetische Form vollendet ist, wegen ihrer ppo_488.006
Verwandtschaft mit dem Ausdrucke der höchsten ppo_488.007
und reinsten individuellen Gefühle in den einzelnen ppo_488.008
Erzeugnissen der lyrischen Form der Dichtkunst, die ppo_488.009
Benennung: lyrische Romane. Zu ihnen gehören ppo_488.010
die idealisirten Schilderungen hoher Leidenschaft, die ppo_488.011
vollendeten Familiengemälde, und alle sogenannte ppo_488.012
sentimentale Romane (z. B. Werthers Leiden; Siegwart; ppo_488.013
Sophiens Reise von Hermes; Ewalds ppo_488.014
Rosenmonde; Heinse's Ardinghello; viele Romane ppo_488.015
von Jean Paul, Lafontaine u. a.).

ppo_488.016

Jm Gegensatze des lyrischen Romans, hat der ppo_488.017
didactische Roman die Aufgabe, den Menschen, ppo_488.018
wie er seyn soll, und das menschliche Leben ppo_488.019
überhaupt nach seiner idealischen Haltung und Ankündigung ppo_488.020
darzustellen. Er will so wenig, wie das ppo_488.021
Lehrgedicht, im eigentlichen Sinne belehren, und ppo_488.022
den Verstand durch Mittheilung von Begriffen aufklären; ppo_488.023
allein die im Dichter aufgeregten Gefühle veranlaßten ppo_488.024
seine Einbildungskraft, ein Jdeal des Menschen ppo_488.025
und des Lebens zu zeichnen, wie sie in der ppo_488.026
Wirklichkeit nicht getroffen werden, um, nach diesem ppo_488.027
Vorbilde, die Wirklichkeit zu gestalten, das menschliche ppo_488.028
Leben von seinen Unvollkommenheiten, Beschwerden ppo_488.029
und von den Folgen der Verirrungen der menschlichen ppo_488.030
Freiheit zu befreien, und die ganze Denkart ppo_488.031
und Handlungsweise der Menschen zu einer Höhe ppo_488.032
hinaufzuläutern, die ihrer sittlichen Würde entspricht. ppo_488.033
So wie nun die Schöpfung, Haltung und Durchführung ppo_488.034
solcher idealisirter menschlicher Charaktere

