ppo_464.001 vermeinte, als bei mir. Jch verlange also, daß man ppo_464.002 wenigstens meiner Frau glaube, wenn auch mein Zeugniß ppo_464.003 verdächtig seyn sollte. Jn Sachen, welche die Körper ppo_464.004 und Menschengesichter angehen, kann man dem Ausspruche ppo_464.005 solcher Frauenzimmer, wie mein liebes Weib war, ppo_464.006 sicher trauen; in andern Dingen hingegen, welche den ppo_464.007 Verstand betreffen, bin ich gar wohl zufrieden, daß man ppo_464.008 gründliche Beweise fordere.
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Sobald ich meinen erblaßten Körper vor mir sah; ppo_464.010 so eilte ich zu meinem Schreibepulte. Das habe ich gedacht, ppo_464.011 wird die erbitterte Chloris aus Rachbegierde rufen; ppo_464.012 die mürrischen Gelehrten werfen uns beständig den ppo_464.013 Nachttisch vor, und vielmals begehen sie doch vor ihrem ppo_464.014 Schreibepulte eben diejenigen Schwachheiten, welche man ppo_464.015 an uns vor unserm Nachttische kaum wahrnehmen wird. ppo_464.016 Mit ihrer Feder und Dinte treiben sie mehr Eitelkeiten, ppo_464.017 als wir mit unsrer Schminke und mit dem Brenneisen. ppo_464.018 Jn ihren Schriften bewundern sie vielmals ihre prächtige ppo_464.019 Größe und gelehrte Schönheit mehr, und doch mit ppo_464.020 weniger Gewißheit, als wir uns in Spiegeln. Jhre ppo_464.021 Eigenliebe, ihr Stolz, ihre Begierde, Andern zu gefallen, ppo_464.022 ihre Eifersucht -- --
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Es ist alles wahr, Chloris; aber jetzt will ich weiter ppo_464.024 erzählen. Auf meinem Pulte lag der Entwurf zu ppo_464.025 einer Schrift, welchen ich noch am Abende vorher zu ppo_464.026 Papiere gebracht hatte. Jch wollte mich mit aller der ppo_464.027 Hitze, welche mir und vielen Gelehrten so natürlich ist, ppo_464.028 der Feder bemächtigen, um zum Troste meiner kritischen ppo_464.029 Mitbrüder diese wichtige Schrift zu Stande zu bringen. ppo_464.030 Allein, wie groß war mein Entsetzen, da meine abgeschiedene ppo_464.031 Seele, als ein Geist, nicht vermögend war, ppo_464.032 die Feder aufzuheben, noch weniger aber zu schreiben! ppo_464.033 Siebenmal, und noch siebenmal bemühte ich mich, zu ppo_464.034 schreiben; aber allemal umsonst. Jch schlug die Hände
ppo_464.001 vermeinte, als bei mir. Jch verlange also, daß man ppo_464.002 wenigstens meiner Frau glaube, wenn auch mein Zeugniß ppo_464.003 verdächtig seyn sollte. Jn Sachen, welche die Körper ppo_464.004 und Menschengesichter angehen, kann man dem Ausspruche ppo_464.005 solcher Frauenzimmer, wie mein liebes Weib war, ppo_464.006 sicher trauen; in andern Dingen hingegen, welche den ppo_464.007 Verstand betreffen, bin ich gar wohl zufrieden, daß man ppo_464.008 gründliche Beweise fordere.
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Sobald ich meinen erblaßten Körper vor mir sah; ppo_464.010 so eilte ich zu meinem Schreibepulte. Das habe ich gedacht, ppo_464.011 wird die erbitterte Chloris aus Rachbegierde rufen; ppo_464.012 die mürrischen Gelehrten werfen uns beständig den ppo_464.013 Nachttisch vor, und vielmals begehen sie doch vor ihrem ppo_464.014 Schreibepulte eben diejenigen Schwachheiten, welche man ppo_464.015 an uns vor unserm Nachttische kaum wahrnehmen wird. ppo_464.016 Mit ihrer Feder und Dinte treiben sie mehr Eitelkeiten, ppo_464.017 als wir mit unsrer Schminke und mit dem Brenneisen. ppo_464.018 Jn ihren Schriften bewundern sie vielmals ihre prächtige ppo_464.019 Größe und gelehrte Schönheit mehr, und doch mit ppo_464.020 weniger Gewißheit, als wir uns in Spiegeln. Jhre ppo_464.021 Eigenliebe, ihr Stolz, ihre Begierde, Andern zu gefallen, ppo_464.022 ihre Eifersucht — —
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Es ist alles wahr, Chloris; aber jetzt will ich weiter ppo_464.024 erzählen. Auf meinem Pulte lag der Entwurf zu ppo_464.025 einer Schrift, welchen ich noch am Abende vorher zu ppo_464.026 Papiere gebracht hatte. Jch wollte mich mit aller der ppo_464.027 Hitze, welche mir und vielen Gelehrten so natürlich ist, ppo_464.028 der Feder bemächtigen, um zum Troste meiner kritischen ppo_464.029 Mitbrüder diese wichtige Schrift zu Stande zu bringen. ppo_464.030 Allein, wie groß war mein Entsetzen, da meine abgeschiedene ppo_464.031 Seele, als ein Geist, nicht vermögend war, ppo_464.032 die Feder aufzuheben, noch weniger aber zu schreiben! ppo_464.033 Siebenmal, und noch siebenmal bemühte ich mich, zu ppo_464.034 schreiben; aber allemal umsonst. Jch schlug die Hände
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wenigstens meiner Frau glaube, wenn auch mein Zeugniß ppo_464.003
verdächtig seyn sollte. Jn Sachen, welche die Körper ppo_464.004
und Menschengesichter angehen, kann man dem Ausspruche ppo_464.005
solcher Frauenzimmer, wie mein liebes Weib war, ppo_464.006
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Sobald ich meinen erblaßten Körper vor mir sah; ppo_464.010
so eilte ich zu meinem Schreibepulte. Das habe ich gedacht, ppo_464.011
wird die erbitterte Chloris aus Rachbegierde rufen; ppo_464.012
die mürrischen Gelehrten werfen uns beständig den ppo_464.013
Nachttisch vor, und vielmals begehen sie doch vor ihrem ppo_464.014
Schreibepulte eben diejenigen Schwachheiten, welche man ppo_464.015
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Es ist alles wahr, Chloris; aber jetzt will ich weiter ppo_464.024
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die Feder aufzuheben, noch weniger aber zu schreiben! ppo_464.033
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Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/476>, abgerufen am 16.02.2025.
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