ppo_374.001 verblindet, und im Solde der Laster schwelgt; wenn ppo_374.002 die Frevel der Mächtigen ihrer Ohnmacht spotten, ppo_374.003 und Menschenfurcht den Arm der Obrigkeit bindet; ppo_374.004 dann übernimmt die Schaubühne Schwert und ppo_374.005 Wage, und reißt die Laster vor einen schrecklichen ppo_374.006 Richterstuhl. Das ganze Reich der Phantasie und ppo_374.007 Geschichte, Vergangenheit und Zukunft stehen ihrem ppo_374.008 Winke zu Gebote. Kühne Verbrecher, die längst ppo_374.009 schon im Staube vermodern, werden durch den allmächtigen ppo_374.010 Ruf der Dichtkunst jetzt vorgeladen, und ppo_374.011 wiederhohlen zum schauervollen Unterrichte der Nachwelt ppo_374.012 ein schändliches Leben. Ohnmächtig, gleich den ppo_374.013 Schatten in einem Hohlspiegel, wandeln die Schrecken ppo_374.014 ihres Jahrhunderts vor unsern Augen vorbei, ppo_374.015 und mit wollüstigem Entsetzen verfluchen wir ihr ppo_374.016 Gedächtniß. Wenn keine Moral mehr gelehrt wird; ppo_374.017 keine Religion mehr Glauben findet; wenn kein Gesetz ppo_374.018 mehr vorhanden ist, wird uns Medea noch ppo_374.019 anschauern, wenn sie die Treppen des Pallastes herunter ppo_374.020 wankt, und der Kindermord geschehen ist. ppo_374.021 Heilsame Schauer werden die Menschheit ergreifen, ppo_374.022 und in der Stille wird jeder sein gutes Gewissen ppo_374.023 preisen, wenn Lady Macbeth, eine schreckliche ppo_374.024 Nachtwandlerin, ihre Hände wäscht, und alle Wohlgerüche ppo_374.025 Arabiens herbeiruft, den häßlichen Mordgeruch ppo_374.026 zu vertilgen. So gewiß sichtbare Darstellung ppo_374.027 mächtiger wirkt, als todter Buchstabe und kalte Erzählung; ppo_374.028 so gewiß wirkt die Schaubühne tiefer und ppo_374.029 dauernder, als Moral und Gesetze. -- Aber der ppo_374.030 Wirkungskreis der Bühne dehnt sich noch weiter ppo_374.031 aus. Auch da, wo Religion und Gesetze es unter ppo_374.032 ihrer Würde achten, Menschenempfindungen zu begleiten, ppo_374.033 ist sie für unsre Bildung noch geschäftig. ppo_374.034 Sie ist es, die der großen Klasse von Thoren den
ppo_374.001 verblindet, und im Solde der Laster schwelgt; wenn ppo_374.002 die Frevel der Mächtigen ihrer Ohnmacht spotten, ppo_374.003 und Menschenfurcht den Arm der Obrigkeit bindet; ppo_374.004 dann übernimmt die Schaubühne Schwert und ppo_374.005 Wage, und reißt die Laster vor einen schrecklichen ppo_374.006 Richterstuhl. Das ganze Reich der Phantasie und ppo_374.007 Geschichte, Vergangenheit und Zukunft stehen ihrem ppo_374.008 Winke zu Gebote. Kühne Verbrecher, die längst ppo_374.009 schon im Staube vermodern, werden durch den allmächtigen ppo_374.010 Ruf der Dichtkunst jetzt vorgeladen, und ppo_374.011 wiederhohlen zum schauervollen Unterrichte der Nachwelt ppo_374.012 ein schändliches Leben. Ohnmächtig, gleich den ppo_374.013 Schatten in einem Hohlspiegel, wandeln die Schrecken ppo_374.014 ihres Jahrhunderts vor unsern Augen vorbei, ppo_374.015 und mit wollüstigem Entsetzen verfluchen wir ihr ppo_374.016 Gedächtniß. Wenn keine Moral mehr gelehrt wird; ppo_374.017 keine Religion mehr Glauben findet; wenn kein Gesetz ppo_374.018 mehr vorhanden ist, wird uns Medea noch ppo_374.019 anschauern, wenn sie die Treppen des Pallastes herunter ppo_374.020 wankt, und der Kindermord geschehen ist. ppo_374.021 Heilsame Schauer werden die Menschheit ergreifen, ppo_374.022 und in der Stille wird jeder sein gutes Gewissen ppo_374.023 preisen, wenn Lady Macbeth, eine schreckliche ppo_374.024 Nachtwandlerin, ihre Hände wäscht, und alle Wohlgerüche ppo_374.025 Arabiens herbeiruft, den häßlichen Mordgeruch ppo_374.026 zu vertilgen. So gewiß sichtbare Darstellung ppo_374.027 mächtiger wirkt, als todter Buchstabe und kalte Erzählung; ppo_374.028 so gewiß wirkt die Schaubühne tiefer und ppo_374.029 dauernder, als Moral und Gesetze. — Aber der ppo_374.030 Wirkungskreis der Bühne dehnt sich noch weiter ppo_374.031 aus. Auch da, wo Religion und Gesetze es unter ppo_374.032 ihrer Würde achten, Menschenempfindungen zu begleiten, ppo_374.033 ist sie für unsre Bildung noch geschäftig. ppo_374.034 Sie ist es, die der großen Klasse von Thoren den
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Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/386>, abgerufen am 24.11.2024.
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