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0500" n="488"/><lb n="ppo_488.001"/>Geschwister- und Freundesliebe &#x2014; enthalten, so <lb n="ppo_488.002"/>daß die dargestellten Jndividuen und Handlungen <lb n="ppo_488.003"/>an diesem gemeinsamen Ausdrucke der Gefühle erkannt <lb n="ppo_488.004"/>werden. Romane <hi rendition="#g">dieser</hi> Art verdienen, sobald <lb n="ppo_488.005"/>ihre ästhetische Form vollendet ist, wegen ihrer <lb n="ppo_488.006"/>Verwandtschaft mit dem Ausdrucke der höchsten <lb n="ppo_488.007"/>und reinsten individuellen Gefühle in den einzelnen <lb n="ppo_488.008"/>Erzeugnissen der lyrischen Form der Dichtkunst, die <lb n="ppo_488.009"/>Benennung: <hi rendition="#g">lyrische</hi> Romane. Zu ihnen gehören <lb n="ppo_488.010"/>die idealisirten Schilderungen hoher Leidenschaft, die <lb n="ppo_488.011"/>vollendeten Familiengemälde, und alle sogenannte <lb n="ppo_488.012"/>sentimentale Romane (z. B. Werthers Leiden; Siegwart; <lb n="ppo_488.013"/>Sophiens Reise von <hi rendition="#g">Hermes;</hi> Ewalds <lb n="ppo_488.014"/>Rosenmonde; <hi rendition="#g">Heinse's</hi> Ardinghello; viele Romane <lb n="ppo_488.015"/>von <hi rendition="#g">Jean Paul, Lafontaine</hi> u. a.).</p>
          <lb n="ppo_488.016"/>
          <p>  Jm Gegensatze des lyrischen Romans, hat der <lb n="ppo_488.017"/><hi rendition="#g">didactische</hi> Roman die Aufgabe, den <hi rendition="#g">Menschen,</hi> <lb n="ppo_488.018"/>wie er seyn soll, und das <hi rendition="#g">menschliche Leben</hi> <lb n="ppo_488.019"/>überhaupt nach seiner idealischen Haltung und Ankündigung <lb n="ppo_488.020"/>darzustellen. Er will so wenig, wie das <lb n="ppo_488.021"/>Lehrgedicht, im eigentlichen Sinne belehren, und <lb n="ppo_488.022"/>den Verstand durch Mittheilung von Begriffen aufklären; <lb n="ppo_488.023"/>allein die im Dichter aufgeregten Gefühle veranlaßten <lb n="ppo_488.024"/>seine Einbildungskraft, ein Jdeal des Menschen <lb n="ppo_488.025"/>und des Lebens zu zeichnen, wie sie in der <lb n="ppo_488.026"/>Wirklichkeit nicht getroffen werden, um, nach diesem <lb n="ppo_488.027"/>Vorbilde, die Wirklichkeit zu gestalten, das menschliche <lb n="ppo_488.028"/>Leben von seinen Unvollkommenheiten, Beschwerden <lb n="ppo_488.029"/>und von den Folgen der Verirrungen der menschlichen <lb n="ppo_488.030"/>Freiheit zu befreien, und die ganze Denkart <lb n="ppo_488.031"/>und Handlungsweise der Menschen zu einer Höhe <lb n="ppo_488.032"/>hinaufzuläutern, die ihrer sittlichen Würde entspricht. <lb n="ppo_488.033"/>So wie nun die Schöpfung, Haltung und Durchführung <lb n="ppo_488.034"/>solcher idealisirter menschlicher Charaktere
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[488/0500] ppo_488.001 Geschwister- und Freundesliebe — enthalten, so ppo_488.002 daß die dargestellten Jndividuen und Handlungen ppo_488.003 an diesem gemeinsamen Ausdrucke der Gefühle erkannt ppo_488.004 werden. Romane dieser Art verdienen, sobald ppo_488.005 ihre ästhetische Form vollendet ist, wegen ihrer ppo_488.006 Verwandtschaft mit dem Ausdrucke der höchsten ppo_488.007 und reinsten individuellen Gefühle in den einzelnen ppo_488.008 Erzeugnissen der lyrischen Form der Dichtkunst, die ppo_488.009 Benennung: lyrische Romane. Zu ihnen gehören ppo_488.010 die idealisirten Schilderungen hoher Leidenschaft, die ppo_488.011 vollendeten Familiengemälde, und alle sogenannte ppo_488.012 sentimentale Romane (z. B. Werthers Leiden; Siegwart; ppo_488.013 Sophiens Reise von Hermes; Ewalds ppo_488.014 Rosenmonde; Heinse's Ardinghello; viele Romane ppo_488.015 von Jean Paul, Lafontaine u. a.). ppo_488.016 Jm Gegensatze des lyrischen Romans, hat der ppo_488.017 didactische Roman die Aufgabe, den Menschen, ppo_488.018 wie er seyn soll, und das menschliche Leben ppo_488.019 überhaupt nach seiner idealischen Haltung und Ankündigung ppo_488.020 darzustellen. Er will so wenig, wie das ppo_488.021 Lehrgedicht, im eigentlichen Sinne belehren, und ppo_488.022 den Verstand durch Mittheilung von Begriffen aufklären; ppo_488.023 allein die im Dichter aufgeregten Gefühle veranlaßten ppo_488.024 seine Einbildungskraft, ein Jdeal des Menschen ppo_488.025 und des Lebens zu zeichnen, wie sie in der ppo_488.026 Wirklichkeit nicht getroffen werden, um, nach diesem ppo_488.027 Vorbilde, die Wirklichkeit zu gestalten, das menschliche ppo_488.028 Leben von seinen Unvollkommenheiten, Beschwerden ppo_488.029 und von den Folgen der Verirrungen der menschlichen ppo_488.030 Freiheit zu befreien, und die ganze Denkart ppo_488.031 und Handlungsweise der Menschen zu einer Höhe ppo_488.032 hinaufzuläutern, die ihrer sittlichen Würde entspricht. ppo_488.033 So wie nun die Schöpfung, Haltung und Durchführung ppo_488.034 solcher idealisirter menschlicher Charaktere

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/500
Zitationshilfe: Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/500>, abgerufen am 25.11.2024.