Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.ppo_307.001 "Göttin, deren neugebohrne Schöne ppo_307.002 ppo_307.009Einst das Meer in Purpurglut getaucht; ppo_307.003 Du, die in die Brust der Menschensöhne, ppo_307.004 Wie der Götter, linde Wonne haucht! ppo_307.005 Sieh mit unaussprechlichem Verlangen ppo_307.006 Mich am Schatten deines Bildes hangen; ppo_307.007 Diese Züge hoher Anmuth lieh ppo_307.008 Nur von dir die Phantasie." "Zwar dich darf kein Sterblicher erblicken ppo_307.010 ppo_307.017Wie du bist, wie dich der Himmel kennt; ppo_307.011 Kaum durchblitzen würd' ihn das Entzücken ppo_307.012 Einen schnell vernichtenden Moment. ppo_307.013 Aber laß, wie Frühlingswehn, dein Lächeln ppo_307.014 Eine jungfräuliche Stirn umfächeln, ppo_307.015 Wie die Sonn' im Bache sich beschaut: ppo_307.016 Und ich grüße sie als Braut!" Also fleht er oft, doch aus den Sphären ppo_307.018 ppo_307.025Steigt Erhörung niemals ihm herab. ppo_307.019 Nur die Kraft kann seinen Wunsch gewähren, ppo_307.020 Die zuerst dem Wunsche Flügel gab. ppo_307.021 Hoffst du Labung außer dir? Vergebens! ppo_307.022 Jn dir fließt die Quelle schönes Lebens. ppo_307.023 Schöpfe da, und fühle froh geschwellt ppo_307.024 Deine Brust, dein Aug' erhellt. Jener Zaubrer wandelnder Gestalten, ppo_307.026
Dädalus, erzog ihn einst für sie, ppo_307.027 Lehrt' ihn Bildung aus dem Stoff entfalten, ppo_307.028 Bis sie schön zum Ebenmaas gedieh. ppo_307.029 Gern besiegt von seines Meisels Schlägen, ppo_307.030 Schien der starre Felsen sich zu regen, ppo_307.031 Und er ward auf seines Lehrers Spur ppo_307.032 Nebenbuhler der Natur. ppo_307.001 „Göttin, deren neugebohrne Schöne ppo_307.002 ppo_307.009Einst das Meer in Purpurglut getaucht; ppo_307.003 Du, die in die Brust der Menschensöhne, ppo_307.004 Wie der Götter, linde Wonne haucht! ppo_307.005 Sieh mit unaussprechlichem Verlangen ppo_307.006 Mich am Schatten deines Bildes hangen; ppo_307.007 Diese Züge hoher Anmuth lieh ppo_307.008 Nur von dir die Phantasie.“ „Zwar dich darf kein Sterblicher erblicken ppo_307.010 ppo_307.017Wie du bist, wie dich der Himmel kennt; ppo_307.011 Kaum durchblitzen würd' ihn das Entzücken ppo_307.012 Einen schnell vernichtenden Moment. ppo_307.013 Aber laß, wie Frühlingswehn, dein Lächeln ppo_307.014 Eine jungfräuliche Stirn umfächeln, ppo_307.015 Wie die Sonn' im Bache sich beschaut: ppo_307.016 Und ich grüße sie als Braut!“ Also fleht er oft, doch aus den Sphären ppo_307.018 ppo_307.025Steigt Erhörung niemals ihm herab. ppo_307.019 Nur die Kraft kann seinen Wunsch gewähren, ppo_307.020 Die zuerst dem Wunsche Flügel gab. ppo_307.021 Hoffst du Labung außer dir? Vergebens! ppo_307.022 Jn dir fließt die Quelle schönes Lebens. ppo_307.023 Schöpfe da, und fühle froh geschwellt ppo_307.024 Deine Brust, dein Aug' erhellt. Jener Zaubrer wandelnder Gestalten, ppo_307.026
Dädalus, erzog ihn einst für sie, ppo_307.027 Lehrt' ihn Bildung aus dem Stoff entfalten, ppo_307.028 Bis sie schön zum Ebenmaas gedieh. ppo_307.029 Gern besiegt von seines Meisels Schlägen, ppo_307.030 Schien der starre Felsen sich zu regen, ppo_307.031 Und er ward auf seines Lehrers Spur ppo_307.032 Nebenbuhler der Natur. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0319" n="307"/> <lb n="ppo_307.001"/> <lg> <l> „Göttin, deren neugebohrne Schöne</l> <lb n="ppo_307.002"/> <l>Einst das Meer in Purpurglut getaucht;</l> <lb n="ppo_307.003"/> <l>Du, die in die Brust der Menschensöhne,</l> <lb n="ppo_307.004"/> <l>Wie der Götter, linde Wonne haucht!</l> <lb n="ppo_307.005"/> <l>Sieh mit unaussprechlichem Verlangen</l> <lb n="ppo_307.006"/> <l>Mich am Schatten deines Bildes hangen;</l> <lb n="ppo_307.007"/> <l>Diese Züge hoher Anmuth lieh</l> <lb n="ppo_307.008"/> <l>Nur von dir die Phantasie.“ </l> </lg> <lb n="ppo_307.009"/> <lg> <l> „Zwar dich darf kein Sterblicher erblicken</l> <lb n="ppo_307.010"/> <l>Wie du bist, wie dich der Himmel kennt;</l> <lb n="ppo_307.011"/> <l>Kaum durchblitzen würd' ihn das Entzücken</l> <lb n="ppo_307.012"/> <l>Einen schnell vernichtenden Moment.</l> <lb n="ppo_307.013"/> <l>Aber laß, wie Frühlingswehn, dein Lächeln</l> <lb n="ppo_307.014"/> <l>Eine jungfräuliche Stirn umfächeln,</l> <lb n="ppo_307.015"/> <l>Wie die Sonn' im Bache sich beschaut:</l> <lb n="ppo_307.016"/> <l>Und ich grüße sie als Braut!“ </l> </lg> <lb n="ppo_307.017"/> <lg> <l> Also fleht er oft, doch aus den Sphären</l> <lb n="ppo_307.018"/> <l>Steigt Erhörung niemals ihm herab.</l> <lb n="ppo_307.019"/> <l>Nur <hi rendition="#g">die</hi> Kraft kann seinen Wunsch gewähren,</l> <lb n="ppo_307.020"/> <l>Die zuerst dem Wunsche Flügel gab.</l> <lb n="ppo_307.021"/> <l>Hoffst du Labung außer dir? Vergebens!</l> <lb n="ppo_307.022"/> <l>Jn dir fließt die Quelle schönes Lebens.</l> <lb n="ppo_307.023"/> <l>Schöpfe da, und fühle froh geschwellt</l> <lb n="ppo_307.024"/> <l>Deine Brust, dein Aug' erhellt. </l> </lg> <lb n="ppo_307.025"/> <lg> <l> Jener Zaubrer wandelnder Gestalten,</l> <lb n="ppo_307.026"/> <l>Dädalus, erzog ihn einst für sie,</l> <lb n="ppo_307.027"/> <l>Lehrt' ihn Bildung aus dem Stoff entfalten,</l> <lb n="ppo_307.028"/> <l>Bis sie schön zum Ebenmaas gedieh.</l> <lb n="ppo_307.029"/> <l>Gern besiegt von seines Meisels Schlägen,</l> <lb n="ppo_307.030"/> <l>Schien der starre Felsen sich zu regen,</l> <lb n="ppo_307.031"/> <l>Und er ward auf seines Lehrers Spur</l> <lb n="ppo_307.032"/> <l>Nebenbuhler der Natur.</l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [307/0319]
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„Zwar dich darf kein Sterblicher erblicken ppo_307.010
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Nebenbuhler der Natur.
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Zitationshilfe: | Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/319>, abgerufen am 16.02.2025. |